„Von Ratten & Leitern“

Gemeinde, Soziologie

In der Soziologie gab es vor einigen Jahren ein Experiment in dem zwei Gruppen von Ratten über einen längern Zeitraum nichts zu fressen bekamen und in der Zeit auf ihr Gruppenverhalten beobachtet wurden. Dann wurde aus jeder Gruppe eine Ratte isoliert und ihr wurde beigebracht, wie sie an Futter kommt, danach wurde sie wieder in ihre Gruppe geführt. In der ersten Gruppe war es das so genannte „Alphatier“, welches sich als natürlicher Leiter herausgebildet hatte. In der zweiten Gruppe war es eine beliebige Ratte aus der Gruppe, die als einzige das Privileg der Futterbesorgung lernte. Das interessante Ergebnis: Während in der ersten Gruppe die Ratten einfach dem Vorbild ihres Leiters folgten und somit innerhalb kürzester Zeit selbstständig lernten Futter zu holen und die ganze Gruppe satt und zufrieden lebte, wurde die privilegierte Ratte in der zweiten Gruppe von den anderen Ratten „versklavt“ und musste ständig für die ganze Gruppe mit Futter versorgen. Alle anderen blieben unselbstständig, forderten aber ständig Futter von der privilegierten Ratte, so dass diese in einem ständigen Stresszustand lebte.

Als ich das las musste ich an viele Gemeinden denken die ich kenne und an sehr viele gestresste Leiterinnen und Leiter, Pastoren und Pfarrerinnen, Jugendleiter und Diakoninnen die, wie die „privilegierte Ratte“ ständig versuchen alle Bedürfnisse ihrer Gruppen und Kreise zu erfüllen und mit „geistlichem Futter“ zu versorgen. Dabei kommen sie selbst zu kurz, sind ausgepowert und ausgelaugt, ohne dass die ständigen Forderungen der Gemeindemitglieder weniger werden. Ein Teufelskreislauf. Ich glaube, dass wir mehr Leiterinnen und Leiter brauchen, die transparenter leben und sich bewusst sind Vorbild zu sein und andere ganz automatisch mit hinein nehmen in ihr Leben und Tun. Nicht zwanghaft versuchen alle zu versorgen, sondern Menschen versuchen, zu einem selbstständigen Glauben zu erziehen. Sie mit hinein zunehmen in die eigenen Gedanken und Taten. Das Bild von Leiterschaft hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert, hat man in den 90er Jahren die großen (perfekten) Leiter/innen gesucht, wächst jetzt die Sehnsucht nach anfassbaren (zerbrochenen) Leitern.

Um Menschen in die Selbstständigkeit und Mündigkeit ihres Lebens & Glaubens zu führen gibt es sicher unterschiedliche Möglichkeiten, eine die ich sehr begeistert lebe ist Mentoring. Leben durch Reflexion und Nachahmung.

12 Comments

  1. Sehr interessant – das Experiment (kannte ich noch nicht – trotz 101 Rattenexperimenten 🙂 und auch deine Übertragung dazu! Kann nur bestätigen. Irgendwie geht es um Dynamik, echtes Leben, Gemeinschaft. Anstatt Aufgaben abhaken, Bequemlichkeit, Konsum. Wünsch mir das für mein eigenes Leben – in beide Richtungen: dass ich so ne Art von Leiterin bin/werde und andererseits Leute hab, denen ich gerne “folge” anstatt sie für mich “arbeiten” zu lassen.

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  2. Ich glaube, dass viele von dem christliche Konsumverhalten gerade “satt” sind und sich nach Autonomie und Selbstständigkeit sehnen. Wie ist das eigentlich in Dänemark? Bist du dort in einer Gemeinde?

