“Interview mit Ron Sider”

Armut, Christentum

Dr. Ron Sider ist ein Theologieprofessor am Palmer Theological Seminary und seit den 70er Jahren bekannt für seinen Einsatz für Arme, Unterdrückte und Benachteiligte. Ich traf ihn auf einer Tagung und nutzte die Gelegenheit ihm ein paar Fragen zu stellen.

Du bist bekannt, weil du seit vierzig Jahren das Thema Armut thematisierst. Was hat sich in den Jahren verändert.

Sider: Es hat sich sehr viel verändert und doch zu wenig. Positiv ist anzumerken, dass sich Christen zunehmend dem Thema Armut annehmen und es mehr thematisieren. Aber sie tun zu wenig dagegen. Zumindest da wo ich es beurteilen kann, in Amerika, reden viele Christen jetzt über Armut aber es wird zu wenig getan. Denn die Situation im Bezug auf weltweite Armut hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht verbessert, sondern verschlechtert. Wir müssen endlich aufwachen.

Aber sollten sich die Christen nicht um das Seelenheil der Menschen kümmern?

Sider: Eines schließt das Andere ja nicht aus. Wir reden seit Jahren von einer ganzheitlicher Mission (holitic mission) in der Wort & Tat zusammengehört. Man kann es gar nicht trennen, es kommt auf die Situation an. Soziale Verantwortung und Evangelisation gehören zusammen und sind biblisch nicht zu trennen. Es gibt hunderte Bibelstellen, die davon berichten, dass Gott sich um die Armen und Benachteiligten kümmert. Es geht nicht nur um eine persönliche und individuelle Hilfe, sondern es geht bei Gott immer auch um strukturelle Veränderungen, wie der Exodus es zeigt, oder das Sabbathjahr, die Propheten wie Amos oder Jesaja.

Wie können denn Veränderungen aussehen?
Sider: Wir müssen uns in den Zeiten der Globalisierung auch um die Zusammenhänge und Ursachen von Armut kümmern. Wir müssen die Abhängigkeiten der unterschiedlichen Staaten erkennen und uns erst einmal gut informieren. Und dann beginnt das Handeln auf beiden Ebenen, im persönlichen Alltag und in größeren Zusammenhängen.

In deinem Buch: „Der Weg durchs Nadelöhr“ hast du etwas geschrieben über „progressive Selbstbesteuerung“? Was bedeutet das?
Sider. Wir haben in Amerika und ihr in Deutschland wahrscheinlich auch, einen progressiven Steuersatz, der je nach Einkommen ansteigt. Oftmals ist es aber so, dass gerade viele der sehr Reichen kaum besteuert werden. Als Christinnen und Christen sollten wir einen anderen Weg gehen, nämlich den der „progressive Selbstbesteuerung“. Jede/r sollte selbst überlegen, wie viele Steuern er/sie bezahlen soll. Je nach Einkommen beispielweise 1% mehr je 1000$ mehr. Es geht im Reich Gottes nicht darum, wie wir uns aus der Solidarität raushalten, sondern wie wir uns als Christen in gesellschaftliche Dinge einmischen, auch und gerade wenn es um Geld geht. Geld und Macht hängen biblisch unmittelbar zusammen und es tut uns gut, einen richtigen Umgang dazu zu finden.

Damit traust du uns Christen ja viel zu…

Sider: Ja, wenn nicht die Christen, wer dann? Wenn wir nicht anfangen konkrete Schritte zu tun, die uns auch „weh tun“, wer dann? Das Reich Gottes zeigt sich durch uns Christen mitten in der Welt.

Du hast in einem Seminar davon gesprochen, dass wir einen „biblischen Feminismus“ brauchen. Was verbirgt sich dahinter?

Sider: Mann und Frau sind im Ebenbild Gottes geschaffen und sollen auch gleichberechtigt Glauben und Handeln. Dies geschieht weltweit heute immer noch nicht und ist deshalb auch ein geistliches Problem in Gemeinde und Gesellschaft. Ein Vorbild ist dabei sicherlich Jesus und wie er Frauen in einer patriarchischen Zeit behandelt hat. Ich halte es für ein großes geistliches Problem in Amerika, dass Frauen in Gemeinden immer noch benachteiligt werden. Dies hindert den Wachstum des Reiches Gottes. Christen haben den Auftrag sich um Benachteiligte aller Art zu kümmern und sie in die Gemeinschaft des Reiches Gottes vollwertig aufzunehmen.

Was wünscht du dir von deinen deutschen Freunden?

Sider: Ich freue mich über die Entwicklung in Deutschland. Ich habe den Eindruck, dass hier viel ernsthafter Glauben gelebt wird als dies oftmals in Amerika der Fall ist. Ich hatte an diesem Wochenende viele Gespräche und ich war begeistert von der Motivation die in euren Gemeinden herrscht, gerade auch was das Thema Armut angeht.
Ich hoffe, dass du Recht hast. Danke für das Interview.

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