“Rezension der Rezension zum ZeitGeist Buch”

Bücher, emerging church, Kultur & Glaube, Rezension, Theologie, ZeitGeist

In den letzten Wochen gab es einige Rezensionen zum ZeitGeist Buch, die alle sehr wohlwollend und positiv waren, was einem als Autor natürlich sehr freut. Heute habe ich eine sehr ausführliche Rezension (fünf Seiten) zum ZeitGeist Buch bekommen, die sich sehr kritisch mit dem Buch auseinandersetzt. Ron Kubsch, seines Zeichens Dozent (für Theologiegeschichte und Seelsorge) am Martin Bucer Seminar Bonn und reformierter Theologe aus Leidenschaft (TheoBlog) hat das ZeitGeist Buch sehr gründlich gelesen und sich so seine Gedanken gemacht. Diese sind durchaus interessant und seine vorwiegend kritische Auseinandersetzung trifft einige Schwachpunkte des Buches. So ist es durchaus richtig, dass es in dem Buch keine „Theologie des Zeitgeistes“ gibt und auch nicht auf alle „Zeitgeist-Stellen“ in der Bibel eingegangen wird. Dass allerdings mit dem „Zeitgeist“ respektvoller umgegangen wird als mit dem Wort Gottes halte ich dann doch wieder für falsch und polemisch. Nun kann und will ich zu den einzelnen Kritikpunkten nicht allzu viel sagen. Da aber ein Artikel von mir expliziert (negativ) herausgehoben wird, möchte ich dazu noch Stellung nehmen. Hier wurde zumindest klar, dass Kubsch überhaupt nicht verstanden hat, was ich mit dem Artikel sagen wollte (selbstkritisch muss ich mich natürlich auch Fragen, ob es nicht verständlich genug formuliert war). Aber in dem Artikel „Mangos & Bananen“ geht es nicht um „religiöse Anknüpfungspunkte“ (deshalb steht dem Buch ein Zitat von Barth und nicht von Brunner voran!), sondern um die viel grundlegendere These der Offenbarung Gottes durch die Kultur. Es geht auch nicht darum, wie viel menschliches und wie viel Unterschiede zwischen einer Steintafel und einer eMail gegeben sind, sondern, dass sich Gott durch die jeweilige Kultur offenbart. Es geht nicht um „andere Ereignisse“, sondern um „Gottes Ereignisse“.

Was mich an dieser Rezension am meisten geärgert hat, sind nicht die kritischen Einwände, sondern der überhebliche, ja arrogante Tonfall von Ron Kubsch und seine sprachlichen Wertungen („romantische Begeisterung für die Kultur der Postmoderne“ oder „dass die Emerging Church Bewegung […] zum Sammelbecken für frustrierte Kinder aus evangelikalen Elternhäusern mutiert“ oder „wirklich postmoderne Denker lassen sich auf diesen Schmusekurs nicht ein“). Da bin ich enttäuscht und hätte mir mehr Niveau und sachliche Auseinandersetzung gewünscht. Da schreibt einer, die Antworten kennt und die Wahrheit gefunden hat. Der selbst ein Buch darüber geschrieben hat, das damit wirbst, dass man „kurz & bündig“ die Postmoderne in zwei Stunden versteht. Dieses Buch werde ich mir kaufen, vielleicht bin ich dann schlauer…

Dann habe ich noch eine Verständnisfrage zu folgendem Satz:

„Das Festhalten am Absoluten, an einer Heiligen Schrift, einem Gott und einem Messias kann für den wirklich Postmodernen nur in den Terror führen.“

Was soll dieser Satz aussagen? Wie ist er zu verstehen? Kann ich wählen postmodern zu sein?

21 Comments

  1. Ja, so wie er das schreibt, stimmt das mit dem Terror der absoluten Gewissheiten vielleicht doch. Aber mich wundert, dass er darin offenbar gar kein Problem sieht. Hauptsache, ich habe DIE Wahrheit?

    Nebenbei: Dass aus dieser Ecke kein großer Beifall zu erwarten war, überrascht doch kaum, oder?

