„Lob des Zweifels. Was ein überzeugender Glaube braucht“ von Peter L. Berger & Anton Zijderveld

Kultur & Glaube, Soziologie, Theologie

Der bekannte Religionssoziologe Peter L Berger hat sich für sein neues Buch Verstärkung vom Kultursoziologen und Philosophen Anton Zijderveld geholt. Zusammen entwerfen sie ein Bild des Glaubens, wie er in unserer westlichen Kultur leben und überlegen kann. Dies könne zum einen durch Abgrenzung (von Fundamentalismus und Relativismus) geschehen und zum anderen durch den Zweifel, der genau davor bewahren könne. Das Buch beginnt mit einer kurzen Beschreibung der Moderne als aufklärerischem Zeitalter (Voltaire, Comte etc.), dem Beginn der modernen Soziologie (Marx, Durkheim, Weber) und dem Irrtum der Säkularisierungsthese (sehr sympathisch wie Berger hier eigene Irrtümer zugibt). Auf dieser Grundlage erklären sie den Unterschied zwischen Pluralität und dem Pluralismus als Ideologie. Während die Pluralität Mensch, Gesellschaft und Religion durch die „Qual der Wahl“ oder wie Berger es schon in einem seiner früheren Bücher nannte, dem „Zwang zur Häresie“ zwar enorm herausfordere (manchmal bis zur Grenze), aber auch gleichermaßen bereichere, zwänge der Pluralismus durch seine ideologische Kraft die Menschen in den Relativismus. Damit sind die beiden Autoren auch schon beim ersten ihrer beiden „Feindbilder“, dem Relativismus. Ausgehend von einer Geschichte des Relativierens“ durch die letzten Jahrhunderte beschreiben die beiden die philosophischen und theologischen Vor- und Nachteile des Relativierens und enden bei den französischen Denkern Foucault und Derrida und dem Amerikaner Rorty, die aus dem Relativieren einen Relativismus gemacht haben und somit für das stehen, was heute Postmodernismus genannt wird. Und hier entwerfen Berger/Zijderveld eine düstere Zukunft, die aus dem guten Zweifel (des Relativierens) eine epistemologische Ideologie des Relativismus gemacht haben. Dieser, so die Autoren führe zwangsläufig zum Nihilismus und zur Dekadenz. Deshalb sei der Relativismus als mangelhaft abzulehnen (Seite 81). Das zweite abzulehnende Phänomen, welches gesunden Glauben verhindere, sei der Fundamentalismus. Berger/Zijderveld fangen wieder geschichtlich an und beschreiben die Anfänge des Fundamentalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Amerika und kommen dann zum religiösen und säkularen Fundamentalismus heute. Sie sehen Fundamentalismus als ein explizit modernes Phänomen, welche zum einen in totalitären Staatsformen (wie dem Nationalismus) und kleineren Glaubensgemeinschaften (Sekten oder andere Glaubensgemeinschaften etc.) vorkomme und eines gemeinsam hätten: Es gibt eine übergeordnete allumfassende Wahrheit und es darf keinen Zweifel geben. Der Fundamentalismus toleriere keine Zweifel, dies ist ein zentrales Merkmal, an dem man fundamentalistische Gruppen erkennen kann. Alle Zweifel daran werden im Keim erstickt, indem die „Leiter“ sie durch ihre Apologetik eindämmen (Um beten zu können, muss man nicht glauben, sondern betet einfach.) und die jeweilige Weltsicht im Individuum verortet wird . Damit endet für die Autoren sozusagen die Beweisaufnahme, denn indem sie feststellen, dass Relativismus durch ein Übermaß an Zweifel und Fundamentalismus durch zu wenig Zweifel sowohl für den Glauben als auch für die Gesellschaft von Nachteil sind, ja sogar eine Gefahr für die Demokratie darstellen (Seite 100). In der zweiten Hälfte des Buches zeigen Berger/Zijderveld ihre „mittlere Position“ auf, die mit einem „redlichen Zweifel“ einhergeht.

Sie beginnen ihre Argumentation mit der Grundlage, dass Gewissheit und Zweifel ein unauflösbares Paar seien und Gewissheit sich in grundsätzlichen Wahrheiten der Menschheit zeigten, wie zum Beispiel der Mathematik. Die Wahrheit, dass fünf plus fünf zehn ergibt sei keine erlernte Wahrheit, sondern eine angeborene Wahrheit und gehöre in allen Kulturen zum gesunden Menschenverstand. Ebenso ist es mit der Sterblichkeit oder anderen menschlichen Logiken, die niemand bestreiten würde. Hierzu zähle auch der philosophische und theologische Wahrheitskanon, der einem helfen würde, die eigenen Zweifel einzuordnen und zu prüfen. Darauf aufbauend gäbe es aber eine ganze Menge menschliche Errungenschaften, die sich in unterschiedlichen Kulturen in unterschiedlichen Werte und Normen zeigten und die eine große „Grauzone“ darstellten. Um hier zu einer Gewissheit zu kommen, sei der Zweifel enorm wichtig, um nicht zu einem „fraglos Gläubigen“ zu werden, der wieder in den Fundamentalismus abrutscht. Auch hier sehen Berger/Zijderveld wieder die „mittlere Position“ des Zweifels, der nicht alles (um nicht auf der anderen Seite in den Relativismus abzugleiten) anzweifle, sondern im richtigen Maß zweifle. Dazu geben sie den Lesern sieben Grundlagen an die Hand, die dabei helfen sollen: 1. Die Differenzierung zwischen dem Kern der Position und eher marginalen Komponenten 2. Eine Offenheit für die Anwendung der modernen historischen Wissenschaft und der eigenen Tradition 3. Ablehnung des Relativismus als Ausgleich zur Ablehnung des Fundamentalismus 4. Akzeptanz des Zweifels als Träger einer positiven Rolle in der je eigenen Glaubensgemeinschaft 5. Definition des „Anderen“ die nicht die eigene Weltsicht teilen, auf eine Art und Weise, die sie nicht als Feinde kategorisiert 6. Entwicklung und Instandhaltung von Institutionen der Zivilgesellschaft, die friedliche Debatten und Konfliktlösungen ermöglichen und 7. Akzeptanz von Wahlmöglichkeiten , und zwar nicht nur als empirische, sondern als moralisch wünschenswerte Tatsache. Darauf aufbauend erklären die Autoren auch die Grenzen des Zweifel als einen wichtigen Punkt, da es auch für den Zweifel kognitive und moralische Grenzen gäbe. Das letzte Kapitel versucht das bis hier Gelesene praktisch in einer „Politik der Mäßigung“ anzuwenden.

