“Pluralismus in Theorie & Praxis?”

Christsein, Gemeinde, Mission, Theologie

Die letzten Woche denke ich immer wieder darüber nach, dass wir als Christen zwar über den Paradigmenwechsel hin zur Postmoderne viel geforscht und geschrieben haben, aber scheinbar doch nicht damit gerechnet haben, dass er tatsächlich real stattfindet. Ich habe den Eindruck, dass viele Gemeinden in Deutschland über die Auswirkungen überrascht sind. Man hat duzende Bücher gelesen, Vorträge gehört und diskutiert und hat es aber stets auf der Metaebene gesehen. Natürlich merkte man, dass Beziehungen eine gesteigerte Aufmerksamkeit im Kontext der Gemeinde brauchen, dass die Verbindlichkeit nachlässt und die Generation 19plus sich aus dem Gemeindeleben zurückzieht und dafür ist man auch bereit methodisch etwas zu tun, neue Musikstile, neue Namen, neue kreative Elemente, aber der Kern der Theologie und die Kategorien der Arbeit blieben oftmals gleich. Der Anstrich hat sich verändert, schimmert postmodern, aber der Inhalt ist gleich geblieben. Jetzt stellen wir in Deutschland fest, dass viele (junge) Menschen sich aber von der postmodernen Farbe nicht beeindrucken lassen, sondern den Inhalt kritisieren. Die Evangelikalen schreien dann erstaunt auf: „Halt, dass geht doch nicht, wir sind doch postmodern, wir wissen alles über Pluralismus und Individualismus, schaut unsere Fassade an!“ Aber in einer Gesellschaft die pluralistisch und individualistisch geprägt ist und so denkt und lebt, geht es nicht um die theoretische Analyse, sondern um die gelebte Auswirkung. Pluralismus ist dabei zum Schlagwort geworden, der symbolisiert, dass irgendwie alles nebeneinander steht. Dies ermöglicht vielfältige Chancen und eröffnet neue Chancen, gerade auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten. Aber da reicht ein neuer Anstrich nicht aus, da geht es um Inhalte und plötzlich merkt man, dass der Inhalt eine traditionelle dogmatische Theologie ist, die kaum dialogfähig ist und auf einem modernen Wahrheitsbegriff ruht. Dazu kommt, dass sich Menschen durch zu viele Wahlmöglichkeiten verunsichern lassen und sich an den Rändern sammeln. Dies gilt sowohl für den „linken Rand“, der idealisierend die Welt verändern möchte und dadurch wieder radikalisiert wird als auch für den rechten Rand, der sich in einer unsicher gewordenen Zeit verzweifelt an die „alte Wahrheit“ klammert und zum Fundamentalismus neigt. So verhärten mitten in einer pluralistisch lebenden Gesellschaft die Ränder, was viele Christinnen und Christen noch mehr verwundert, da man doch gerade dachte, die Postmoderne und den Pluralismus verstanden zu haben. Inhaltlich wird dies an „Mission“ sehr deutlich. Zwar hat sich der Begriff „missional“ in den letzten Jahren mehr und mehr durchgesetzt, aber die Konsequenz was dies im Leben zwischen Familie, Beruf und Kirche heißt, ist schwer umzusetzen. So versucht man die „Tat“ gegenüber dem „Wort“ aufzuwerten und die Grenzen zwischen „Kirche und Welt“ zu überwinden, aber wenn konkrete Anfragen kommen, verfällt man zu leicht wieder in die „alte Apologetik“ zurück. Dies wird besonders im interkulturellen Dialog deutlich. Andere Religionen werden von vielen Christinnen und Christen immer noch angstbesetzt gesehen und somit als „Feind“ deklariert, was besonders für den Islam gilt. Mit dieser inhaltlichen Füllung ist aber kaum ein Dialog möglich. Ein Dialog kann aber nur auf einer Basis des Respekts und der Achtung des Anderen gelingen und auf der Grundlage eines demokratischen Kontextes. Letzteres haben wir in Deutschland, nur beim erstgenannten hapert es noch, dabei schließen sich Dialog und Mission meiner Meinung keinesfalls aus.

