„Aspekte eines gesunden Glaubens“

Kultur & Glaube

Im Zusammenhang mit der Dekonversionsstudie wurde ich immer wieder damit konfrontiert, was (mein) Glaube überhaupt ist und ausmacht. In diesem Zusammenhang habe ich mit meinen beiden Kollegen viel diskutiert, wie ein gesunder und mündiger Glaube aussehen kann. Dabei ist uns zuerst wichtig geworden, dass ein gesunder Glaube nicht von alleine oder aus uns selbst entsteht, sondern immer im Zusammenhang in der Auseinandersetzung mit der Bibel, dem Wirken des Geistes und der Gemeinschaft um einen herum entsteht. Paulus beschreibt dieses Ringen um einen gesunden Glauben im Brief an seinen Mitarbeiter Titus, der mit falschem und krankmachendem Glauben in seiner Gemeinde zu tun hat, und ermutigt ihn mit den Worten: „Deshalb musst du die, ´die vom richtigen Weg abgekommen sind,` ohne falsche Nachsicht zurechtweisen, damit sie zu einem gesunden Glauben zurückfinden.“ (Titus 1,13) Glauben ist dabei nichts Abstraktes, keine Wahrheit, die wir einfach besitzen können, sondern entfaltet sich in der Beziehung von, mit und zu Gott. Einige Aspekte des gesunden Glaubens wurden uns in der Beschäftigung mit dem Thema Dekonversion besonders wichtig:
·      Ein gesunder Glaube weiß, dass jeder Mensch, bei aller Sündhaftigkeit und bei allem gefallenen Sein, im Ebenbild Gottes (Imago Dei) erschaffen ist und deshalb unabhängig seiner Herkunft, seines Standes oder seiner sexuellen Orientierung wertvoll in und vor Gott ist.
·      Ein gesunder Glaube weiß, dass das eigene Gottesbild auch von der eigenen Sozialisation und Erfahrung geprägt ist und sich deshalb in der Beziehung zu Gott, den Menschen und sich selbst weiterentwickeln darf.
·      Ein gesunder Glaube wirkt nicht kompensatorisch. Das heißt: Er dient nicht dazu, Defizite in der eigenen Persönlichkeitsentwicklung zuzudecken. Ein Mensch mit einem mündigen Glauben befindet sich in einer Entwicklung, in der er immer weniger darauf angewiesen ist, sich selbst und anderen etwas vorzumachen.
·      Ein gesunder Glaube lässt sich nicht in ein starres und festes Regelwerk pressen, sondern braucht Freiheit, sich zu entfalten.
·      Ein gesunder Glaube zeigt sich nicht durch menschliche Stärke oder Erfolg, sondern auch durch die eigene Schwachheit.
·      Ein gesunder Glaube zeigt sich in einem Prozess der Versöhnung, der durch die Kraft von Kreuz und Auferstehung ein ganzes Leben lang dauert und alle Ebenen des menschlichen Lebens und Zusammenlebens umfasst.
·      Ein gesunder Glaube fördert das eigenständige und kritische Denken. Er hilft somit dabei, die eigenen Positionen sowie die Position der Gemeinde zu überprüfen. So entsteht ein Prüf- und Aneignungsprozess, der sich gegen blinden Gehorsam und geistliche Vereinnahmung wehrt und dabei gleichzeitig die eigene Glaubensentwicklung fördert.
·      Ein gesunder Glaube hat Raum für Reflektionen und Zweifel; sie gehören im Aneignungsprozess dazu, sind normal und kein Zeichen von Unglauben oder gar Sünde.
Und dies sind nur die ersten Überlegungen, es gibt sicher noch weitere zentrale Punkte. Ein gesunder Glaube ist somit ein dynamisches Geschehen, bei dem Gott in seiner Liebe am Menschen handelt und dabei Fragen und Zweifel aushält.

Mehr Gedanken dazu gibt es im 4. Kapitel des Buches “Warum ich nicht mehr glaube”.

18 Comments

  1. Anonymous

    Wie lange wird es noch dauern, bis diese Aspekte von den Kanzeln gepredigt werden?

    Harry

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  2. Hallo Tobias,
    ich finde ja den Kontext von Titus 1,13 sehr aufschlussreich. Woran ist ein Diener der gesunden Lehre erkennbar?

    „Er muss am Wort festhalten, das zuverlässig ist und der Lehre entspricht, damit er imstande ist, sowohl durch gesunde Unterweisung zu ermahnen als auch die Widerspruchsgeister zu überführen. Es gibt nämlich viele, die sich nicht unterordnen wollen, unnützes Zeug reden und die Leute betören; das tun besonders jene, die zu den Beschnittenen gehören. Das Maul sollte man ihnen stopfen, denn sie bringen ganze Familien durcheinander mit ihren ungehörigen Lehren, die sie um des schnöden Gewinnes willen verbreiten. Einer aus ihrem eigenen Kreis hat geradezu prophetisch gesagt: Kreter sind stets Lügner, wilde Tiere und faule Bäuche. Dieses Zeugnis ist wahr. Eben deshalb sollst du sie auf der Stelle widerlegen, damit sie im Glauben gesunden und sich nicht mehr kümmern um jüdische Mythen und Vorschriften von Leuten, die sich von der Wahrheit abwenden!“