Berger/Zijderveld haben ein kluges und in sich plausibles Buch geschrieben, welches, durch viele philosophische und theologische Beispiele angereichert, leicht zu lesen ist und in sich stringent und überzeugend ist. Die große Linie von Hegel über Durkheim hin zur Frage der konstruierten Wirklichkeit (und dem berechtigten Zweifel daran) wird plausibel erklärt. Mit ihrer Grundthese der „mittleren Position“ haben sie meiner Meinung auch grundsätzlich Recht. Doch auch hier sind Zweifel angebracht. So schlüssig ihre Argumentation auch ist, so schwierig wird sie, wenn man einige Positionen anzweifelt. Dies kann an mehren Stellen geschehen, eine möchte ich kurz aufgreifen. Was ist, wenn der Relativismus sich nicht nur in einem Postmodernismus zeigt, also in einer extremen Form, die alles anzweifelt und dekonsturiert? Was ist, wenn trotz der stringenten Argumentation von der Aufklärung bis heute durch viele Fragen nicht schlüssig beantwortet werden? Wenn die daraus gefolgerten sieben Schlüsse für die Moderne gut funktionieren, aber keine universalen Antworten geben? Die Reformatoren kommen beispielsweise nach der Beurteilung von Berger/Zijderveld schlecht weg, weil sie nach ihrem Verständnis fundamentalistisch glauben und zu wenig zweifeln. Aber müsste man sie nicht aus ihrem Weltbild und ihrer Situation bewerten und nicht von einem modernen Weltbild her? Inhaltlich fehlt meiner Meinung eine Diskussion über die große soziologische und theologische Debatte um die Nachmoderne. Warum? Ob sie es nicht für nötig halten oder ob es nicht in ihrer Plausibilitätsstruktur passt, sei dahin gestellt. Schade ist es allemal.

Berger/Zijderveld haben ein spannendes, gutes und populär geschriebenes Buch verfasst (leider komplett ohne Quellenangaben), dessen Plädoyer für einen gesunden Zweifel hilfreich ist Wer einen gut lesbaren Überblick zum Thema funktionaler Glauben (nicht substanzieller!) und Zweifel im gesellschaftlichen Kontext sucht, ist hier richtig. Aber auch hierbei sollte auf die Autoren gehört und das Buch mit einem gesunden Zweifel gelesen werden.

4 Comments

  1. Hört sich interessant an (gute Rezension auch).

    Ein paar Fragen/Anmerkungen:
    “2. Eine Offenheit für die Anwendung der modernen historischen Wissenschaft und der eigenen Tradition.”
    Verstehe ich nicht. Anwendung der hist. Wissenschaft UND der eigenen Tradition? Wie soll das aussehen? Liegen die nicht oft genug konträr zueinander?

    “Aber müsste man sie nicht aus ihrem Weltbild und ihrer Situation bewerten und nicht von einem modernen Weltbild her?”
    Als angehender Historiker würde ich immer argumentieren, dass wir mit unseren je neuen Fragen aus der Gegenwart (und unserem gegenwärtigen Horizont und Problembewusstsein) an die Vergangenheit herantreten müssen, um sie kritisch einordnen zu können (was nicht “verurteilen” bedeutet…). Wie sollte das “aus ihrem Weltbild und ihrer Situation bewerten” vernünfitgerweise aussehen? Wir können unseren biographischen und intellektuellen Hintergrund sowieso nie ganz ausblenden – besser also, wir thematisieren ihn. Außerdem wäre historistischem Relativismus Tür und Tor geöffnet.
    Ein Beispiel: Man kann den Aufstieg Hitlers aus der Zeit heraus erklären, aber willst du wirklich, dass wir ihn auch aus der Zeit heraus bewerten?

    Die fehlenden Literaturangaben sind wirklich ärgerlich. Nichtmal “further reading”, o.ä.?
    Aber klingt trotzdem interessant. Magst du’s mir mal ausleihen, wenn ich wieder in MR bin? 🙂

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  2. Danke für deine Anmerkungen.

    Vielleicht wäre die Formulierung “Wissenschaft AUF die eigene Tradition” klarer, oder? Es geht ihnen um die Anerkennung des eigenen Kontexts der Tradition…

    Die zweite Anmerkung ist sehr hilfreich, es gehören sicher beide Perspektiven (untrennbar) zusammen. Mir ging es vor allem um die Einseitigkeit der Autoren, natürlich sieht man die Dinge nach der Aufklärung anders als vorher, was ja auch hilfreich und gut ist, aber um die historische Situation zu verstehen muss ich auch das damalige “Weltbild” verstehen oder mich zumindest darum bemühen.

    Ist es so verständlicher?

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