17 Comments

  1. Um mal vom eigentlichen Postthema abzurücken (bei dem ich dir übrigens zustimme. Die Theologie scheint stehen geblieben zu sein, ebenso das Leben etlicher Menschen): Was wäre dann deiner Meinung nach der Inhalt des Dialogs mit dem Islam? Geht es, wenn sich Dialog und Mission nicht ausschließen, letztlich nicht doch darum, den anderen von der selbst erkannten “Wahrheit” und der Vorzüglichkeit des eigenen Glaubens, um nicht Religion zu sagen, zu überzeugen (ob mit Wort, Tat oder sonst was)?

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  2. Ich stimme dir da nicht unbedingt zu:

    Zum einen: Bewegt sich nicht auch deine Analyse auf einer “Meta-Ebene”? Über Postmodernität zu lesen und zu schreiben hilft uns allen nicht weiter – wo sind die Beispiele aus der Praxis, wie das anders laufen kann?

    Und zu Deinem Satz “…und plötzlich merkt man, dass der Inhalt eine traditionelle dogmatische Theologie ist, die kaum dialogfähig ist und auf einem modernen Wahrheitsbegriff ruht.” – hatte nicht Paulus genau dieses Problem in Athen, Korinth und den anderen “prä-postmodernen” Kontexten seiner Zeit? Und geht er da nicht rein mit “nichts als Christus, ihn aber als gekreuzigt”? Mag sein, dass wir der Selbstoffenbarung Gottes in einem modernen Wahrheitsbegriff zementiert haben. Deshalb ist die ursprüngliche Offenbarung Gottes aber noch lange nicht über Dialog definiert. Gottes Bundesschlüsse sind nie auf Augenhöhe geschlossen wordern – und das impliziert eine unpostmoderne, sperrige, alte, absolute Wahrheit.

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  3. @tobi: Ja, klar, aber die Grundsätze für einen Dialog sind ja nicht, dass man gleicher Meinung ist, sondern dass man eben unterschiedlicher Meinung ist. (Sonst bräuchte man ja gar keinen Dialog) Und dann beginnt der Dialog, mit Respekt vor der anderen Person und dessen Meinung, wenn das gegenseitig gegeben ist, kann man wunderbar diskutieren, auch über die “Vorzüge des eigenen Glaubens” und dann wird man sehen was passiert…

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  4. Die gesamte Diskusiion (Postmoderne und Gemeinde) findet auch meiner Meinung nach zu viel auf der Meta-Ebene statt. Das braucht es auf jeden Fall, doch dort sollte sie nicht stehen bleiben.
    Auch ich erlebe zunehmend wie Christen keinen Bock mehr auf Gemeinde haben. Ihr Bedenken, Gründe, Aussagen sollten wir sehr ernstnehmen. Zunehmend kommen wir Zweifel inwieweit Gemeinden sich verändern und wirklich einen neuen Ansatz leben können.

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  5. @pixelpastor: Natürlich bewegt sich das auch auf der Metaebene, aber nicht nur. Die Beispiele waren bei mir jetzt der APS Kongress und die traurige Geschichte im Jemen und die Auswirkungen (Diskussionen etc.).

    Mmmhh, beim zweiten Punkt ist eigentlich gerade Paulus in Athen ein gutes BEispiel (Apg 17): Er nimmt den kulturellen Kontext auf und diskutiert, erstaunlicherweise kommt z.B. Jesus gar nicht vor, ein Skandal!
    Dann würde ich unbedingt die Offenbarung GOttes und unseren verschiedenen theologischen (dogmatischen) Entwürfe unterscheiden. Das ist für mich nicht dasselbe. Aber selbst die Offenbarung Gottes ist hier auf Erde auch immer in einen kulturellen Kontext gegossen, sonst könnten wir sie ja auch gar nicht verstehen.

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  6. @martin: Ja, da gebe ich dir absolut Recht. Aber das ist gar nicht so einfach, da viele einfach Angst vor einer offenen Diskussion haben…

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  7. Klar kommt in Paulus’ Areopag-Rede Jesus vor: Apg 17,31: [Gott] “hat einen Tag festgesetzt, an dem er über die ganze Menschheit ein gerechtes Gericht halten will, und zwar durch den Mann, den er dazu bestimmt hat. Ihn hat er vor aller Welt dadurch ausgewiesen, dass er ihn vom Tod auferweckt hat.”
    Und gerade das Reden über Jesus und dessen Auferstehung spaltet die Hörer in Interessierte, Verärgerte und “Eine Entscheidung-Verschieber”.

