„Warum Glaube immer persönlich – aber nie privat ist”

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„Auf der Flucht vor der öffentlichen Auseinandersetzung erreicht dieser und jener die Freistatt einer privaten Tugendhaftigkeit. Er stiehlt nicht, er mordet nicht, er bricht nicht die Ehe, er tut nach seinen Kräften Gutes. Aber in seinem freiwilligen Verzicht auf Öffentlichkeit weiß er die erlaubten Grenzen, die ihn vor dem Konflikt bewahren, genau einzuhalten. So muss er seine Augen und Ohren verschließen vor dem Unrecht um ihn herum. Nur auf Kosten eines Selbstbetruges kann er seine private Untadeligkeit vor der Befleckung durch verantwortliches Handeln in der Welt reinerhalten. Bei allem, was er tut, wird ihn das, was er unterlässt, nicht zur Ruhe kommen lassen.“ (Dietrich Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 66.)
In den letzten Jahrzehnten haben sich viele Christen, Kirchen und Gemeinden aus dem öffentlich konstruktiven Diskurs zurückgezogen. Durch die gesellschaftlichen Umbrüche und den kritischen Umgang mit religiösen Institutionen gab es auf allen Seiten oftmals Unsicherheiten und durchaus auch Sprach- und Verständigungsprobleme. In den letzten Jahren verändert sich dies zunehmend. Christen entdecken die Öffentlichkeit, was sehr zu begrüßen ist, tun sich manchmal bei Inhalt und Ausdruck schwer. Deshalb freut es mich, dass auch im Theologiestudium vermehrt darauf gesetzt wird und die in Deutschland zarte Pflanze der ‚Public Theology’ immer mehr wächst. Wir brauchen eine (neue) Kultur, die das ‚persönlich’ betont, dass das Evangelium mit all seiner Kraft und Macht mich betrifft als ganzen Mensch in allen meinen Systemen, aber dass dieses Evangelium nicht meine Privatsache ist, die nur mich (und meinen engsten Familien- und Freundeskreis) etwas angeht. Privat bedeutet auf lateinisch ‚abtrennen’ und auch ‚berauben’ und genau das passiert, wenn wir unseren Glauben ‚privat’ verstehen. Wir berauben uns der ureigensten Kraft des Evangeliums, das sich von je her der öffentlichen Debatte gestellt hat und als Korrektiv zum gesellschaftlichen Mainstream sich besonders für die Schwachen, Benachteiligten und Ausgestoßenen eingesetzt hat. Das, wie Bonhoeffer vorlebte, auch politisch kritisch zu sein, ohne eigene Machtansprüche zu stellen, kommt oftmals zu kurz. Und da zeigt sich auch sehr gut die Spannung, zwischen ‚privat und persönlich’, da, wenn das Persönliche verloren geht, die eigene Ge- und Betroffenheit des Evangeliums, alles Öffentliche zum Menschlichen verkommt. Es braucht den Geist Gottes, der zu beidem befähigt und den Mut und die Demut dies zu leben. Das ist die schöne Herausforderung in der wir als Christen stehen und die uns die nächsten Jahre beschäftigen wird, da bin ich mir ganz sicher…
Dazu passend von einem der Mitförderer der ‚Public Theology’ in Deutschland, dem Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Prof. Bischof Bedford-Strohm:
„Wer öffentliche Theologie im Herzen hat, der wird auf den Kanzeln und in den Gemeindehäusern davon sprechen, der wird aber auch mit Leidenschaftlichkeit und Sachlichkeit in die Rathäuser und Regierungsbüros gehen, er wird in die Mikrophone der Journalisten hinein sprechen und er wird davon erzählen, welche Kraft in der reichen Tradition des Christentums steckt und welch lebensfreundliche Orientierungen davon für die Welt von heute ausgehen.“

8 Comments

  1. Daniel

    Hmm, Bedford-Strohm macht den ansonsten wirklich guten Text (danke auch für das Bonhoeffer-Zitat) irgendwie ein bisschen kaputt.

    Die “Kraft in der reichen Tradition des Christentums” ist doch das Gegenteil des persönlichen Glaubens, der öffentlich wirksam wird. Aus meiner, selbst ev.-landeskirchlich sozialisierten Wahrnehmung ist diese Verwechslung von Christus mit Christentum einer der Hauptgründe für die relative Orientierungslosigkeit in weiten Teilen der beiden Großkirchen, v.a. der evangelischen.

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  2. @Daniel: ich kann verstehen was du meinst, aber ich glaube, dass das BS hie reicht gemeint hat. Auch die Tradition des Christentum besteht j saus einzelnen Glaubenden, die diese Tradition geprägt haben und im Kontext der PT steht da sicher zuerst ein Bonhoeffer, der ja auch Namensgeber des Institutes ist.

    Außerdem gibt es auch kein Christsein allein, sondern immer auch die Gemeinschaft die zählt, vielleicht Christus im Christentum. 🙂

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  3. Vor 30 Jahren war ich der Meinung, das Christentum müsse viel politischer sein in seiner Verkündigung und seinem Handeln.

    Mittlerweile sehe ich den Islam als Negativbeispiel für eine Religion mit ausdrücklicher und direkter politischer Dimension. Deswegen lehne ich es inzwischen strikt ab, politische Macht durch Berufung auf heilige Schriften oder göttliche Offenbarung zu legitimieren. Das begrenzt für mich auch die Möglichkeit einer direkten politischen Einflussnahme oder Autorität christlicher Gruppen.

    Einsatz, auch politisch, für Gerechtigkeit und im Sinne sozial Benachteiligter, der sich auf eine persönliche religiöse Haltung gründet, ist natürlich trotzdem möglich und richtig.

    Thomas

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  4. Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Aber ich glaube, dass es bei meinem Post bei ‘politisch’ eher um ‘öffentlich’ geht, nicht um parteipolitisch, wie in deinem Beispiel. das ist ein entscheidender Unterschied. Außerdem glaube ich, dass es das Evangelium in diesem Sinne imm ‘politisch’ war und ist, da es sich in den gesellschaftlichen Diskurs einmischt, ja Teil dieser Gesellschaft ist.

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