“Weltbild & Wahrheit” Part 2

Kultur & Glaube, Weltbild

Der letzte Blogeintrag hat doch mehr Diskussionen hervorgebracht als ich es gedacht hätte. Dabei sind es ja erst die Vorüberlegungen und die spannenden Fragen kommen ja erst noch. Anyway, mal sehen was noch passiert, ist ja auch ein sehr spannendes und herausforderndes Thema, das man auch ohne die beiden Schlagwörter (Weltbild& Wahrheit) populärer mit der Frage ausdrücken könnte: Ist die Biographie ist stärker als Theologie? Gerade der Blick in die eigene Geschichte, die eigene Biographie ist, in diesem Zusammenhang von Nöten. Prof. Dr. Arbogast Schmitt, Philologe der Philipps Universität Marburg, sagte auf seiner Abschiedsvorlesung diesen Sommer zum Thema „Wissenschaft und Bildung“ den schönen Satz: „Es ist ein großer Irrtum zu glauben, die Geschichte beeinflusst einen nicht, solange man sie nicht kennt.“ Es ist deshalb geradezu unsere Pflicht sich dem eigenen Vorverständnis und der kulturellen Prägung zu stellen, besonders, wenn es um das Thema Religion und dort im speziellen um den Glauben an Gott geht. In christlichen Kreisen gibt es eine große Vielfalt und Unterschiedlichkeit, dies ist auch sehr zu begrüßen – weniger zu begrüßen ist oftmals der Umgang damit. Es gibt Streitigkeiten und gegenseitige Verletzungen, Kirchenaustritte und Ausschlüsse, ja sogar ganze Kirchen können sich darüber spalten. Dabei werden oftmals exegetische oder theologische Diskussionen geführt, die aber manchmal nur „Scheingefechte“ sind, da die Ursachen viel tiefer liegen, nämlich in unterschiedlichen Weltbildern. Deshalb lohnt es sich, die großen und kleinen Geschichten und Biographien der Anderen kennen zu lernen und die tiefere Konstruktion des Gesagten zu verstehen und darauf dann angemessen zu reagieren. Vielleicht ließen sich so sehr viele Streitigkeiten vermeiden, vielleicht sogar die meisten….

34 Comments

  1. „Es ist ein großer Irrtum zu glauben, die Geschichte beeinflusst einen nicht, solange man sie nicht kennt.“

    Sehr feiner Spruch. Als Anregung: Geschichte ist niemals losgelöst von ihrer Perspektivität. Es sind viele Geschichten innerhalb einer Gemeinschaft im Umlauf, die das kollektive Gedächtnis bilden und Identitätsstiftend sind. Als Geschichtslehrer ist es mir immer ein Anliegen, diese Geschichten multiperspektivisch zu betrachten. Nur so kann man beispielsweise Feindbilder hinterfragen…Natürlich können wir keinen objektiven Standpunkt einnehmen, aber der Versuch, Geschichten aus einer anderen Perspektive zu verstehen ist vielleicht ein guter Vorsatz in eine richtige Richtung…

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  2. Hatte ja schon zu Part 1 dumme Fragen im Kopf, aber leider keine Zeit sie zu stellen. 🙂

    Musste jetzt bei Part 2 direkt an Hans-Georg Gadamer denken. Kennst du seinen Text “Wahrheit und Methode” von 1960? Hatte für mich fast Offenbarungsqualität, als ich ihn zum ersten Mal las.
    Ich zitiere mal stellvertretend:

    “In Wahrheit gehört die Geschichte nicht uns, sondern wir gehören ihr. Lange bevor wir uns in der Rückbesinnung selber verstehen, verstehen wir uns auf selbstverständliche Weise in Familie, Gesellschaft und Staat, in denen wir leben. Der Fokus der Subjektivität ist ein Zerrspiegel. Die Selbstbesinnung des Individuums ist nur ein Flackern im geschlossenen Stromkreis des geschichtlichen Lebens. Darum sind die Vorurteile des einzelnen weit mehr als seine Urteile die geschichtliche Wirklichkeit seines Seins.
    [Gadamer: Gesammelte Werke, Bd. 1, Tübingen 1990, S. 281, Hervorhebung im Orig.]

    (PS: Die Historiker sind nicht (mehr) so methodenfeindlich, wie wir bei empirica immer kokettieren… ;-))

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  3. @Jason: Danke, ja gerade die multiperspektivischen Perspektiven sind wichtig, weshalb wir die Gemeinschaft und den Blick des Anderen so nötig brauchen, auch wenn es unbequem erscheint…

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  4. @Daniel: Danke für den Hinweis auf diesen “Klassiker” und es motiviert mich den guten Gadamer mal wieder zu konsultieren, ist schon einen Weile her, seit ich gelesen habe….

