“Ein postmodernes Glaubensbekenntnis”

Gemeinde, Ironie, Kultur & Glaube, Postmoderne

ICH
bin felsenfest und unerschütterlich
von der unermesslichen und unumstößlichen
Kraft des freien Willens überzeugt,
der mich in meinem Leben leitet,
mich zwischen den verschiedenen Angeboten auswählen lässt
und in meinen Entscheidungen unhinterfragbar macht.

gott
glaubt an den unermesslichen Wert
einer jeden einzelnen Menschenseele,
weswegen er nicht nur Himmel und Erde
mir und meiner Umwelt übergeben hat,
sondern sogar Mensch wurde
und am Kreuz gestorben ist,
auf dass ich fortan nicht nur
von aller Schuld erlöst
und von jeglicher Verantwortung entbunden,
sondern auch zu einem Leben
nach meinem Wohlgefallen befreit bin.

Mein Glaube
ist nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten,
die sich in der Schatztruhe des Lebens finden,
und in absoluter Freiheit kombiniert werden können.

gottes Aufgabe
ist es, mir trotz aller Widersprüche
Sinn und Erfüllung zu geben,
mir Glück und Wohlstand zu verschaffen,
Leid und jeglichen Schaden von mir abzuwenden
und mich am Ende in Herrlichkeit aufzunehmen,
auf dass der Himmel noch besser werde als die Welt.

Wenn
gott diese Aufgabe erfüllt,
bin ich bereit,
anderen von seinen großen Taten
in meinem Leben zu erzählen
und damit den Glauben auszubreiten
bis an die Enden der Erde.

Hier stehe ich. gott helfe Mir.
Amen.

Dieses wunderbare Glaubensbekenntnis hat mein werter Kollege Dr. Thomas Weißenborn in einem Anflug der Frustration über manche gegenwärtigen Glaubenswirrungen geschrieben. Schön & diskussionswürdig….

17 Comments

  1. Ganz gut getroffen.

    Allerdings meine ich, dass die beschriebene Haltung eher manche christliche Strömung der Moderne beschreibt als die Postmoderne. Betonung der (Willens-)Freiheit, Glück und Wohlstand als größte Güter, der Fokus auf mir als Individuum – das sind doch typisch morderne Themen, oder? Stammt die Überschrift auch von dem Kollegen oder von dir?

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  2. Die Überschrift kommt auch von Thomas, ich habe sozusagen nichts geändert (kein Jota :)). Nur der erklärende Satz kommt von mir.
    Wenn Individualismus und das Streben nach Reichtum und Glück Modern sind, leben die meisten Menschen in Marburg noch in der Moderne. 🙂 Ist Amerika da schon weiter??

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  3. Ist das Streben nach Glück und Reichtum nicht irgendwie in unseren Genen verankert? Zumindest scheint es ein Anliegen der meisten Menschen einschließlich meiner selbst zu sein.

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  4. Ich glaube schon, dass die Frage wie Gott mir “dienen” kann eine neue Dimension hat, sozusagen ein Auswuchs des Individualismus.

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  5. Ich finde, das macht schon einige “Versuchungen” klar, denen man erliegen kann. Besonders interessant finde ich, dieses “von Verantwortung entbinden” und “Sinn und Erfüllung geben”. Mich beschäftigt selbst: wann sind diese Dinge gut und richtig und wann ist es bloßer Eskapismus?

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  6. auch mir scheint der titel fragwürdig. wenn überhaupt hier von ›postmodern‹ die rede ist, dann scheint es der versuch einer wahrnehmung postmodernen lebensgefühls mit modernen kategorien zu sein. schließe mich daher simon und tobik an.

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  7. Rolf Krüger

    Interessant, aber zwei Stellen würde ich stark hinterfragen:

    >>Mein Glaube ist nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten,
    die sich in der Schatztruhe des Lebens finden, und in absoluter Freiheit kombiniert werden können.
    Das würde heißen: Es gibt keine Wahrheit. Und da sagen die NT-Autoren was anders.

    >>gottes Aufgabe
    ist es, mir trotz aller Widersprüche
    Sinn und Erfüllung zu geben,
    mir Glück und Wohlstand zu verschaffen,
    Sinn und Erfüllung, ja. Aber Gottes Aufgabe ist es gewiss nicht, mir Glück und Wohlstand zu verschaffen. Entsprechend ist es erbärmlich, wenn der Beter dann am Ende sagt: (nur) wenn Gott mir Glück und Wohlstand verschafft, bin ich bereit, ihn anzubeten.