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  2. Lieber Tobias,

    ich habe das Buch “Zeitgeist” nicht gelesen, was für mein Anliegen hier auch gar nicht nötig ist, denn ich möchte hier keine inhaltlichen Argumente liefern, sondern möchte einige Anregungen über die Art und Weise geben, wie wir uns mit einander auseinander-setzen bzw. zusammen-raufen. (Das Buch interessiert mich sehr, ich werde es hoffentlich demnächst lesen.)
    Tobias, ich hätte mich gefreut, wenn Du mehr auf die inhaltlichen Einwände eingegangen wärest, und Ron Kubsch weniger mit gleicher Münze zurückgezahlt hättest: wie Du ihn dann abschließend kurz charakterisierst (Michael Lukas Möller würde sagen “kolonialisierst”) und sein eigenes Buch “belächelst” (die Buchreihe von Hänssler heißt “kurz und bündig” – Kubsch glaubt nicht, dass er damit alles wichtige zum Thema gesagt hätte), sieht nicht nach der niveauvollen und sachlichen Auseinandersetzung aus, die Du Dir selber wünschst und die auch ich mir sehr in Bezug auf die Tage in Hamburg, Marburg und Erlangen wünsche.

    Ich schreibe dies, weil ich glaube, dass es hier um ein wichtiges Thema geht und als Vorbereitung auf die Tage von emergent Deutschland mit Brian McLaren. Es geht hier nicht nur um das Buch, sondern es geht u.a. um die wichtigen Themen von “Christ und Kultur” und “Reich Gottes”, die von den Evangelikalen in Deutschland bisher sträflich vernachlässigt wurden. Wenn wir aber keinen besseren Stil und Umgang miteinander finden, bekommen wir keinen fruchtbaren Diaglog hin, können nicht voneinander lernen, werden in unseren Charakteren nicht verändert – und dienen der Sache, Seiner Sache (!?)nicht (um mit Hiob zu sprechen – die Weisheit wird aussterben).
    Wir drücken uns um die harte Arbeit – emotional und intellektuell – des inhaltlichen Ringens mit diesen, für unser Land lebenswichtigen Themen. Wir bleiben in alten, unfruchtbaren Dichotomien “Wir-Die”; “Postmodern-modern”; “cool-gesetzlich” stecken (weshalb ich Peters Kommentar nicht so hilfreich fand:’Dass aus dieser Ecke kein großer Beifall zu erwarten war, überrascht doch kaum, oder?’
    Was kann schon gutes aus Nazareth kommen? – man wundert sich zuweilen! Außerdem: wer will schon nur Beifall? Wie soll ich wachsen und dazulernen, wenn nicht durch meine Kritiker?).

    Da ich nur in Hamburg sein werde, werde ich Dich leider nicht persönlich kennen lernen.

    Herzliche Grüße,

    Rüdiger Sumann

    P.S. Zu Deiner Verständnisfrage: ich verstehe Ron Kubsch hier so, dass er hier nicht seine, sondern die Meinung einiger französischer Philosophen wiedergibt. Lyotard ist wahrscheinlich (und Michel Foucault mit ziemlicher Sicherheit) so zu verstehen , dass jede Gruppe gefährlich ist, die am Absoluten festhält, egal wie freundlich, sanft und intellektuell begründet sie das ausleben möchte, weil in solch einem System Arroganz und Machtmissbrauch praktisch vorprogrammiert seien. Dies ist aber m.E. nicht die Meinung von Ron Kubsch selbst, sondern von einigen unserer Mitmenschen, die dann natürlich große Vorbehalte dem christlichen Glauben gegenüber haben.

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  3. Lieber Rüdiger,
    danke für deinen Beitrag und deine Ermahnung. 🙂
    Du hast recht, ich suche die sachliche Auseinandersetzung und weiß, dass es ein Ringen um ein schweres Thema ist. Aber genau deshalb war ich über die Art und Weise der Rezension enttäuscht. Es war kaum eine konstruktive Auseinandersetzung spürbar, zu viel Polemisches, ja Abfälliges. Klang eher nach einer allgemeinen Kritik an emerging church (siehe Fußnoten). Selbst wenn ich auf die Argumente eingehen würde, was nützt es, wenn mich mein Gegenüber nicht ernst nimmt? Es ist die alte evangelikale Unfähigkeit des Dialogs. Aber du hast Recht, ich will da bei mir anfangen, die Aufgaben sind zu wichtig, als dass sie unter persönlichen Eitelkeiten leiden sollten. Liebe Grüße nach Hamburg, toby

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  4. Erstmal Respekt, dass du deinen Kritikern den Raum gibst, ein Thema auf deinem Blog zu werden. Mit dem Link kann jeder geneigte Leser sich ein eigenes Bild machen.

