“Ab heute endlich radikaler!”

Kultur & Glaube, Transformation, Weltbild


In christlichen Kreisen erlebe ich es oft, dass in Predigten und anderen Veranstaltungen mit Appellen gearbeitet wird und ich selbst neige leider auch manchmal dazu. Jetzt endlich Christus richtig nachfolgen, authentischer, radikaler und ab heute werde ich dies und jenes endlich verändern. Die Motivation ist hoch und vielleicht bin ich dabei emotional berührt und das ist auch alles in Ordnung. Die Ernüchterung folgt oftmals mit ein paar Tagen abstand. Der Alltag scheint eine größere Schwerkraft zu haben als die eben noch erlebte Fliegkraft der geistlichen Veränderung. Zu der Ernüchterung kommt die Enttäuschung, vielleicht auch Zweifel, Wut oder Frustration auf Gott und mich selbst. Das Problem ist, dass Appelle zu kurz greifen, sie zielen auf unsere Glaubenspraxis, die aber von unserer Theologie, unserer Erfahrung und unserem Weltbild beeinflusst und gelenkt wird. Die Veränderungen spielen sich sozusagen auf der Oberfläche unseres Glaubens ab und haben so kaum Einfluss auf das was uns über Jahre (still und heimlich) geprägt hat. Das gilt auch für Streitigkeiten, die sich auf der „Ebene der Theologie“ sich abspielen. Man streitet zwar über Bibelstellen, theologische Ansätze und hermeneutische Unterschiede, aber oftmals liegt die Problematik viel tiefer und lässt sich auf der theologischen Ebene allein gar nicht lösen, sondern es muss ein tieferes Verständnis der eigenen Erfahrung und des eigenen Weltbildes erreicht werden. Das ist mühsam und braucht Zeit, aber es ist vielleicht die einzige Möglichkeit einen respektvollen Dialog zu führen und sich selbst und den Nächsten besser zu verstehen. Paulus war sich dessen bewusst und hat deshalb der Gemeinde in Rom geschrieben, dass es einen Veränderungsprozess des Denkens und Handeln braucht, der durch den Heiligen Geist geschieht.

10 Comments

  1. Gute Gedanken. Mir scheint, dass über die Denominationsgrenzen hinweg zwar unterschiedlich oft über den Heiligen Geist gesprochen wird, dass wir aber alle viel zu selten mit seiner verändernden Kraft in unserem eigenen Leben rechnen. Wahrscheinlich ist die beste Medizin gegen all diese ineffektiven 7-, 10- und 12-Punkte-Programme, die unter Christen immer noch so beliebt sind, ebenso simpel wie offensichtlich kompliziert: Der Heilige Geist. 🙂

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  2. Anonymous

    Yes. Ausserdem zeigt die Psycho-Forschung einen Unterschied zw “Goal Intentions” (Ich will radikaler werden) und “Implementation Intentions” (Was/Wann/Wie/Wo) im Sinne von, dass Letztere sehr viel effektiver in der Änderung vom Life-Style sind. Daher haben auch Predigten, die nicht nur Goals beinhalten, sondern auch ganz praktische kleine Umsetzungsschritte/anregungen geben wohl mehr Nachhaltigkeit 🙂
    LG, Julia

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  3. @julia: Danke, guter Hinweis und es man kann das ganze sicher noch um einiges erweitern, wie zum Beispiel die Altersphase, junge Menschen haben mehr “Recht” radikal zu sein! 😉

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  4. Tobias Rautenberg

    Sehr interessante Fragestellung für eine Predigt: Wie kann die Glaubenspraxis des Einzelnen bzw. der Gruppe beeinflusst werden? Wie kann eine solche Verkündigung den Einzelnen in seinem individuellem Weltbild/Erfahrung, geschweige denn Theologie ansprechen?
    Am Sonntag bin ich dran mit predigen – Vorschläge herzlich willkommen 🙂

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  5. Anonymous

    Was ich bei uns in der Vineyard sehr cool finde (weiß nicht, ob ihr das evtl. auch manchmal macht):nach der Predigt, kann jeder aufstehen, der in dem Bereich wachsen/lernen etc. will oder Veränderung braucht und der Prediger betet dann ganz konkret dafür. Ich finde das sehr hilfreich und gut, weil es mich als “Hörerin” direkt mit der Predigt connected, mich quasi auch n Stück zu einer Entscheidung herausfordert und ich dann Gott bitte, mich in diesem Bereich zu formen/zu ändern.
    Ist sicher nicht das Einzige, was dann alles “flutschen” lässt, aber für mich ist das immer ein Schritt in Sachen Predigt zur Praxis werden zu lassen.
    LG, Julia

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  6. @tobias & Julia: Ja, es ist wie immer, die Praxis ist komplexer als die Theorie! 😉 Ich glaube, dass wir die übersteigenden ERwartungen an Gottesdienst und insbesondere Predigten ein erster SChritt wären. Ein zweiter wäre die Integration des Gottesdienstes in den Alltag. Julia hat ja schon eine praktische Umsetzung beschrieben. Der Dualismus zwischen “Sonntag udn Montag” muss meiner Meinung geknackt werden. Gute Erfahrung habe ich schon damit gemacht, dass vom Gottesdienst ausgehend alls Kleingruppen versuchen das “gepredigte Wort” in der Woche praktisch zu leben udn umzusetzen…

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