“Pädagogik des Lobpreises”

Christsein, Gottesdienst

Der Moderator des Gottesdienstes begrüßt eloquent die Besucherinnen und Besucher des örtlichen Gottesdiensts und leitet geschickt vom Wochenspruch zu den wöchentlichen Abkündigungen über. Als nächstes kommt die Lobpreiszeit und die Lobpreisleiterin versucht die Konzentration der Leute ganz für sich zu gewinnen, indem sie auf Gott hinweist und den Heiligen Geist einlädt jetzt zu kommen. Die Tür geht auf und… Nein, natürlich nicht, so ist das ja auch nicht gemeint und natürlich weiß auch die Lobpreisleiterin, dass der Heilige Geist nicht kommen braucht, sondern dass sie sich sein Wirken und seine Gegenwart wünscht. Zwei Verliebte sitzen ja auch im Sonnenuntergang und sagen nicht: „Möchtest du mit mir das Verschwinden der Sonne an der hiesigen Erdkrümmung bestaunen.“ Also, der Heilige Geist soll wirken und die Lobpreisleiterin fährt fort: „Bitte fühlt euch alle völlig frei, ihr könnt sitzen bleiben, aufstehen, die Hände heben oder was immer eurer Tradition entspricht, kommt vor den Herrn und ehrt ihn mit ganzen Herzen“. Während ich noch überlege, was meiner Tradition entspricht und wo um alles in der Welt gerade jetzt mein Herz ist, blättert sie kurz in ihren Noten und sagt: „Zum ersten Lied stehen wir alle auf“. Da sitze ich nun und kämpfe wie ein pubertierender Junge, ob ich aufstehen soll oder nicht. Die eine Stimme sagt, dass ich aufstehen soll und mich einfach „auf den Lobpreis einlassen“ soll (sic!) und die andere Stimme sagt, dass sie sich jemand anderes suchen soll, den sie verarschen kann. Ich stehe auf und singe nicht mit. Schlechter Kompromiss beim Lobpreis. Aber ich scheine nicht der einzige zu sein, denn die Gemeinde spiegelt nicht im Entferntesten die Hingabe der Lobpreisband wieder, was diese auch zu merken scheint. Nach der dritten Wiederholung des zweiten Liedes, bricht die zu nehmend entnervte Lobpreisleiterin den Lobpreis ab und sagt in etwa folgendes: „Liebe Gemeinde, glaubt ihr, dass der Herr sich über unseren Gesang erfreut? Dass dieser Lobpreis ein Wohlgeruch für ihn ist? Ich glaube nicht, deshalb singen wir die ersten beiden Lieder noch einmal und wir stehen alle auf und singen aus ganzem Herzen mit und loben und preisen unseren Herrn.“ Ich denke, dass Wiederholung ein pädagogisches Prinzip ist und Minus und Minus wahrscheinlich nicht nur in der Mathematik plus ergeben und erhebe mich zur Wiederholung der Wiederholungen des ersten Liedes. Meine Gedanken sind weit weg und ich bemerke wie die Tür des Gottesdienstsaales offen steht, ich glaub, der Heilige Geist ist gerade doch raus gegangen….

15 Comments

  1. du sprichst mir aus dem herzen. mit dem lobpreis-musik-stil (hillsong & co) bin ich noch nie klargekommen (was wohl an meiner vorliebe für technoide klänge liegt) und das »freifühlen« und dann doch zum aufstehen »gezwungen« werden erzeugt in mir einen emotionalen mix aus urkomisch und tief traurig. meine besten lobpreiszeiten hatte ich nachts um 2-4 uhr in irgendeinem club.

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  2. Anonymous

    Ich hab dieses “freifühlen” und dann zum Aufstehen “gezwungen” werden immer so gelöst indem ich genau dem Wortlaut der Aufforderung gefolgt bin. Es wird nämlich meistens dazu aufgefordert aufzustehen aber nicht stehenzubleiben d.h. ich stehe auf (schlage ungern Wünsche aus) setzte mich jedoch kurze Zeit darauf wieder hin.

    Ich fände es gut wenn Lobpreisbands denen es wichtig ist dass jeder sich so gibt wie er will genau dies sagen und Bands die es bevorzugen dass alle stehen auch dies zum Ausdruck bringen. Es ist einem doch normalerweise niemand böse wenn man in einem netten Ton zum Ausdruck bringt dass man es gut fände wenn alle aufstünden.
    Irgendwie sind mir die Ansagen in Gottesdiensten oft zu verkrampft, vielleicht sollte man von Seiten der Musiker mal mehr drüber nachdenken.

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  3. @anonym: ja, ich geb dir recht, die Verkrampfung ist oft ein Problem, ob “Gehorsam” die Lösung ist, weiß ich allerdings auch nicht….