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  8. @ulrich: Ja, er kommt vor, aber eben “kontextualisiert”, genau das soll das Beispiel ja sein. Sorry, hab ich mich schlecht ausgedrückt vorher…

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  9. @Tobi: Ich schätze Deine selbstkritischen Fragen und Dein Fragen nach Wegen zu den Menschen, aber:
    -mir fällt in Deinen posts immer wieder auf, dass bei Dir “alte Theologie”=dogmatische Theologie=überholt=modern/nicht postmodern=nicht mehr tragfähig=starr=angstbesetzt ist. Ich bekomme bei diesem “Eintopf” Bauchschmerzen, denn man kann aus meiner Sicht diese “Zutaten” nicht alle einfach so vermixen.
    -ich finde, dass Du sehr viele Schubladen bedienst. Deine Belehrung (wen hast Du denn da vor Augen?), dass ein Dialog nur auf der Basis des Respektes und der Achtung des Anderen gelingen kann, finde ich interessant, denn meine Wahrnehmung ist genau umgekehrt: Wir Christen haben so viel Respekt vor anderen, dass wir uns kaum noch trauen, unsere Überzeugungen mal deutlich und klar zu sagen, bzw. überhaupt keine klaren Überzeugungen mehr haben und unfähig geworden sind, argumentativ spontan irgendwo einzusteigen.
    -ich erschrecke, wenn Du schreibst, dass wir Christen Deiner Meinung nach nur unsere Fassade angestrichen haben. Dann wird es höchste Zeit, dass dieser “Lack” abgekratzt wird, denn um äußeren Anstrich geht es ja wohl überhaupt nicht. Könnte es sein, dass das ein tiefgehendes Problem darstellt, weil wir nicht begriffen haben, worum es wesensmäßig beim Evangelium geht? Dass Jesus nicht nur “das Sahnehäubchen” auf unser ansonsten gutbürgerliches Leben ist?
    Vielleicht ist es genau das: Menschen spüren schnell, ob etwas substantiell anders ist oder eben nur eine äußere Fassade. Darum: es muss nicht die “alte Theologie” verändert werden, sondern in uns muss wieder Gestalt gewinnen, was das Herzstück des Glaubens ausmacht: Erlösung durch Jesus, die frei setzt, die Kraft hat zur Veränderung.

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  10. @Tobi: Ich schätze Deine selbstkritischen Fragen und Dein Fragen nach Wegen zu den Menschen, aber:
    -mir fällt in Deinen posts immer wieder auf, dass bei Dir “alte Theologie”=dogmatische Theologie=überholt=modern/nicht postmodern=nicht mehr tragfähig=starr=angstbesetzt ist. Ich bekomme bei diesem “Eintopf” Bauchschmerzen, denn man kann aus meiner Sicht diese “Zutaten” nicht alle einfach so vermixen.
    -ich finde, dass Du sehr viele Schubladen bedienst. Deine Belehrung (wen hast Du denn da vor Augen?), dass ein Dialog nur auf der Basis des Respektes und der Achtung des Anderen gelingen kann, finde ich merkwürdig, denn meine Wahrnehmung ist genau umgekehrt: Wir Christen haben so viel Respekt vor anderen, dass wir uns kaum noch trauen, unsere Überzeugungen mal deutlich und klar zu sagen, bzw. überhaupt keine klaren Überzeugungen mehr haben und unfähig geworden sind, argumentativ spontan irgendwo einzusteigen.
    -ich erschrecke, wenn Du schreibst, dass wir Christen Deiner Meinung nach nur unsere Fassade angestrichen haben. Dann wird es höchste Zeit, dass dieser “Lack” abgekratzt wird, denn um äußeren Anstrich geht es ja wohl überhaupt nicht. Könnte es sein, dass das ein tiefgehendes Problem darstellt, weil wir nicht begriffen haben, worum es wesensmäßig beim Evangelium geht? Dass Jesus nicht nur “das Sahnehäubchen” auf unser ansonsten gutbürgerliches Leben ist?
    Vielleicht ist es genau das: Menschen spüren schnell, ob etwas substantiell anders ist oder eben nur eine äußere Fassade. Darum: es muss nicht die “alte Theologie” verändert werden, sondern in uns muss wieder Gestalt gewinnen, was das Herzstück des Glaubens ausmacht: Erlösung durch Jesus, die frei setzt, die Kraft hat zur Veränderung.