    LG,
    Rolf 😉

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  8. Ich hab’s jetzt zweimal gelesen und finde auch, dass das Ganze Ding eher spät- als postmodern klingt. Natürlich gibt es Leute, die irgendwie so denken. Es scheint mir aber auch nicht so stimmig in sich. Manches (wie der Passus “gott”) ist eher modernes und (wenn man da schon das Kreuz erwähnt) frommes Konsumdenken.

    Postmodern ist m.E. ja nicht der Individualismus, sondern der Zweifel, ob es überhaupt ein fassbares “ich” gibt. Ebenso wie der Zweifel an so etwas wie “absolute Freiheit”.

    Nein, das ist kein postmodernes Bekenntnis. Was nicht bedeuten muss, dass es keinen Wahrheitsgehalt hätte. Nur sollte der unbedingt anders etikettiert werden.

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  9. “Wenn Individualismus und das Streben nach Reichtum und Glück Modern sind, leben die meisten Menschen in Marburg noch in der Moderne. 🙂 Ist Amerika da schon weiter??”

    Vielleicht ein wenig, ja. Aber ich meine sowieso, dass der Übergang von Moderne zur Postmoderne nicht so klar und eindeutig ist, wie es manche postmoderne/emerging-Leute den Anschein haben lassen. Aus meiner Sicht leben wir in einer Zeit, in der wir Anteile von beidem haben – vielleicht länger, als sich das manch einer momentan vorstellt. Wenn ich mich selbst und viele in meinem Alter angucke, finden sich nach noch viele moderne Vorstellungen in unseren Lebensentwürfen.

    “Frage: Was ist Modern/Postmodern? Ist nur alles Moderne das Schlechte und alles Gute das Postmoderne?”

    Vielleicht hat das manchmal so den Anschein, weil wir momentan glaube ich so klar wie nie die manchmal ungesunde Verquickung von modernen und christlichen Vorstellungen erkennen, die wir zuweilen als eins gesehen haben. Aber in dem Text ging es ja nun mal um eine Kritik von einer bestimmten christlichen Haltung und ich meine, dass diese nicht so sehr einen postmodernen, sondern eher einen modernen Glauben trifft – und mit dem zuvor gesagten meine ich dann aber auch, dass diese Kritik sehr aktuell und berechtigt ist.

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  10. Interessante Debatte. Vielen Dank. Aus einer ironischen Laune wurde eine richtige Diskussion. Da gibt es wohl noch einiges aufzuarbeiten! 🙂 Naja, jedenfalls es ging wirklich nicht um Postmoderne, so hab ich es jedenfalls verstanden, sondern nur um eine Kritik an so manchen Beobachtungen. Mir hat diese Ironie gefallen und an McLarens Gedanken zum Thema Anbetung erinnert, nur dass er nicht übertrieben hat. 🙂 Aber Übertreibung, das wußte schon der alte Paulus, ist ein durchaus biblisches Stilmittel…

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  11. Naja man sollte bei der Diskussion bedenken, dass es Postmoderne nicht “gibt”. Es ist kein Tatbestand, sondern, ein Label, ein Konstrukt, eine Hilfsbrücke um bestimmte Veränderungen zu beschreiben. Deshalb macht es wenig Sinn, zu fragen ob “etwas postmodern ist”. Man müsste fragen, ob es gut in das Bild der Veränderungen passt, das man unter dem Titel Postmoderne ausgehandelt und bezeichnet hat. Whatever.

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  12. Hunter

    >>gottes Aufgabe
    ist es, mir trotz aller Widersprüche
    Sinn und Erfüllung zu geben,
    mir Glück und Wohlstand zu verschaffen,
    Dem wuerde ich sehr widersprechen. Ein Zeichen der Zeit fuer mich ist, dass wir weniger in vorgegebenen Bestimmungen und damit Rollen und Verantwortungsmustern denken koennen. Wenn ich also Glück und Wohlstand zu einem meiner Lebensziele erklaere, dann kann ich das fuer mich nach meinen Kraeften verfolgen und schauen wieviel davon ich erreiche. Ganz sicher aber ist es nicht Gottes Aufgabe, mir das zu geben. Je eher ich das begreife, des desto relaxter kann ich mit dem Leben umgehen (und der Tatsaeche, dass ich meine Ziele eben manchmal nicht erreiche).

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  13. Anonymous

    Sie glauben alle an Gott…
    dann sage ich ihnen dass es ihn nicht gibt…wenn es ihn schon gibt warum hilft er uns nicht?
    warum lässt er menschen sterben?
    warum glauben wir dass es diesen “Gott” gibt, wenn wir ihn nie sehen?
    solche menschen wie ich glauben nur das was sie sehen, und wie soll ich glauben wenn ich ihn nie gesehen habe?
    keiner kann mir die fragen beantworten…die ich wissen möchte…!
    es gibt kein gott und damit muss man sich abfinden ….

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