“Noch mal: Teilen ist Leben”

Armut, Bibel, Evangelium

Auf meinem letzten Eintrag gab es ja eine lebhafte Diskussion an der ich nur bedingt teilnehmen konnte, deshalb wollte ich noch mal etwas ausführlicher auf Andreas antworten. Erstmal finde ich es gut und wichtig die Dinge zu hinterfragen und es ist sicherlich nicht so „schwarz-weiß“ wie wir (und ich) es manchmal gerne hätten. Wir sind bei allen nachdenken und ringen um die „Wahrheit“ doch Abhängige von unserem Weltbild, unserer Prägung, unserer Geistesgeschichte. Weshalb ich das jetzt extra betone? Weil ich glaube, dass es gerade bei der Thematik „Armut und Gerechtigkeit“ eine auffällige und auch existenzielle Rolle spielt. So ist ja nicht verwunderlich, dass Menschen unter Bedrängnis nach Gott schreien und auch die Bibel so verstehen. Dies war in der Bibel selbst schon so. Der Exodus geschah, weil die Israeliten so laut unter ihrer Last klagten und Gott ihr klagen hörte. Im mosaischen Gesetz ist die Armenfürsorge ein wichtiger Bestandteil und die Propheten ermahnten die Israeliten, wenn sie einander unterdrückten. Im Neuen Testament geht das weiter, Jesus ermahnt nicht die Armen, sondern die Reichen und die ersten Gemeinden teilten alles was sie hatten miteinander (zum Beispiel mit den hungernden griechischen Witwen). Die Bibel beschreibt sehr realistisch die Ungerechtigkeiten dieser Erde und sieht in Christus und dem Reich Gottes eine sichtbare Alternative. Dies hat nichts mit einer Ideologie zu tun und auch nicht mit einer Theologie, die besagt, dass Armut rettet oder alle Armen gerettet werden. Jesus kündigt in seiner ersten öffentlichen Rede sein Wirken und sein Reich an und er tut dies bewusst mit „materiellen Dingen“ mitten aus der Gesellschaft, denn da wo die Menschen tatsächlich leiden.

»Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen, 19 zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.« 20 Und als er das Buch zutat, gab er’s dem Diener und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge sahen auf ihn. 21 Und er fing an, zu ihnen zu reden: Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie diese Worte Jesu zu deuten sind? Wörtlich oder symbolisch? Wenn wir dann das Lukasevangelium lesen stellen wir auf fast jeder Seite fest, dass Jesus sich für die Armen, Kranken und Entrechtenden einsetzt und sich genau dieses Wort erfüllt. Dies bedeutet nicht, dass die geistliche Dimension bei Jesus fehlt und bei uns heute fehlen sollte. Beides gehört untrennbar zusammen, Wort & Tat. Es gibt deshalb kein Evangelium ohne Kultur und ohne soziales Handeln, damals bei Jesus und heute bei uns.

12 Comments

  1. Heute erst bei Shane Cl. gelesen, dass das “Gnadenjahr des Herrn” das Erlassjahr meinte. Somit kündigte Jesus eine politische und gesellschaftliche Wende an.
    Das Evangelium ist umfassend, soll den Einzelnen retten und genauso soziale Auswirkungen haben.

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  2. Hallo Tobi, danke für deine Eindrücke von der Konferenz.

    Ich denke, die Spannung, die manche empfinden, wenn auf einmal das NT quasi diesseitig ausgelegt wird, begründet sich in zwei Beobachtungen:

    Zumeist lesen wir das (reformatorisch-westliche interpretiertes) NT in das AT hinein. Wenn man anders heran geht, bleibt der Gedanke der doppelten Erlösung – Diesseits UND Jeseits – sicher stärker vorhanden. Man muss im Gegenteil im AT doch schon recht unexegetisch vorgehen, um die versprochenen konkretenen “Erlsöungen” die Israel verheißen bekommt und erlebt, nur jenseitig zu verstehen: Auszug aus Ägypten, EInnahme des Landes, die Kämpfe, der Wiederaufbau unter Nehemia etc etc. Das waren geschichtlich-konkrete Erlösungen . die natürlich sich darin nicht erschöpfen!

    Wenn man in dem Sinne das NT weiterliest, vermeidet man vielleicht die ausgeprägte Jenseitigkeit?

    Zweitens löst sicher der Hype an sich, der um ein bestimmtes Thema generiert wird, auch automatisch Ablehnung aus. Auch wenn das Social, wieder ins Gospel muss, ist Social nicht das neue Evangelium. Es wäre tatsächlich schade, wenn nun für wenige Monate alle auf soziale Sachen abfahren, ohne dass es in unsere Art Kirche zu leben integriert wird.

    Auf alle spannend finde ich da Matthäus 25, 31 ff. Wenn man das liest – die letzte Rede Jesu bei Mtt vor seinem Tod!! – hat sich jede Frage nach Erlösung geklärt: die, die HIER Erlösung für den im Nächsten versteckten Jesus bringen, (eben durch Kleidung, Nahrung, Fürsorge, Liebe, …), diese outen sich somit als Abonnenten für die ewige Erlösung. Das Abo fängt aber quasi hier an, als Geschenkabo. 😉

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  3. @berlinjc: Ja, das “Gnadenjahr des Herrn” ist sehr interessant, am Besten hat es meiner MEinung nach Christopher Wright in seinem Buch “The Mission of God: Unlocking the Bible’s Grand Narrative. Dort zieht Wright verschiedene Linien des AT bis hin zum NT, unter anderen das Gnadenjahr, aber auch Exodus, Bund, Erwählung etc., sehr interessant …

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  4. @BroccOli: Das ist ja mal ein gutes Motto! Vor allem hilft es beiden Seiten “heil zu werden”, mir als Gebenden, der doch tendenziell eher materialistisch udn auch egoistisch denkt und der Person mit der ich teile, ganz nach dem paulinischen Motto aus aus 1. Kor 4,7, dass wir uns sowieso nichts selber verdient haben, sondern alles was wir sind und haben ein Geschenk Gottes ist..

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  5. @markus: ja verstehe ich, dass mit dem “Hype” und den Empfindungen. Darum ist es ja gerade so wichtig, dass wir versuchen die ganzen Fragen theologisch auszuarbeiten, damit es die Substanz hat langfristig etwas zu verändern. Diakonische Arbeit ist nicht nur “Vergnügen”, sondern harte Arbeit, aber wem sage ich das! 🙂

    Aber gerade unsere “reformatorisch westliche Theologie” tut es gut sich mit anderen hermeneutischen Zugängen aus der “Zweidrittelwelt” zu beschäftigen, um ein weiteres Bild zu bekommen und zu lernen. Es geht ja hierbei nicht um “Abgrenzung”, sondern um “Ergänzung” oder wie David Bosch es formuliert, eine “kreative Spannung” auszubauen, aus der ein ganzheitliches Evangelium gelebt werden kann…

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  6. klar, gerne (würde ich sagen, da ich den link auch übernommen habe…).

    übrigens der link zu den vorträgen funktioniert leider nicht mehr…

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