„Gemeinschaft: echte Begegnung oder Konsumware?“

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Das Thema Gemeinschaft ist ja allgegenwärtig und bei unserem letzten theologisch-pädagogischen Studientag ist mir ein Gedanke dazu hängen geblieben, der mich in den letzten Tagen immer wieder ins Nachdenken gebracht hat. Der jüdischer Religionsphilosoph Martin Buber hat in seinen Schriften (Der Weg des Menschen, Ich & Du oder Das dialogische Prinzip) die Beziehungsebenen einer Gemeinschaft in zwei Ebenen unterteilt. 
A) Die „Ich – Es Beziehung“: Sie beschreibt die funktionale Beziehungsebene, die danach fragt, wie Dinge funktionieren, was machbar ist oder was mir das bringt? Es geht also um die alltäglichen Beziehungen des Menschen zu den Dingen, die ihn umgeben. Bsp. Baum: Wie viel Papier der Baum wohl ergibt? Bsp. Gemeinde wird zum Konsum: Was bekomme ich von diesem Gottesdienst? Bsp.: Gott: Was kann er heute für mich tun! Gott nimmt eine bestimmte Funktion für mich ein: Gott muss mir das Geben was ich brauche: Gebetserhörungen, Heilung, Hilfen im Alltag 
B) Die „Ich – Du Beziehung“: Sie beschreibt die Beziehungsebene des Menschen mit seinem innersten und gesamten Wesen. In einer Begegnung, in einem echten Gespräch begegnet sich die Menschen (aber auch die Schöpfung und Gott). In diesen Begegnungen findet der Mensch seine Identität, wächst tatsächliche, sinnstiftende Gemeinschaft. Die „Ich – Es Beziehung“ kann unsere innere Sehnsucht nach Gemeinschaft und unsere Anlage auf Beziehungen nicht stillen! Bsp. Baum: Derselbe Schöpfer, sowohl vom Baum als auch von mir! Gott als Schöpfer verbindet mich durch ihn selbst mit dem Baum, er stellt dann mehr als einen Gebrauchsgegenstand dar. Bsp. Gemeinde: Der Gottesdienst wird nicht auf die eigene Konsumhaltung reduziert in dem ich frage, was ich heute mitnehmen kann, sondern es wird gefragt wie echte Begegnung mit Gott und den Menschen möglich ist. Was ist mein Part dabei? Bsp. Gott: Nicht auf Gott als „Daddy“ reduzieren, der alle meine Wünsche erfüllt und nur für mein Wohlbehagen sorgt! Sondern mit Respekt und Ehrfurcht ist eine echte Begegnung mit Gott möglich.
Diese Beziehungsebene wird gelebt, kennt Höhen und Tiefen und muss gepflegt werden. Dafür brauche ich Zeit und wir müssen miteinander reden, essen, teilen – sich kennen lernen. Eine spannende Reise in die Gemeinschaft. Buber sagt, dass diese Reise anfängt mit: „Bei sich beginnen, aber nicht bei sich enden, von sich ausgehen, aber nicht auf sich abzielen, sich erfassen, aber nicht sich mit sich befassen.“ Dies ist das Gegenteil von einer individuellen, geistlichen Nabelschau, die Gemeinschaft nicht durch eine Konsumhaltung zeigt und auch nicht durch einen übertriebenen Aktionismus.
Illustration: Matthias Gieselmann, aus “Emerging Church verstehen

20 Comments

  1. Danke für das Posten und die Erinnerung an Martin Buber. Die Illustration ist gut. Ich erwische mich dabei dass ich manchmal wie die beiden sitze und aber sage, “dass macht der da vorne gar nicht gut”.

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  2. Gutes Bild, guter Kommentar und wieder ein weises Wort von Buber.

    Die Konsumhaltung habe ich auch regelmäßig, jedenfalls während der Predigt.

    Auf der anderen Seite fällt mir immer die AFN-Werbung ein: “Stay in touch with god!” Locker und beziehungsorientiert, fand ich immer gut.

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  3. Christian Beese

    Das erinnert mich an Ludwig Feuerbach: “Die Einheit von Ich und Du ist Gott.”

    Feuerbach öffnete mit seinem Satz eine völlig neue Welt: Subjekt und Objekt waren als philosophische Begriffe nicht länger von Bedeutung. Die antithetische Beziehung zwischen beiden wurde durch ein dialektisches Prinzip ersetzt, das zunächst nicht mehr als hypothetisch war.

