“Gesellschaftstransformation Part 8”

Gesellschaft, Gesellschaftstransformation, Kultur & Glaube, Theologie
Mann nannte ihn einen Utopisten, einen hoffnungslosen Träumer, der die Realität der Wirklichkeit nicht anerkennen wolle. Die liberale Theologie schimpfte über die einfältige Theologie und die Konservativen über seinen naiven Pragmatismus. Die Presse machte sich lustig über seinen Idealismus und die hoffnungslosen Fälle, deren er sich annahm. Die Rede ist von Johann Hinrich Wichern, Hamburger Pastor, der sich von der himmelschreienden Not der damaligen Zeit berühren lies und nicht länger „nur predigen“ wollte. Durch regelmäßigen Hausbesuche war er nah dran an der Not seiner Zeit und diese Not lies ihn nicht los. Er fasste den Plan, umfassend und ganzheitlich zu helfen. Sozialarbeit, Bildung, Gesellschafts- und Kirchenkritik und praktischer Gottesglauben gehört für Wichern untrennbar zusammen. Und so finden junge Streuner, Kriegverletzte, Kriminelle und Obdachlose eine neue Heimat in von ihm gegründeten Rauhen Haus. Er selbst bildet die Erzieher für die „Familiengruppen“in Pädagogik, Psychologie und Bibellehre aus. Nicht Strenge und Härte sind seine pädagogischen Mittel, sondern Liebe und Respekt vor dem Kinde. So hieß er die Neuankömmlinge willkommen mit folgenden Worten: „Nur mit einer strengen Kette binden wir dich hier, du magst das wollen oder nicht, du magst sie zerreißen, wenn du magst. Diese Kette ist die Liebe und ihr Maß ist die Geduld.“ Seine Erziehungsmethoden waren für die damalige Zeit freiheitlich und erstaunlich erfolgreich. Aus der Arbeit erwächst nicht nur in Hamburg eine wachsende Arbeit, nein, Wicherns Vision ist größer, er baut Netzwerke und schreibt bis zu 5000 Briefe pro Jahr und kämpft um eine gesellschaftliche Erneuerungsbewegung in Staat und Kirche. Er hält 1848 eine beeindruckende Rede uf dem evangelischen Kirchentag in Wittenberg und mischt sich in die Politik ein. Vitaler Glaube statt verurteilender Moral, so kämpft Wichern manchen Kampf des Glauben und muss auch Rückschläge einstecken. So wollte er das Berliner Gefängnis „Moabit“ mit seinen „Methoden der Liebe“ verändern, was kläglich scheiterte. Aber er gab nicht auf. Seine Bemühungen blieben auch strukturell nicht unerhört. 1848 entstand die „Innere Mission“ die in der diakonischen Arbeit in Deutschland bis heute fortgeführt wird.
Heute vor 200 Jahren wurde Wichern geboren. Ein Grund mehr über Wichern, unsere Gesellschaft, die Kirche und Gerechtigkeit nachzudenken.

3 Comments

  1. darauf kommt es an! Glaubwürdigkeit, Stimme und Gehör bekommen wir nicht durch die kleinkarierte Verteidigung der richtigen Lehre, sondern durch die relevante und aktive Liebestat.
    Was ich dabei besonders bemerkenswert finde ist, wie bei diesen Einsichten die “Glaubens-Väter” meiner Kindheit (pietistisch-konservativer cvjm) in ganz neuem Licht erscheinen. Happy Birthday Johann!
    _ _
    michael

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