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  5. @anonym im letzten Eintrag und passend zu den “Perspektiven”: Als scheidender Afrikamissionar stellt sich das Thema “fragender” dar. Es geht fast nie um etwas, dass ich implementieren will sondern immer um die Herausforderung “wo passe ich eigentlich rein”. Und wenn andere Kulturen (Wahrheiten) auf mich einprallen, passt es immer weniger, weil meine Perspektiven schwinden oder verschwimmen…

    Ich hinterfrage ständig. Mich und andere. Und ich habe das Gefühl, dass es mit Glaubenswahrheiten auch nicht mehr anders geht… Hinterfragen, weil die Perspektiven so unterschiedlich sind. Problematisch aus meiner Erfahrung ist dabei, dass ich ungeduldig bin mit Menschen die nicht hinterfragen wollen. Menschen die Festhalten. Das wirkt oft sogar arrogant, obwohl es aus Verunsicherung entspringt…

    Dabei kann Hinterfragen so ermutigend sein…

    Wirr, dafür diesmal nicht polemisch 😉
    Matze

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  6. Mit Hilfe der Diltheyschen Kritik der historischen Vernunft wird eine neue Runde von Entmythologisierung der biblischen Botschaft eingeläutet.
    Mal sehen, was nach der Dekonstruktion von Gott und dem Evangelium übrig bleibt (bzw. neu konstruiert wird).

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  7. p.s. Hier vollzieht die Theologie (mal wieder) Prozesse nach, die die Existenzphilosophie mit anderer Begrifflichkeit längst vollzogen hat. Kants “epistemologisches Subjekt” wurde mit Hilfe von Männern wie Kierkegaard und Jaspers aus dem Singular in den Plural gehoben: “Kollektives Bewusstsein eines Kulturkreises” etc.
    So lasst uns als moderne Christen den modernen Theologen folgen und, unterstützt von den modernen Philosophen und Wissenschaftlern, gemeinsame Sache mit den Naturalisten in ihrem Programm machen, selbst noch die letzte Spur eines transzendenten Gottes auszuschließen, der irgendwie vom Menschen konzeptionell erkennbar und geschichtlich identifizierbar ist.

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  8. Hans-Christian: Mmhh, würdest du behaupten, dass es unter uns Menschen nur ein richtiges Weltbild gibt? Eine richtige Erkenntnis? Und nur eine richtige Wahrheit?

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  9. Das würde ich schon behaupten, und wir sollten alle auf dem Weg dahin sein.
    Es wird auf alle Fälle kein synkretistischer Kompromiss sein, und falsche Prämissen sind eher hinderlich.

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  10. Lieber Hans-Christian, sorry, dass ist mir ein bisschen zu billig, du hast die Wahrheit, ich weiche von deinen Vorstellungen ab, also bin ich ein Synkretist. Du bist zu schlau, um mir so was verkaufen zu wollen…

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  11. Du bist nicht deshalb ein Synkretist, weil du von mir abweichst, sondern weil du offensichtlich meinst, es gebe mehrere “richtige Wahrheiten”. Wie soll denn das gehen? Dürfen die sich auch diametral widersprechen?

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  12. Wenn wir inhaltlich voneinander abwichen, wäre das sicher zu klären, doch offenbar weichen wir epistemologisch und methodisch voneinander ab.
    Das ist dann schwer. Wie bei Wittgensteins Sprachspielen, wo einer die Spielregeln des anderen nicht kennt, oder anerkennt.

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  13. p.s. auf alle Fälle heißt es bei amazon zu dem Titel: “Kunden, die Artikel gekauft haben, welche Sie sich kürzlich angesehen haben, kauften auch: “Würde Jesus bei ikea einkaufen?”

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  14. Wenn ja, ist dir sicher nicht entgangen, dass dieses geschichtsrelative Heilsdenken seine Wurzeln eher in der Existenzphilosophie von Heidegger und der neuen Hermeneutik seines Schülers Gadamer als im Christentum hat.

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  15. Ja klar, kenne ich Cullmann.
    Übrigens gibt es keine neutrale oder gar objektive Theologie, es gibt immer kulturelle und philosophische Einflüsse…

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  16. Klar, keine historische, objektive Offenbarung, kein konzeptionell erfassbarer, geschichtlich identifizierbarer Gott, Glaube findet im nominellen Raum statt. Kant sei Dank. Und mit ihm Schleiermacher. Vielleicht lassen sich mit solchen Gedanken ein paar Gebildete unter den postmodernen Verächtern gewinnen. Mit der schönen neuen „Geschichtsbewusstseins“-Hermeneutik wird das Heilshandeln in einen übergeschichtlichen Raum katapultiert, Christus wird eine Projektion des menschlichen Ideals und kommt als „Christusereignis“ zurück. Das lässt dem Menschen seine Freiheit, die durch den souveränen Gott des reformatorischen Christentums so unzumutbar eingeschränkt war.