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  4. Anonymous

    Ich mag Lobpreis eigentlich sehr gern… aber ich find´s manchmal auch “gezwungen”… und ich überleg mir, ob den Leuten (und vielleicht mir selber) bewusst ist, was wir singen 🙂 wie z.B. wir freuen uns, sind begeistert, tanzen für Gott, stehen aber stocksteif vor unserem Stuhl… vielleicht muss “guter” Lobpreis einfach passieren, von innen heraus, weil Gott uns einfach begeistert und wir dann gar nicht mehr anders können als aufzustehen, die Hände zu heben oder anbetetend sitzen zu bleiben…
    Vielleicht müssen wir einfach ehrlicher sein… und auch mal sagen, ne, ich hab keine Lust aufzustehen… oder mal ein Lied einfach nicht mitsingen…
    Also, falls jemand eine “Lösung” hat….
    Siggi

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  5. Minus und Minus ergibt Plus? (In der Addition?) Weiß dein alter Mathelehrer, was du hier für Theorien verbreitest? 😉

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  6. Ich glaube ehrlich gesagt, dass der Heilige Geist am Ende nicht rausgegangen, sondern trotzdem reingekommen ist.
    “Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen…”
    Und das trotz seltsamer Moderation, trotz skurriler Ansagen, trotz unmotivierter Besucher.

    Wenn Gott nicht ein trotzdem-Gott wäre, könnten wir wahrscheinlich sowieso alle einpacken. Unverdiente Gnade…

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  7. Es gibt ein tierisch schlechtes Buch über Lobpreis, welches mir mal geschenkt wurde. Wenn du was zu lachen haben willst:”Der Halleluja-Faktor”

    In deinem Text kommt nur ein wenig das “magische Denken” zu kurz ;)…man begegnet ja Gott anscheinend auch im Lobpreis (wobei Gott wohl immer bei Pop-Liedern und vor allem Balladen gegenwärtig ist…eher selten bei Chor- oder “Minderheiten-Musik”….)

    Habe ja auch mal gehört dass Lobpreisleiter eine Geistesgabe sein soll. Der Herr schickt uns demnach wohl Menschen, die uns dazu bringen ihm im Darlene Czech-Stil zu huldigen…ich persönlich wundere mich dann immer, warum er nicht auch den Erhalt seiner grandiosen Schöpfung bedenkt, aber vielleicht denke ich da einfach nur zu kurz….

    Liebe Grüße und danke für einige Texte in letzter Zeit die aus der Seele sprechen!

    Tim

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  8. DanielD

    Ich sehe die Problematik auch. Und ich glaube, dass neue Wege wichtig sind. Dennoch habe ich meine Bedenken an dieser Diskussion. Oft sitzen wir im Gottesdienst als Zuschauer und evaluieren Predigt und Lobpreis. Ich erwische mich selbst ständig. Mich bringt es im Grunde keinen Schritt weiter. Wenn keine Vorwärtsbewegung entsteht (was natürlich sein kann), dann ist Kritik am Gemeindeleben eher destruktiv, oder? Wenn es beim Andersdenken bleibt – mh… Aber was ist mit alternativem Handeln? Ich erwische mich dabei, wie ich beurteile und verurteile und die Probleme des Gemeindelebens analysiere. Aber wenn ich meine Kritik in gute Ideen verwandeln kann, die die Gemeinde weiterbringen… das wär doch cool.

    @ TimA: Ich kann es übrigens nachvollziehen, dass Leute sagen, es gäbe die Geistesgabe des Lobpreisleitens. Auch wenn mich der Begriff etwas stört. Ich hätte dazu zwei Ideen: 1. Immer dann, wenn der Mensch eine Gabe einsetzt und Gott seinen übernatürlichen Fingerabdruck hinterlässt, ist das eine Gabe des Geistes oder 2. verschiedene andere Geistesgaben tragen zu einer Begabung der Lobpreisleitung bei, z.B. Prophetische Begabungen. Im Endeffekt kommt doch alles von Gott. Wenn wir es für ihn einsetzen, dann bekommen die Dinge eine göttliche Note:).

    Lasst uns doch Lösungen finden, die noch mehr Menschen helfen, ihrer Beziehung zu Gott Ausdruck zu verleihen. Noch mehr als Refrain-Wiederholungen und Popmusik;), aber auch nicht ohne bitte. Schließlich ist das für viele wichtig.
    Grüßchen
    Daniel

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  9. Anonymous

    Lobpreis soll nicht zu Herzen gehen sondern von Herzen kommen – so prüfe jeder sich selbst!

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  10. shaunthesheep

    wie ich DAS nicht mehr hören kann: “bitte fühlt euch einfach frei”….
    WER außer christen drückt sich so aus??? und was bitteschön meinen wir damit?? super posting, toby!!

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  11. Anonymous

    Das Schwierige ist wohl, dass wir Lobpreis nicht “machen” können, auch wenn das immer und immer wieder von den Lobpreisleitern oder Gottesdienstmoderatoren so bezeichnet wird.
    Lobpreis ist das was sich manchmal in uns ereignet wenn wir Lieder singen.
    Die Frage ist: Was in unserem Leben trägt dazu bei, dass dies öfter geschieht?

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