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  3. Bin sehr dankbar für die Erwähnung des Experiments. Habe mich schon öfter gefragt, warum manche Leiter an ihrer Aufgabe verzweifeln und andere die gleiche Mission in Gelassenheit und im Flow bewältigen. Meine “Diagnosen” gingen meist in die Richtung, dass Kompetenz und/oder Vorstellungskraft unzureichend vorkamen. Nun füge ich natürlichen Leitungsanspruch hinzu 😉

    Klar geht´s beim “Leiter sein” um weit mehr, aber ohne Führungswillen und eine diesbezügliche Rollenklarheit geht´s eben nur mit viel Stress und wahrscheinlich nicht lange…

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  4. Vielleicht reden wir auch zuviel?
    Wer will den schon noch Leiter werden? Das Wort STRESS wird sehr oft gebraucht.

    Es braucht immer zwei zum Ausnutzen. Leiter und Gemeinde, oder Leiter und eigene Vorstellungen oder eine Mischung.

    Wenn man das Rattenbeispiel 1:1 überträgt würde das ja bedeuten, ein “autoritärer Leitertyp” (Alphatiel ^^) hätte es leichter, Teamarbeit zu integrieren, als “irgend ein Mitarbeiter”

    Das finde ich interessant..

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  5. @manni: Ja, da hinkt das “Gleichnis” wohl etwas. Wie war das bei Gleichnissen: Ein Übertragungspunkt! Und dann gehört das wohl nicht dazu. 😉

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  6. @christopher: Du bist der Baptistenchristopher, der früher mit Matze zusammengearbeitet hat, oder? Ich würde mich sehr gerne mal mit dir treffen, wie komme ich an dich ran?

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  7. @Toby
    Ich war bislang paar mal in ner dänischen Studentengemeinde – gefällt mir sehr gut. Zum erstenmal nen Godi mit integrierter Kaffeepause erlebt. Danach gibt’s gemeinsames Abendessen. Immer wieder etliche, kreative Gemeinschaftselemente – gefällt mir…

    Ich wünsch mir prinzipiell einfach mehr von diesem Pyramiden-Dasein in der Gemeinde. Du weißt schon: breite Basis, nicht alles hängt an einer Person. Du hast dieses Prinzip mal ganz am Anfang im “Jugendbund” dargestellt – ist bei mir bis heute hängengeblieben. (Hört man doch gerne, oder? 🙂

    Trotzdem merk ich, dass ich ja selbst oft “renne”. Weil ich kann. Zumindest noch. Und es geht manchmal schneller, als andere zum Futter zu führen, sozusagen. Oder ich mag es, dass ICH weiß, wie’s läuft…

    Ich denke da ist einiges an Umdenken nötig – auf beiden Seiten sozusagen. Aber Gott kann sowas ja. Und ich hab auch das Gefühl, dass da was im Rollen ist, was das Thema angeht…

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  8. @julia: Tja, wenn das so einfach wäre, verstanden und schwups umgesetzt! Das ist die Spannung im LEben. 🙂 Aber ich glaube Auslandserfahrung ist da eine tolle Sache.

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  9. @toby: zu spät gelesen! Wir sind uns am Montag bei Frixe kurz begegnet.

    Wo wir fast Tür an Tür arbeiten (auf den unterschiedlichen Seiten der Schwanallee), sollte sich irgendwie eine Lösung finden lassen. Herzliche Einladung auf einen Cappuccino eine Etage über eurem (und unserem) Kinderarzt!

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  10. @christoph: Danke für die Einladung, nehme sie gerne an. Wann ist eine gute Zeit? Hab dich gestern schon erkannte, war mir aber nicht so sicher. Du bist in Wirklichkeit viel größer als auf dem kleinen Bild! 🙂

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  11. Wenn du spontan bist, bin ich morgen und übermorgen von 9-15 Uhr da. Dann bin ich mal eine Woche unterwegs und kann erst wieder am 13. oder 14. Vielleicht telefonieren wir einfach. Meine Nummer habe ich dir via Benjamin übermittelt.

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