    Dass du ein wenig angekekst bist, kann ich angesichts des bei Herrn Kubsch Geschriebenen gut nachvollziehen.

    Nun ist es ja so (und da symphatisiere ich mit Peter), dass jede Aussage immer auch eine Selbstbotschaft beinhaltet, und da wirkt mir besagter Rezensent reichlich narzistisch und von seiner eigenen Auffassung überzeugt. Das darf er (wegen mir) auch gerne sein, allerdings begrenzt es dann sehr stark die Perspektive eines sachlichen (&fruchtbaren) Dialogs.

    @Rüdiger: Ganz ehrlich: Ich glaube auch, dass eine umfassende und offene Diskussion der Thematik dran ist, aber ich vermute ebenso, dass es potentielle Diskussionspartner gibt, die aufgrund ihrer persönlichen Disposition für ein “fruchtbares Gespräch” nicht erste Wahl sind. Damit meine ich nicht das Verdrängen von Kritik, wohl aber das freundliche Ignorieren von Polemiken notorischer Nörgler…

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  5. ehrlich gesagt finde ich rons kritik gar nicht so verkehrt. ich kann vieles nachvollziehen, bzw. habe ich ähnliche anfragen an das ganze “postmoderne” und “emerging church” gedankengut. ist lustig, dass ich auch bei den “inzwischen unendlich langweiligen thesen” auftauche.

    ich glaube, dass die kritik sich an das falsche buch richtet. das, was in dem buch steht ist kein allgemiengut und meiner ansicht nach richtet sich das buch so auch nicht an “fachpublikum”, dass in dr riege der EC- und PoMoDenker schon alles bekannt ist kann man wohl voraussetzen – immerhin besteht das buch ja aus beiträgen von leuten aus der szene. als einstieg in die diskussion für jemanden, der sich informieren will finde ich den zeitgeist super.

    insofern fehlt mir auch keine systematische einleitung. im gegenteil, sie würde dem geist des buches wiedersprechen. es geht ja gerade nicht um das absolute sondern darum wie das absolute sich im relativen spiegelt. da wäre ein grundlegender teil falsch.

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  6. @christopher: Danke für deinen Kommentar. Klar, bin ich etwas “angekekst”, aber ich möchte ja auch weiter lernen und deshalb muss und will ich mich auch Kritik stellen. Auch ein Dialog ist ein Prozess…

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  7. @storch: Mit der Kritik an die falsche Adresse stimmt für mich insofern, dass wir ja gerade kein Buch über emerging church geschrieben haben, sondern versucht haben, überhaupt erstmal darüber nachzudenken, was “Kultur und Evangelium in der Postmoderne” heute heißt, in unserem deutschen Kontext. Direkt zu emerging church gibt es ja nur drei Artikel, davon zwei von Thomas Weißenborn, also
    genau die, die Kubsch gut findet. Wir wollten ja gerade nicht gleich alles “labeln”, sondern der Bewegung in Deutschland eine Chance geben sich zu entwickeln.
    Außerdem wollten wir durch das Buch ja die Diskussion öffentlich machen… 🙂

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  8. das hat ja auch geklappt, oder?
    was hat der ZG eigentlich für eine auflage? wäre mal interessant, wie öffentlich wir die diskussion gemacht haben.

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  9. Frage am Rande:
    Wieso meldet sich der Her Kubsch eigentlich nicht auf diesem Post. Sowas kriegt man also Blogger doch eigentlich mit, oder?

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  10. Aber immerhin kommt Kritik auch wenn sie Dir nicht passt.
    Es wäre super wenn es zwischen euch zu einer ehrlichen Diskussion käme.
    Es würde vielen Christen helfen.
    Gruß
    Peter

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  11. hallo toby.
    lese immer mal wieder auf deinem blog herum…und das ganz gerne.
    lesenswert.
    @ christian: man könnte doch auch bei herrn kubsch in die diskussion einsteigen, da er ja immerhin auch einen eintrag zu seiner rezension geschrieben hat. hat aber auch noch keiner gemacht.
    vielleicht ist das schade.