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  17. p.s. Ich bin gerade so begeistert von dem Gedanken: Ja, und wenn Glaube sich nun auf den nominellen Raum beschränkt, wie Kant deutlich gemacht hat, dann hat Gott auch im Bereich der theoretischen Vernunft nichts mehr zu suchen, ist also auch kein intellektueller Anstoß mehr für die autonome Vernunft des postmodernen, freien Menschen. Endlich wurde die Religion vom Muff der “objektiven” Offenbarung, vom Irrweg des „Gottes an sich“ und „Menschen an sich“ befreit und hat ihre wahre, menschenwürdige Form gefunden. Gott ist Gott in der Begegnung mit dem Menschen, und der Mensch ist Mensch in der Begegnung mit Gott. Im Christusereignis findet der Mensch zu sich selbst, zu seiner wahren Freiheit und Größe. Der Glaube ist das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit von etwas Höherem, und dieses Höhere ist das Ideal des Menschen.

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  18. Yep, ich hab es verstanden und du hast mich überzeugt und ich weiß jetzt, dass ich die objektive Wahrheit gefunden habe! Danke. Jetzt bin ich ganz sicher, dass alles was ich weiß und glaube wahr ist. Schlecht für dich, denn du bist mit deinem synkretistischen Weltbild leider auf dem Holzweg, aber sei getrost Bruder, ich bete für dich. 🙂

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  19. Dein Wissen beschränkt sich auf den phänomenalen Raum.
    Aufgrund deiner Prämisse kannst du kein allgemeingültiges Wissen haben und formulieren. Es würde nur für dich gelten und nur für den Zeitpunkt. Der Fokus der Subjektivität ist ein Zerrspiegel.
    Über den transzendenten, fernen, unbekannten Gott lässt sich gar nichts sagen, erst recht nicht in konzeptioneller, dogmatischer Form.

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  20. Nun, die Vertreter des “geschichtlichen Bewusstsein” sind sich gewiss, eine einheitliche Sicht menschlicher Erfahrung erreicht zu haben. Sie haben aller Welt gezeigt, dass nichts für den Menschen Bedeutung hat, es sei denn, es ist das, was ist, aufgrund der Bedeutung, die ihm durch das “geschichtliche Bewusstsein” zugemessen wird. Sie haben deutlich gemacht, dass das geschichtliche Bewusstsein die Voraussetzung für die Möglichkeit ist, Bedeutung in der menschlichen Erfahrung zu entdecken. Um dies zu leugnen, so sagen sie, müssten wir es erst bestätigen.
    Damit aber wird das Bwusstsein den Elementen des Zufalls unterworfen. Wir sagen, kein Bewusstsein kann existieren, das nicht aus der Quelle des Zufalls entsteht. Wir sagen, dass wir Gott nicht kennen können, außer durch den Filter des “geschichtlichen Bewusstseins”. Wir versuchen, ihn nach unserem Ebenbild zu rekonstruieren; wir lassen “ihn” als Ideal allgemeiner, wahlloser Liebe entstehen, und fallen vor diesem Götzen, den wir gemacht haben, auf die Knie.

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  21. p.s.
    Jeder, der die Argumente derer verfolgt, welche die biblische Bundesbeziehung zwischen Gott und dem Menschen im Einklang mit den Vorgaben des “geschichtlichen Bewusstseins” interpretieren, wird ein Stückweit erkennen, dass die Prinzipien, die in der Idee des “geschichtlichen Bewusstseins” impliziert sind, unweigerlich zu reinem Solipsismus und in den Abgrund der Zusammenhanglosigkeit führen.

    Du siehst, ich bin nachtaktiv 😉

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  22. Wenn du schreibst, es gäbe keine objektive Theologie, so ist das auf der Basis deiner Ontologie konsequent. Jesus kann dann nicht mehr Objekt oder Gegenstand unseres Glaubens genannt werden. Die entscheidende Gabe Christi ist der Glaube, der die Existenz gewiss macht, d. h. der auf ihren Grund hinweist und sie somit begründet.
    All das geschieht im Namen des “geschichtlichen Bewusstseins”. Auf einer Eisscholle inmitten eines bodenlosen, uferlosen Ozeans stehend, projizieren deren Vertreter einen Gott in die unendliche Finsternis, um dann zu versichern, dass dieser Gott zu allen Menschen, überall in Christus herabkommt, um ihnen zu verkünden, dass jetzt und in aller Zukunft für die gesamte Menschheit alles gut werden wird.

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  23. Toby, wenn du schreibst (24. März), dass es “keine neutrale Theologie” gäbe, so stimme ich dir insofern zu, als dass unsere Theologie immer von gedanklichen Voraussetzungen bestimmt wird. Je nachdem, ob ich den absolut bewussten, selbstbestimmten, souveränen Gott voraussetze, oder denjenigen, über den wir „an sich“ gar keine Aussagen machen können, sondern der sich in Beziehung mit dem Menschen „ereignet“, entwickelt sich meine Theologie in entgegengesetzte Richtungen: die klassisch orthodoxe, du würdest sagen, „objektive“ Theologie der Reformation, oder die moderne „Pro-Me-„, oder Prozess-Theologie des Christusereignisses.

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