    Doch was, wenn diese dialektische Beziehung mehr als ein Phantom wäre, nämlich Wirklichkeit? Was, wenn das Objekt gleichzeitig Subjekt wäre, ein “Du”, und das Subjekt nur Identität hätte, weil es als ein Objekt des allerersten Subjekts erschaffen wäre – weil seine Subjektivität von seiner Objektivität abhinge? Und wenn wir vom Objekt oder Ding in seinem zweifach objektiven-subjektiven Sinne nicht sprechen könnten, bevor wir von dem “Wir” sprechen könnten, welches das Ich und das Du, d. h. Subjekt und Objekt gemeinsam, einschließt? Was dann?

    Und könnten wir nicht dieses Denken nicht auf den Bereich der Theologie ausweiten? … Ja, wenn Christus das “Du”-Prinzip, der objektive Grund von Wahrheit und Leben ist, was ist dann Gott, die Dreieinigkeit, anderes als die grammatikalische Beugung des Personalpronomens – Ich, Du, Wir?

    Genau diesen Weg hat die “neo-orthodoxe” dialektische Theologie beschritten. Indem sie den absolut selbständigen, unabhängigen Gott der Bibel (zusammen mit der unfehlbaren Autorität der Bibel) ablehnt, tendiert sie unausweichlich dahin, den selbständigen und autonomen Menschen anstelle der ontologischen Trinität zu setzen.

    Erlösung wird unweigerlich Befreiung aus der Menschlichkeit. Sünde ist metaphysisch, nicht mehr ethisch, und bedeutet die Niedrigkeit menschlicher Existenz. Rettung bedeutet, auf der Skala des Seins emporgehoben und vom Chaos erlöst zu werden.

    Sühne bedeutet daher moralistische Aktivität, die in einen metaphysischen Aufstieg auf der Skala des Seins resultiert. Rettung ist gleichbedeutung mit Partizipation des Seins. Erwählung bezieht sich nicht auf Personen, sondern ist all-inklusiv und unpersönlich. Alle Menschen sind in Christi Liebe und Wesen einghüllt …

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  4. p.s.
    Zu meinem letzten Kommentar (gestern Nacht von einem anderen Rechner) passt, dass Maurice S. Friedman in “Martin Buber: The Life of Dialogue” (neben dem Chassidismus, Dilthey und Kierkegaard) Feuerbach als wichtigsten Impulsgeber für Bubers Ich-Du-Wir Philosophie nennt.

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  5. Lieber Hans-Christian: Zwei Fragen zu deinem Post:
    Ist es möglich, dass du von einem außerbiblischen Text etwas lernen kannst oder ist das gar nicht möglich?
    Nimmst du die Bibel tatsächlich immer wörtlich?

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  6. Die hermeneutische Grundregel ergibt sich aus dem Inspirationsverständnis:
    Die Schrift legt sich selbst aus, und sie liefert keinen Hinweis, dass es sich bei der Schöpfungsgeschichte lediglich um mythische Lyrik handelt.
    Im Gegenteil, sie wird als historisches Ereignis zitiert und argumentativ verwendet.

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  7. Da halt ich es doch lieber mit Charly Brown von den Peanuts, wo Lucy beim Beobachten des nächtlicen Fundaments fragt: “Und er hat alles in 6 Tagen erschaffen?” “Ja” “Ich frag mich, weshalb er so lange gebraucht hat.”

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  8. Schöpfung durch Evolution? Damit reduzierst du Gott auf die Synthese aus purer abstrakter Kontingenz und purer abstrakter Gesetzmäßigkeit, an deren Schnittstelle der Mensch steht.
    Kein Wunder, dass deine Töchter geschockt waren …

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  9. Barths Neo-Orthodoxie wollte dem überlegenen Lächeln Feuerbachs, der dem Christentum vorhielt, im Gespräch mit “Gott” letztlich immer nur mit sich selbst zu reden, begegnen, indem er Gott gänzlich aus der Reichweite menschlicher Erfahrung und Aussage herausnahm: Gott, der ganz Andere, der Unerfahrbare, der dann, im Gegensatz zum Kantschen Grenzbegriff mittels Dialektik wieder ganz nah und erfahrbar ist.

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  10. Ich versuche, den Kontext emergenten Denkens aufzuspüren und zu zeigen.
    Bestimmte Namen werden immer wieder gern und mit begeisterter Zustimmung genannt. Zu denen zählen u.a. Gadamer, Dilthey, natürlich Kierkegaard und, wie in diesem Fall via Buber, halt Feuerbach. Willard ist Husserl-Experte und dessen Phänomenalismus schlägt in seinen Verlautbarungen zu Buche.
    Mir scheint, dass man in jede Richtung offen ist, einschließlich Loyolas Exerzitien, solange man einen großen Bogen um eines machen kann: Den orthodoxen protestantischen Theismus.

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