“Nachgefragt (#2) bei Dietmar Roller: zu blutigen Handys, strukturierter Gewalt und den Auftrag des „Tabubruchs“.

Gemeinschaft, Gerechtigkeit, Gesellschaft, Nachgefragt



Faix: Wir haben bei uns in der Gemeinde den Micha-Trailer zum Thema “Blutige Handys” gezeigt, und hinterher gab es eine große Diskussion. Zum einen haben sich manche über den Ausdruck “blutiges Handy” gestört, zum anderen ging es um die „Vergewaltigungsgeschichte“, die in Zusammenhang mit dem Coltanabbau beschrieben wurde. Die Frage war: Was hat mein Handy mit einer Vergewaltigung im Kongo zu tun? Das ist doch eine unzulässige Polemik. Jetzt hast Du diesen Film gedreht und kannst vielleicht mal ein bisschen Licht ins Dunkel bringen.
Roller: Naja, ich gebe zu, dass dieser Film keine leichte Thematik an sich anspricht, weil er ein Stück weit strukturierte Gewalt und unseren Lebensstil in Verbindung bringt, und auf den ersten Blick beides so weit entfernt ist wie Tag und Nacht. Allerdings, wenn man genau hinblickt, dann merkt man, dass in dieser Geschichte ein Stück Symptomatik steckt zwischen Recht und Ungerechtigkeit in dieser Welt und die Auswirkungen. Während auf der einen Seite Gewinn gemacht wird und Luxus gelebt werden kann, zahlen auf der anderen Seite viele Menschen den Preis dafür. Und mit den Blutmineralien, und das ist eben nicht nur Coltan, da geht es um Gold, da geht es um Diamanten – sprechen wir von einem ganz besonders dunklen Kapitel. Dass nach wie vor in Ländern des Südens oft die Mineralien ausgebeutet werden im wahrsten Sinne des Wortes, das heißt dass die Leute, die Regierungen, aber vor allem auch die Menschen selber, den Preis, den die Sachen wert sind, nicht bekommen, sondern sie ausgebeutet werden. Hier kommen wir auf die Geschichte im Fall des Ostkongo zurück. Dort wird ein Konflikt mit Warlords-Rebellen ausgetragen zwischen Wanda-Uganda und dem Kiwu der Region. Und die Rebellen benutzen verschiedene Methoden, um leicht und billig an die Mineralien zu kommen. Und da gibt es in der Tat eine Methode der systematischen Vergewaltigung. Das heißt, dass diese Vergewaltigungen dazu da sind, die Sozialstruktur des Dorfes zu zerstören, und damit die Gemeinschaft innerhalb der Familie und des Dorfes aufzulösen. Durch eine Vergewaltigung wird das soziale Gefüge der Familien zerstört, die Frauen erleben das Brutalste was ihnen zustoßen kann, die Männer können damit nicht umgehen. Die ganze Frage der Würde spielt hier eine Rolle und so zerbrechen die Familien. Das ist die schlimme, grausame Seite, die die Rebellen auch spielen, weil sie dadurch eben diese Menschen benutzen können, um dann fast willenlos in den Minen zu arbeiten. So ein Konflikt mit Vergewaltigungen von 30000 bis 40000 Frauen in zwei bis drei Jahren wäre in einer geschützten Staatsordnung nicht möglich. Das ist nur möglich in einem gesetzlosen Rahmen und bezogen auf ein klares Ziel. Und mir haben das Rebellen bestätigt. Sie sagen, das machen wir um Dörfer und Regionen willenloser zu machen. Und mit dieser Tatsache müssen wir leben, dass in unseren Handys Produkte sind, die aus dieser Region kommen, und damit – ob wir das wollen oder nicht – Teil sind dieser Kette, und wir da mindestens für uns selber sagen müssen: „Jawohl, das ist Fakt. Wenn ich ein Handy in die Hand nehme, kann es sein, dass es damit zu tun hat.“
Faix: Also, das heißt, diese systematischen Vergewaltigungen werden bewusst eingesetzt, um Strukturen in den Dörfern zu zerstören, damit hinterher die Männer, die Jungs in den Minen arbeiten müssen, um überhaupt zu überleben, weil die Strukturen des Lebens und des Arbeitens in den Dörfern zerstört sind.
Roller: Ja, es gibt in Afrika ja gesunde Familien-Clan-Strukturen, wo ein wichtiger Zusammenhalt da ist – es ist sogar ein Sprichwort “Ich bin, weil wir sind.” Man definiert sich aus der Gemeinschaft heraus. Und, sagen wir mal, in der traditionellen Religion spielt die Gemeinschaft eine ganz herausragende Stelle, man ist immer Teil der Gemeinschaft. Und Teil der Gemeinschaft bedeutet Sicherheit, bedeutet ein Stück weit Identität, bedeutet ein Stück Würde. Und wenn ich in so einer Gemeinschaft, in einer aktiven Gemeinschaft leben kann, dann fühle ich mich zu Hause. Und wenn in so einem Kulturkreis die Gemeinschaft zerstört wird, zerfallen Sozialstrukturen. Und da, wo Sozialstrukturen zerfallen, zerfällt auch der Widerstand gegen Gewalt. Und wenn der Widerstand gegen Gewalt weg ist, füllt es den Rebellen sehr viel leichter, Einfluss zu erhalten, Menschen zu benutzen für ihre eigenen Zwecke. Und da ist eben eines der Mittel diese systematische Vergewaltigung.
Faix: Jetzt ist das wirklich harter Stoff und da kommt natürlich sofort auch die Frage auf: “Was können wir da tun?” Sind wir da nicht völlig machtlos?
Roller: Ja und nein. Wenn ich es jetzt auf einen kleinen Punkt bringe und sage, was kann ich mit meinem Handy tun, dann kann ich da erst mal nichts tun. Ich brauche es ja auch. Aber ich kann aktiv werden. Ich kann zum Beispiel ganz praktisch nachfragen: “Woher kommt das Coltan in diesem Handy?” Das wird erst mal eine ganz unverständliche Frage sein, aber es gibt fair gehandelten Kaffee, es gibt ist fair gehandeltes Gold. Das heißt, man kann nachfragen. Woher kommt was? Und wie ist es gehandelt? Das wird erst mal noch keinen Unterschied machen, aber wenn ganz viele Leute das machen, dann wird das genauso wie bei dem fair gehandeltem Kaffee eine Bewegung auslösen, einen Gedanken auslösen, zu sagen, wir müssen da stärker drauf gucken. Das ist das eine. Das andere ist, dass es immer gut ist, wenn Öffentlichkeit gemacht wird für eine Problematik. Und es sind immer kleine Anfänge, die hinterher Großes bewegen. Wenn keiner was sagt, wenn jeder schweigt, wenn keiner aktiv wird, wird sich auch nichts ändern. Und von daher ist die Micha-Kampagne ein Bruch von einem Tabu und Schweigen, um damit ein Stück das Thema ins Gespräch zu bringen, und hoffentlich dadurch Veränderung anzustoßen. Wenn da jeder mitmacht, dann ist schon viel gewonnen.
Faix: Ja, vielen Dank, dass Du da so Anstöße gibst, auch bei uns, und ich hoffe, die Diskussion bei uns geht noch weiter. Dankeschön!