    “die alte evangelikale unfähigkeit zum dialog” ist ein hartes wort, das ich aber ziemlich gut nachvollziehen kann.
    es gibt einfach – zu!? – viele beispiele dafür.
    und es ist wirklich nicht leicht damit umzugehen.

    ich fände es jedenfalls auch nett
    wenn es zu einem gespräch – welcher art auch immer – und wirklichem austausch kommt.

    gruß nach marburg (wo übrigens grade lauter leute hinziehen die eigentlich hier bei mir wohnen sollten…kannst du aber auch nichts für glaube ich…)
    und alles gute für dein buch.

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  12. Witzig auch, dass wenn man auf den Amazon-Link zum kurzen und bündigen Buch von Ron Kubsch klickt, gleich noch Dein Zeitgeist empfohlen bekommt… Da wird der Diskurs bei Beistellung ja gleich nach Hause geliefert :o)

    Die Postmoderne… die liebe. War die nicht schon vorbei? ;o)

    Klingt jedenfalls interessant Dein Buch. Ich werd mal schmökern.

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  13. Anonymous

    Ron hat gesagt…

    Lieber Tobias, lieber Blogger, Peter aus München hat mich durch einen kurzen Kommentar dazu ermutigt, mich hier im Blog zu melden. Zunächst herzlichen Dank für die Kommentare und die Rezensionen der Rezension! Ich lese das aufmerksam, prüfend und nehme es mir zu Herzen. Stilistisch hätte ich offensichtlich einiges überlegter formulieren können. (Mir schrieb jemand in einer eMail, “wunderschön” klinge nach Barbie. Ich wollte einfach nur sagen, dass mir das Buch gestalterisch richtig gut gefällt.) Inhaltlich stehe ich nach wie vor hinter dem, was ich geschrieben habe.
    Auch ich möchte mich einem Diskurs über die angesprochenen Fragen nicht entziehen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ein Blog die geeignete Plattform dafür ist, “schwere Themen” aufrichtig und ernsthaft zu verhandeln. Sollte es ein Blog sein, würde ich für eine strenge Eingrenzung der Themen und Sachlichkeit plädieren. Das Thema Evangelium und Kultur (und Karl Barth) könnte ein Einstieg sein.
    Shalom, Ron

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  14. Hallo Ron, sehr schön, dass du dich meldest. Deine stilistischen Bemerkungen über das ZeitGeist Buch habe ich als Kompliment aufgefasst, auch deine sachliche Kritik ist völlig in Ordnung und ich bin an einem Diskurs (in welcher Form auch immer) interessiert. Einig die Art und Weise dieser Kritik fand ich unangebracht, aber darum soll es jetzt nicht mehr gehen. Im ZeitGeist blog (http://zeit-geist.info) haben wir mit der Diskussion schon angefangen, vielleicht hast du Lust da mal reinzuschauen.
    Liebe GRüße,
    toby

