„Passen christliche Jugendarbeit und spirituell suchende Jugendliche nicht zusammen? Eine Spurensuche.“

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In den letzten zwei Wochen habe ich einige Vorträge und Vorlesungen zum Thema „Jugend & Spiritualität“ gehalten und hatte mit den unterschiedlichsten Menschen spannende Diskussionen die mich sehr nachdenklich gemacht haben. Denn, so unterschiedlich die Diskussionsteilnehmer/innen auch waren, so einig waren sich (fast) alle: Die christliche Jugendarbeit steckt in einer Krise. Dies ist um so interessanter, wenn man bedenkt, dass fast alle empirischen Umfragen zum Thema „Jugend & Religiosität“ der letzten Jahren feststellen, dass Jugendliche in Deutschland offen nach spirituellen Erfahrungen suchen. Hier ein paar Beispiele:
·    60% der Deutschen sind „spirituell Suchende“ (Zulehner: GottesSehnsucht)

11% Hochreligiöse & 41% Religiöse: Jugendliche in Deutschland: (Bertelsmann Religionsmonitor)
49% der deutschen Jugendlichen sind in irgendeiner Weise religiös (15. Shell Jugendstudie)
63,1% der Jugendlichen innerhalb der Kirche von Westfalen (Schulen, offene Jugendarbeit etc.) glauben an Gott (empirica 2012)
46% der deutschen befragten Jugendlichen bezeichnen sich als „Glaubende“; 56% wünschen sich religiöse Erfahrungen, aber nur 22% haben diese auch gemacht (Youth in Europe, Ziebertz etc.)

Aber hier scheint was irgendwie nicht zusammenzupassen, auf der einen Seite die Kirchen und Gemeinden, die ein Angebot haben und auf der anderen Seite die Jugendlichen, die auf der Suche sind. Sicher, jetzt ist das in der Praxis auch etwas komplexer, da die Realität zwischen unterschiedlichen Milieus und Gottesvorstellungen, eine unglaubliche Vielzahl an Möglichkeiten ergibt. Und dennoch, es bleibt ein fader Beigeschmack, wenn man den Jugendlichen nicht die „Schuld in die Schuhe“ schieben möchte und wir müssen darüber nachdenken, in wie weit wir den Glauben von Jugendlichen in unserer Jugendarbeit ernst nehmen oder ob wir nur die ganze Zeit denken, was Jugendliche gut und ansprechend finden. Hier scheint mir ein zentraler Punkt zu sein, dass die „Sprache des Glaubens“ von vielen Jugendlichen nicht mehr verstehen und die Jugendlichen umgekehrt die der Mitarbeitenden auch nicht. So herrscht eine „Sprachlosigkeit“, die genau ein Problem zwischen Angebot und Nachfrage ist. Das ist jedenfalls ein Ergebnis der Studie „Wenn Jugendliche über Glauben reden“. Ein zentrales Ergebnis ist, dass Jugendliche über ihren eigenen Glauben reden wollen und können. Allerdings haben Jugendliche ihren ganz eigenen Glauben, der sich vom christlich-konfessionell geprägten Glaube der Kirche weit entfernt hat.  Glaube ist in erster Linie Glaube an Beziehungen, die dem eigenen Leben Sinn geben und erst an zweiter Stelle kommt ein transzendenter Glaube für viele Jugendlichen dazu. Dabei sind die befragten Jugendlichen offen über ihren Glauben zu reden und offen für spirituelle Erfahrungen wie beispielsweise das Gebet. Der eigene Glaube zeigt sich privat, vermeidet große Veranstaltungen und sucht sichere Räume in denen sie über ihre Art von Glaube reden können. Wenn das stimmt, dann wären folgende Punkte für die christliche Jugendarbeit wichtig:
  • Gemeinschaft als zentraler Wert von Jugendarbeit (statt perfekter Programme)
  • Gebet: auf der Suche nach transzendenten Erfahrungen
  • Sichere Räume anbieten (eigene Gestaltungsmöglichkeiten geben)
  • Sprache: Die eigene Sprachfähigkeit (der Jugendlichen) entdecken und von ihnen lernen
  • Den Glauben der Jugendlichen ernst nehmen

Dies sind sicher nur erste Gedanken und vielleicht gibt es dazu noch ganz andere Erfahrungen. Ermutigend fand ich die große Offenheit in vielen Gesprächen neues zu wagen – zusammen mit den Jugendlichen…

Hier ein Bericht von Fachtag “Spiritualität von Jugendlichen”, veranstaltet vom Amt für Jugendarbeit der Ev. Kirche von Westfalen.

10 Comments

  1. Anonymous

    Schau mal hier, Toby: Das was du quantitative darstellst, findet sich hier qualitativ belegt.

    Viele Grüße,
    Markus L

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  2. Anonymous

    Und noch ein Hinweis: die praktischen Punkte, die du am Ende andenkst, erinnern mich an diesen Ansatz von Jugendarbeit: “Contemplative Youth Ministry” von Mark Yaconelli. Kontemplativ wird hier nicht im engeren Sinne verwendet, sondern beschreibt generell eine Jugendarbeit der echten Anwesenheit und des Wahrnehmens im Gegensatz zum Unterhalten und Ablenken einer programmorientierten Arbeit.

    http://emergingyouth.com/2009/09/28/contemplative-youth-ministry-by-mark-yaconelli/

    MArkus

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  3. Toby: Trifft diese Beobachtung auf Jugendliche mehrheitlich zu oder eher auf den Teil, den die kirchliche Jugendarbeit bisher erreicht hat? Welche Sozialisation haben junge Leute, die Deiner Beschreibung nahe kommen?

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  4. es geht mir um Jugendlichen die von niemanden erreicht werden, weder kirchlich noch freikirchlich. In der empirica Studie haben wir im kirchlichen Einzugsgebiet geforscht, heißt in Schulen von ev. Trägerschaft, offener Jugendarbeit etc. Das erstaunliche war, dass die befragten Jugendlichen das gar nicht wussten. Es spielte für sie keine Rolle, wie immer man dies jetzt interpretieren mag…

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  5. Cool, Jugendliche ohne kirchlichen/freikirchlichen Hintergrund. Aber die sind doch auch keine “geschlossene, homogene Gruppe”, oder? Repräsentieren sie das Spektrum von “bildungsnah – bildungsfern”, die ethische Vielfalt in der Herkunft, das wirtschaftliche Spektrum, die Weite der “familiären Formen” usw. Oder wie muss ich mir die Datenbasis vorstellen?

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  6. mmhh, jetzt wird es kompliziert, also vielleicht kannst du mir eine Mail schicken, dann schicke ich dir die ganze Liste der Variablen. Bei der qualitativen Studie waren es 47 ausgewählte Jugendliche von 14-18 Jahren aus verschiedenen Milieus, unterschiedlicher religiöser und konfessioneller Herkunft, Bildung etc. Bei der quantitativen waren es über 1300 Jugendliche, aus allen möglichen Bereichen mit einem Schwerpunkt Mittelschicht.

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