Wer aktiv werden möchte kann sich hier hilfreiche Materialien downloaden.
Dietmar Roller war jahrelang Vorstand des Hilfswerks Kindernothilfe und arbeitet jetzt selbstständig in der Entwicklungszusammenarbeit.

In der Reihe “Nachgefragt” werden unregelmäßig verschiedene Menschen zu interessanten und aktuellen Themen befragen.

3 Comments

  1. Danke, Toby, für diesen wichtigen Beitrag. Unsere Tochter lebt und arbeitet seit 3 Jahren im Kongo und die geschilderten Verhältnisse sind leider nur zu wahr. Aufklärung ist immerhin ein Anfang – ich wünschte, ich könnte mehr tun, außer weiterhin hartnäckig mein sieben Jahre altes Handy zu benutzen, dass nur telefonieren (!!!) kann! Ende des Jahres werden wir wieder dorthin fliegen und die herzliche Gastfreundschaft der afrikenischen Freunde dort genießen. LG aus Cuxhaven, Susanne

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  2. Danke für den Tipp, Toby, aber das alte tut’s noch, und ich stecke das Geld lieber in nützliche Gastgeschenke wie z.B. einen Haarschneider, damit kann ein ganzes Dorf einen schicken Haarschnitt bekommen 🙂
    Ja, und meine Eindrücke aufschreiben werde ich sicher auch wieder …

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