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  15. Lieber Tobias,
    danke für die Einladung, an der Diskussion im ZeitGeist-Blog teilzunehmen. Ich habe mir den Thread “Alle Theologie ist kontextuelle Theologie” angeschaut und bin von der Fülle der dort angesprochenen Themen ziemlich erschlagen. Es geht dort um Fragen wie:
    • Ist die Bibel Gottes Wort (z.B. Daniel u. Tobi)?
    • Ist Theologie kontextuell oder sogar immer ein menschliches Konstrukt (z.B. Fred)?
    • Was ist das Evangelium (z.B. DoSi)?
    • Wie verhalten sich Evangelium und Kultur zueinander (z.B. tobiK)
    Nach wie vor zweifle ich daran, dass ein Blog für eine produktive Debatte zu Themen, die eigentlich in eine Vorlesung über Fundamentaltheologie bzw. Religionssoziologie gehören, gut geeignet ist. Ich halte mich da Alan Jocobs:
    “Right now, and for the foreseeable future, the blogosphere is the friend of Information but the enemy of thought.”
    (Nebenbemerkung: Eine Sache fiel mir ganz spontan auf: Anders als Simon und DoSi bin ich der Auffassung, dass es Belege dafür gibt, dass Schriftworte des AT’s im NT als Wort Gottes bezeichnet werden. Das wahrscheinlich eindrücklichste Beispiel ist bei Mk 7,8–13 zu finden und stammt damit von Jesus selbst. Die Aussage in Vers 13: “Ihr hebt das Wort Gottes auf [logon tou thou]”, bezieht sich eindeutig auf das 5. Gebot (reformierter Zählung) in Vers 10.)
    Anstatt mich auf diese Fülle von Themen einzulassen, würde ich gern meine Äußerungen zu Evangelium, Kultur und Karl Barth ergänzen bzw. vertiefen. Ich hoffe, das geht in Ordnung.
    Zu den Lebzeiten von Karl Barth gab es das Konzept der Kontextualisierung (70er Jahre) und die Emerging Church (EmCh, Ende der 90er Jahre) noch nicht und es ist deshalb nicht in jeder Hinsicht korrekt, Barth ins Spiel zu bringen. Doch manche Grundeinsichten der EmCh erinnern mich an das, was wir im Kulturprotestantismus schon einmal erlebt haben. Zum Beispiel:
    • Synthese von Christentum und Kultur.
    • Versöhnung von Frömmigkeit und liberaler Wissenschaft.
    • Weg von der Subkultur, als Christen die ganze Gesellschaft prägen. (Wie Sauerteig sollte der evangelische Glaube in Kultur und Gesellschaft aufgehen.)
    • Ineinssetzung von Reich Gottes und Weltverbesserung.
    Aber was passierte damals tatsächlich? Der Protestantismus wurde immer stärker von der ihn umgebenden Kultur vereinnahmt. Nicht Kirche formte Kultur, sondern die Kultur veränderte das Selbstverständnis der Kirche.
    Diese Versöhnung von Christentum und Kultur führte auch zu einem neuen Verständnis von Offenbarung. Der Offenbarungsbegriff wurde auf die Kultur und das Volkstum ausgedehnt. Die Deutschen Christen verstanden letztlich die deutsche Rasse als eine von Gott geschenkte Lebensordnung.
    (Nebenbemerkung: Diese Synthese von Glaube und Kultur übte damals bekanntlich auch auf konservative Christen eine enorme Anziehungskraft aus, weil zunächst konservative Werte gefördert wurden, vgl. z.B. Erich Sauer oder das Weisse Kreuz).
    Karl Barth stürzte dieser Kulturprotestantismus in eine Krise. Zum einen machte er die Erfahrung, das er seiner Gemeinde im kleinen Dorf Safenwill nichts mehr zu sagen hatte. Er verkündigte den Leuten ihre eigene Kultur, aber kein Evangelium, das von Gott kommt. Schließlich bemerkte er, wie seine Lehrer immer stärker von den Herrschenden dieser Welt instrumentalisiert wurden ohne es zu merken. Zu seinem Entsetzten fand Barth auf der Liste der Unterzeichner des so genannten “Manifest der 93 Intellektuellen” auch die Namen seiner Lehrer Adolf Harnack und W. Herrmann, die damit die Kriegspolitik von Kaiser Wilhelm II. unterstützten. 40 Jahre später schrieb Barth darüber:
    “Irre geworden an ihrem Ethos, bemerkte ich, daß ich auch ihrer Ethik und Dogmatik, ihrer Bibelauslegung und Geschichtsdarstellung nicht mehr werde folgen können, daß die Theologie des 19. Jahrhunderts jedenfalls für mich keine Zukunft mehr hatte.”
    So begann Karl Barth, ganz neu über Offenbarung nachzudenken. Die Theologie konnte seiner Meinung nach von Gott nicht mehr so weiterreden wie bisher. Barth setzte sich sogar mit der Frage auseinander, ob man von nun an überhaupt noch von Gott reden könne.