    Liebe Grüße, Ron

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  3. Toby, ich hätte gedacht, Rons Kommentar spräche für sich selbst. Ich wunderte mich ebenfalls, dass du Titus 1,13 zitierst, und dann im Verlauf deines Beitrags anstatt anzumahnen, “am Wort festzuhalten, das zuverlässig ist und der Lehre entspricht, damit er imstande ist, … durch gesunde Unterweisung zu ermahnen” und “sich (diesem Wort und dieser Lehre) unterzuordnen” und von irreführenden Abweichungen von der gesunden Lehre Abstand zu nehmen, den üblichen emergenten Autonomie-Zweifel-Sexualorientierungs-Mix anhängst. Wenn das kein Missbrauch von Bibelversen ist, was dann?

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  4. Ach Hans-Christian, genau das habe ich doch gemacht, nur nicht durch deine (und Rons) erwartete “mit meiner Weltbild-Wahrheits-Hermeneutik-Brille”. Sorry, dass ich dich da, mal wieder, enttäuschen muss.

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  5. Du nimmst eine Bibelstelle, in der es um Unterordnung, das gewisse Wort der Lehre, sexuelle Reinheit und „nicht eigensinnige Bischöfe“ geht, und machst daraus ein Plädoyer für „Freiheit“ in Abgrenzung zu „festen Regelwerken“, für Vielfalt sexueller Orientierung, für „eigenständiges kritisches Denken“ sowie für Zweifel in Abgrenzung zu „blindem Gehorsam“ – und definierst damit beispielhaft, was du unter eigenständiger, kritischer exegetischer Freiheit verstehst 😉

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  6. nein, das Gegenteil ist der Fall! Paulus schreibt hier an seinen “Mentee” Titus und hilft ihm in einer schwierigen Situation sich zurechtzufinden. Dabei geht es nicht um “blinden Gehorsam” von ein paar Geboten, sondern dass Titus seine Verantwortung gegenüber Gott, seinem Wort und der Gemeinschaft annimmt. Paulus beschriebt hier exemplarisch sehr schön, wie sich Glauben ganz praktisch zeigt:

    “Vielmehr soll er gastfreundlich sein, das Gute lieben, sich verantwortungsbewusst und gerecht12 verhalten, sich in allem von der Ehrfurcht vor Gott leiten lassen und sich durch Selbstdisziplin auszeichnen. 9 Er muss an der vertrauenswürdigen Botschaft festhalten, wie sie ´von Anfang an` gelehrt worden ist; denn mit Hilfe dieser gesunden Lehre ist er imstande, ´die Gemeinde im Glauben` zu stärken und die, die sich der Wahrheit widersetzen, zurechtzuweisen”

    Und ich möchte doch schon gerne wissen wo du da die “Vielfalt sexueller Orientierung” reinliest? Ich finde das weder bei Titus damals noch bei meinem Post heute. Dann muss es nach meinem Verständnis von dir kommen.

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  7. Ganz recht: „Er muss an der vertrauenswürdigen Botschaft festhalten, wie sie ´von Anfang an` gelehrt worden ist; denn mit Hilfe dieser gesunden Lehre ist er imstande, ´die Gemeinde im Glauben` zu stärken und die, die sich der Wahrheit widersetzen, zurechtzuweisen”.

    Nur: davon ist in eurer Diskussion keine Rede.

    „Ich finde das weder bei Titus damals noch bei meinem Post heute.“

    In Punkt 1 (!) deiner Auflistung wird „Herkunft und Stand“ mit „sexueller Orientierung“ auf eine Ebene und gemeinsam mit Gottes Ebenbildlichkeit in Beziehung gesetzt. Herkunft und Stand sind Gegebenheiten, in die ich mich geduldig füge. Gilt das für „sexuelle Orientierung“ gleichfalls? Wenn ja, was wären die Konsequenzen?

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  8. “Eure Diskussion” – verstehe ich nicht,momentan diskutieren ja nur du und ich oder habe ich da was verpasst?

    Ja, Gottes Liebe und Gnade gilt allen Menschen gleich, egal welcher Herkunft, sexuellen Orientierung etc. sie sind. Christus hat am Kreuz Erlösung geschaffen. Paulus schreibt dies ja schön in Kolosser 3: “…und den neuen (Menschen) angezogen, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat. Da ist nicht mehr Grieche oder Jude, Beschnittener oder Unbeschnittener, Nichtgrieche, Skythe, Sklave, Freier, sondern alles und in allen Christus.”

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  9. Du schriebst, dass du mit zwei Kollegen diskutiert hast und die Liste aus dieser Diskussion hervorging.

    In der Kol.3,11-Aufzählung dessen, was für den “neuen Menschen” keine Rolle mehr spielt, ist sexuelle Orientierung nicht erwähnt. Das ist subtil implantiertes, emergentes Sondergut.

    Kolosser 3,5 steht im Hinblick auf Sexualität: “So tötet nun eure Glieder, die auf Erden sind, Hurerei, Unreinigkeit, schändliche Brunst, böse Lust.”

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  10. Matthias

    … immer diese Rede von den Brillen – was hat man bloß zu der Zeit „gesehen“, als es noch keine Brillen gab?

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