„Kirche als Bewusstseinsstörung. Korinthische Brocken. Ein Essay über Paulus.“ Sommerlektüre Part 3

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Es war vielleicht das überraschendste Buch meines Sommers. Ich hatte schon einiges gehört und gelesen und habe mich sehr auf das Buch gefreut: “Korinthische Brocken. Ein Essay über Paulus”. Und das Buch hält den Erwartungen stand, nein, es hat sie übertroffen. Aber es braucht seine Zeit. Denn ChristianLehnert hat seinen ganz eigenen Stil, nicht nur wie er schreibst auch was er schreibt. So wechseln sich Worterklärungen, persönliche Erlebnisse und historische Hintergründe munter und ohne Vorankündigung ab, nehmen mich als Leser mit nach Korinth, in die ehemalige DDR und einmal quer durch die Kunstgeschichte. Was jetzt etwas unorthodox und vielleicht sogar wild klingt, wird durch die präzise und poetische Sprache Lehnerts zu einer wunderbaren Einheit geformt. In 14 Kapiteln führt einen Christian Lehnert durch den ersten Korintherbrief, bleibt nah am Text, untersucht die einzelnen Worte, dreht jeden Stein herum und deutet dann doch in großen theologischen und historischen Zusammenhänge. Zieht Vergleiche und sucht frische Bilder, um dem Entdeckten eine Bedeutung, Sprache und Symbolik zu geben. So wird Glaube ein Ereignis und Gnade als Existenz allen Seienden beschrieben, nicht ein Zusatz zu einem gelingen Leben, nicht als Ausgleich für das nicht Geschaffte, Versäumte oder Versagte. Nein, Lebensquell, Ursprung und Grundlage des Lebens, Anfang und Ende und das Zwischendrin. Man merkt Lehnert an wie darum ringt Paulus zu verstehen, wie er sich von klassischen Auslegungen und dogmatischen Konzepten versucht zu befreien und dies gelingt ihm äußerst gut, manchmal war ich ganz hingerissen, manchmal wollte ich laut widersprechen, aber nichts lies mich unberührt. Kann man einem Buch ein größere Kompliment machen?
Wie ein roter Faden zieht sich dabei das Thema Gemeinde/Kirche durch das Buch und auch hier sucht Lehnert nach dem, was Paulus eigentlich damit meinte und schreibt dann:
„Die deutschen Übersetzungsmöglichkeiten »Gemeinde« oder »Kirche« verstellen beide eher das Verständnis – das erste Wort, weil es partiell gedacht ist, bürgerliche Vereinskultur steht vor Augen, das andere, weil es institutionell verfestigt. Ekklesia aber ist die Beschreibung einer Unterbrechung, etwas wie eine Bewusstseinsstörung. Sie ähnelt dem Nachbild eines grellen Lichtes, wenn man geblendet die Augen schließt und Ringe zerfließen, gelb und orange, nunmehr ohne Entsprechung in der äußeren Wirklichkeit. Etwas geschah, und was bleibt?“

Es lohnt sich also zu lesen, weil es ein kluges und frisches Buch ist, weil es Mut macht Glauben anzunehmen, zu wagen und zu leben.

5 Comments

  1. Das klingt sehr, sehr interessant.
    Allein der Begriff von der Kirche bzw. Ekklesia als “Bewusstseinsstörung”…
    Ein inhaltlich gutes und theologisch aussagekräftiges Werk zum Thema Gemeinde in gleichzeitig poetischer und präziser Form – das will unbedingt gelesen werden.
    Verleihst Du das Buch? 😉

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  2. Friedrich Kleemann

    Das klingt wirklich interessant. Ich habe auch auf das Buch hingewiesen. Unkonventionelle Vorstellungen wünschen wir uns. Am Ende ist aber immer und überall die Frage, ob Jesus im Mittelpunkt steht und ob er gegenwärtig erfahrbar ist und für den Hilfsbedürftigen wirkt, unabhängig von Vorstellungen und Formen. Ein altes Mütterchen, eine Krankenschwester, ein einsamer Dorfpfarrer, ein Handwerker, alte oder neue Perspektiven, – wenn Gott auf den Plan tritt, wird dem Problembeladenen geholfen und er wird froh und gesegnet von dannen ziehen. Es sind diese “Sensationen”, die die Kirche vermittelt, – wie die Pfarrerin im Sonntagsgottesdienst in der Potsdamer Nikolaikirche formulierte: “Wenn auch nur einem heute [im allgemeinen Beichtgebet vor dem Abendmahl] die Sünden vergeben worden sind, dann ist dann eine Sensation.” Und diese Sensationen, diese ungeheuerlichen Gnadengaben, geschehen und solange sie geschehen, muss die Kirche sich um eines ganz sicher nicht den Kopf zerbrechen, nämlich ob sie eine irgendwie geartete neue Bedeutung hat.

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