    Das Ergebnis dieser Krisis war die Neo-Orthodoxie. Barth kam zu der Überzeugung, dass die Synthese von Kultur und Evangelium den christlischen Glauben korrumpiert hatte. Wir müssen wieder ganz neu anfangen, auf das Wort Gottes zu hören, und zwar nur auf das Wort Gottes. Und so entstanden starke Aussagen wie:
    “Den Inhalt der Bibel bilden gar nicht Menschengedanken über Gott, sondern die rechten Gottesgedanken über den Menschen. Nicht wie wir von Gott reden sollen, steht in der Bibel, sondern was er zu uns sagt, nicht wie wir den Weg zu ihm finden, sondern wie er den Weg zu uns gesucht und gefunden hat … Das steht in der Bibel. Das Wort Gottes steht in der Bibel.”
    Oder:
    “Wenn ich ein ‘System’ habe, so besteht es darin, daß ich das, was Kierkegaard den ‘unendlichen qualitativen Unterschied’ von Zeit und Ewigkeit genannt hat, in seiner negativen und positiven Bedeutung möglichst beharrlich im Auge behalte. ‘Gott ist im Himmel und du auf Erden.’ Die Beziehung dieses Gottes zu diesem Menschen, die Beziehung dieses Menschen zu diesem Gott ist für mich das Thema der Bibel und die Summe der Philosophie in Einem. Die Philosophen nennen diese Krisis des menschlichen Erkennens den Ursprung. Die Bibel sieht an diesem Kreuzweg Jesus Christus.”
    Im Blick auf die Kontextualisierung finde ich die ersten Sätze seines Römerbriefkommentars besonders wichtig:
    “Paulus hat als Sohn seiner Zeit zu seinen Zeitgenossen geredet. Aber viel wichtiger als diese Wahrheit ist die andere, daß er als Prophet und Apostel des Gottesreiches zu allen Menschen aller Zeiten redet. Die Unterschiede von einst und jetzt, dort und hier, wollen beachtet sein. Aber der Zweck der Beachtung kann nur die Erkenntnis sein, daß diese Unterschiede im Wesen der Dinge keine Bedeutung haben.”
    Angesichts solcher Aussagen, kann ich nicht nachvollziehen, warum die EmCh Karl Barth für sich in Anspruch nimmt. Darüber hinaus befürchte ich, dass EmCh-Kreisen ähnliches widerfahren könnte, was der damalige Kulturprotestantismus erfahren hat: Das Evangelium wird von der Gegenwartskultur verschluckt.
    (Nebenbemerkung: Ich bin kein Barthianer und finde, dass der Schweizer überzogen und Gott zu weit transzendiert hat.)
    Natürlich ist Kulturfeindlichkeit keine wirkliche Alternative. Aber Thesen: “Wir brauchen eine Synthese von liberaler und evangelikaler Theolgie” (z.B. Tobias K.) führen bei mir fast zum Atemstillstand. Wie kann jemand über die Krise der Moderne philosophieren und gleichzeitg behaupten, in der Versöhnung mit der modernistischen Theologie läge ein Chance?
    Es gibt hier viel Gesprächs- und Denkstoff, für mich besonders über die möglichen Alternativen zur heutigen Situation. Die EmCh hat m.E. viele Fehlentwicklungen im Evangelikalismus trefflich diagnostiziert, denn auch weite Teil der evangelikalen Bewegung sind (blind) von Gegenwartskultur überfemdet worden. Nochmal: Die Ansätze von Thomas Weißenborn finde ich sehr ermutigend. Vielen Dank dafür!
    Liebe Grüße, Ron
    P.S. Ist es o.k., wenn ich den rein inhaltichen Abschnitt des Beitrages auch in meinen Blog stelle?

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  16. Vielen Dank. Das ist doch ein guter Anfang. Ich stelle den Post auf den ZeitGEist blog, damit alle (Angesprochenen) auch mitdiskutieren können. Du kannst deine Teile natürlich bei dir veröffentlichen.Ich werde die nächsten Tage sicher etwas ausführlicher auf deinen Post eingehen, nur so viel vorne weg, der Vergleich zwischen dem Kulturprotestantismus und emerging church mag sich zwar wegen dem großen Thema “Kultur und Evangelium” aufdrängen und auch sonst gibt es sich einige Parallelen (Reich Gottes, Gesellschaftsveränderung etc.), aber die gibt es sich auch bei anderen Epochen (Spätpietismus z.B.). Außerdem halte ich die geschichtlichen Übertragungen für gefährlich, da historische Situationen einmalig und nicht übertragbar sind. Das heißt nicht, dass wir aus der Geschichte nichts lernen können oder sollen. Ich sehe emerging church viel grundsätzlicher in der Korrelation des Paradigmenwechsel Moderne/Postmoderne mit dem Evangelium. Und da sind sich noch viele Fragen offen, da gibt es viel zu lernen und da sind noch einige Diskurse zu führen. Darauf freue ich mich schon.

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