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  11. Nur in der Kürze einen kl. Randglosse:
    Wenn es um inhaltliche Vermittlungen innerhalb der gegenwärtigen Lebens- und Arbeitswirklichkeit geht, so werden interessanterweise innergesellschaftlich Bereiche, die sich selbst als Teilaspekte der Emerging Culture Formation bewusst sind (ich beziehe mich u.a. auf sämtliche Bereiche, die seit 2 Jahrzehnte in der mediensoziologischen Diskussion erwähnt werden, u.a. d. Bildungssektor, dank Evaluationpflicht von Learningunits) besonders über Mikro- und Makromodelle im Kontext des Wissensmanagement inkulturativ berücksichtigt …. also weniger Fokus auf die Meta-Ebene, denn die bringt bzgl. der Dekontextualisierung und anschließenden Rekontextualisierung von Vermittlungseinheiten didaktisch, d.h. damit auch vermittelnd, nichts.

    Themen die m.E. einer Beachtung gebühren, um Dein Anliegen in eine nachhaltige Aneignungsformation zu transformieren:

    1. Symboldidaktik (hat Jesus u.a. auch schon eingesetzt) – dieser Aspekt spielt hinsichtlich des Kontexts Pneumatologie und Kulturanalyse eine große Rolle und wurde in europ. Kirchen vielfach unterbewertet (vgl. auch Welker Pneumatologie).
    2. Homiletisch, religionspädagog. und bzgl. Inkulturationsprozesssteuerng wird in den Kirchen noch zu wenig rekontextualisiert, d.h. Installation von Relationsprinzipien, Vermittlungsmodellen ist defizitär; Mikro- und Makromodellen müssten anschließend gekonnt mehr Einsatz und Installation finden. Vor der Rekontextualisierung gehört eine Gewichtung auf die Dekontextualisierung, gerade hinsichtlich der zu vermittelnden Wissenseinheiten (bibl. theolog. Lehreinheiten, Vision, etc.), die jedoch in der gegenwärtigen Epoche als Medieneinheit erstellt werden müssten; könnte das mediensoziolog. begründen, warum ich das für wichtig erachte. Dies schließt ebf. die Analyse ein, welches Medienmodell man gegenwärtig einsetzen müsste, um innerkirchlich eine innergesellschaftlich nachhaltliche Immanez zu konstituieren.
    3. Didaktisch kann ich nur empfehlen sich mit den Themen “Bedingungsfelder” und Entscheidungsfelder” zu beschäftigen, denen wiederum die Analyse von rezeptiv., interakt. und kooperat. Wissen vorausgeht.

    Interdisziplinarität wird für die Fragestellung wie sich Wissen, Erkenntnis und Inhalt vermitteln und organisieren lässt, ebf. an Wichtigkeit gewinnen, weshalb ich mich aufgemacht habe, kl. Workbooks zu unterschiedlichen Themen zu verfassen, d.h. die interdisziplinär den Fokus Theologie und Mediensoziologie bündeln.

    Die Einleitung des ersten kl. Studienbüchleins gibt es hier: http://www.vindigni.de/Organisation in der Kirche.pdf

    Weitere sollen Folgen (z.B. Moderation mit Medien, Mediendidaktik und Homiletik, etc.)

    Buona sera.

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  12. @susi: Mit den Schubladendenken hast du schon Recht, auf der einen Seite kritisiere ich udn auf der anderen Seite nutze ich. Das ist ein guter Punkt. Vor Augen habe ich in diesem Fall die Reaktionen von einigen Christinnen und Christen im Kontext des APS Kongresses in MArburg und in der Presse dazu. Mit dogmatisch meine ich nicht eine bestimmte theologische Richtung, sondern eine “festhaltende Theologie”, wir brauchen eine gute Theologie und auch eine gute Dogmatik, sonst könnte ich gar kein theologischer Lehrer sein, aber wenn sie mehr dazu dient, einen bestimmten Lebensstil zu stützen, müssen wir darüber nachdenken. Deine letzten Worte kann ich nur unterstützen, danke.

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  13. @Tobi: Nur, um keine Verwechslung aufkommen zu lassen, der Kommentar von Suse ist nicht von Susi aus Cuxhaven ;-), obwohl ich ihn zum Teil durchaus unterschreiben würde!

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  14. ganz unqualifizierter Beitrag, aber “duzende Bücher” – davon wollte ich schon immer mal eins lesen 😉

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