„Kirche ist immer Kirche mit Anderen. Gedanken über eine ‚Theologie der Inklusion’. Part 1: Streitbare Begriffe“

Theologie
In den letzten Monaten habe ich mich verstärkt mit dem Thema Inklusion beschäftigt. Ein Thema, das in der Pädagogik momentan heiß diskutiert wird und viele Emotionen hervorruft. Als Theologe interessiert ich mich neben dieser spannenden Debatte natürlich für die Frage, wie die Bibel dieses Thema sieht, ja wie es theologisch einzuordnen ist. Und das ist mehr als spannend, deshalb möchte ich in den nächsten Wochen immer Mal wieder ein paar meiner Gedanken dazu posten. Dazu kommt, dass das Thema in den letzten Wochen durch die Flüchtlingsthematik neu an Aktualität gewonnen hat. Denn wenn wir von Inklusion reden, dann geht es vor allem um die Ausgrenzung von unterschiedlichen Minderheiten und ihr (fehlendes) Recht auf ein gleichberechtigtes Miteinander in der Gesellschaft. Darum geht es beim Thema Inklusion auch immer implizit um das Thema Exklusion, also, wer in der Gesellschaft ausgegrenzt wird, aus welchen Gründen auch immer. Exklusion beschreibt dabei die Menschen, die für die Gesellschaft überflüssig sind und die deshalb keinen regulären Platz bekommen (gerade in der systemischen Sicht von Luhmann wird das Thema Inklusion erst durch die sichtbare Exklusion deutlich). Oftmals hat dies mit den großen Themen Geld, Arbeit, Status oder auch der Frage nach der Nützlichkeit zu tun. Deshalb spricht der britische Soziologe Anthony Giddens von einer „doppelte Exklusion“, nämlich eine Selbstabgrenzung der „herrschenden Eliten“ und eine mehr oder weniger gewollte Aus- bzw. Abgrenzung der unteren Schichten nach oben. Hillman definiert daran anschließend Inklusion aus soziologischer Sicht: „Inklusion bezeichnet als soziologischer Begriff die Einbeziehung von Gesellschaftsangehörigen in soziale Gebilde, in gesellschaftliche Funktionsbereiche und in die jeweils umfassende Gesamtgesellschaft.“ (Hillmann 2007:377) Mir ist klar, dass der Inklusionsbegriff in der heutigen Diskussion in Deutschland schwerpunktmäßig im Bereich der Sonderpädagogik (Arbeit mit Menschen mit Behinderungen) und der Schulpädagogik verwendet wird, deshalb möchte ich zu Beginn möchte die wichtigsten Begriffe aus dem allgemeinen pädagogischen Diskurs kurz darstellen, da es besonders um die zentralen Begriffe Integration und Inklusion immer wieder Missverständnisse gibt:
  • „Exklusion“: Ausschluss von Minderheiten aus der Gesellschaft
  • „Segregation“: Absonderung von Minderheiten vom Rest der Gesellschaft
  • „Integration“: Anpassung an und langsamer Einbezug von gesellschaftlichen Minderheiten in die gesellschaftlichen Mehrheit
  • „Inklusion“: Teilhabe von Minderheiten durch strukturelle, gesellschaftliche und persönliche Veränderungen alle Beteiligter
Besonders die Begrifflichkeiten Inklusion und Integration stehen im Mittelpunkt der Diskussion (stehen beide Begriffe gegeneinander oder ist das eine nur eine Weiterentwicklung des anderen oder meinen beide eigentlich doch dasselbe?) und müssen deshalb mit bedacht verstanden und beschrieben werden. Was sich jedoch schon jetzt sagen lässt, es gibt nicht das eine Wunderkonzept, sondern es geht die Beschäftigung mit dem Thema. „Inklusion“ hat immer auch mit eigenen Veränderungsprozessen zu tun. Deshalb auch in der Überschrift ein abgewandeltes Bonhoefferzitat, der im Kontext von „Kirche und Armut“ sagte: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“, ich würde das für eine ‚Theologie der Inklusion’ erweitern und sagen: „Kirche ist immer Kirche mitAnderen“.

9 Comments

  1. Hier ein Ausschnitt aus dem Abschnitt zum Thema:
    “Kirche für andere! Nicht herrschend, sondern helfend und dienend! Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Um einen Anfang zu machen, muß sie alles Eigentum den Notleidenden schenken. Die Pfarrer müssen ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinden leben, evtl. einen weltlichen Beruf ausüben. Sie muß an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend. Sie muß den Menschen aller Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heißt, „für andere dazu sein“. Speziell wird unsere Kirche den Lastern der Hybris, der Anbetung der Kraft und des Neides und des Illusionismus als den Wurzeln allen Übels entgegentreten müssen. Sie wird von Maß, Echtheit, Vertrauen, Treue, Stetigkeit, Geduld, Zucht, Demut, Genügsamkeit, Bescheidenheit sprechen müssen. Sie wird die Bedeutung des menschlichen „Vorbildes (das in der Menschheit Jesu seinen Ursprung hat und bei Paulus so wichtig ist!) nicht unterschätzen dürfen; nicht durch Begriffe, sondern durch „Vorbild“ bekommt ihr Wort Nachdruck und Kraft.”
    DBW 8, Seite 560 f

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  2. Geht es demnach bei Inklusion, um einen Einbezug Hilfsbedürftiger und eher um Wohlfahrt oder um einen Einbezug der vertikal unteren bzw. ästhetisch kirchenfernen Milieus in die Gemeindegestaltung und das Gemeindeleben?
    Die Ausgestaltung dieses “mit den Anderen” leuchtet mir noch nicht ganz ein. Bonhoeffers “für” klingt mehr nach vorbildlichem Sozialengagement, aber vom Inklusionsbegriff her dachte ich zunächst, die Gemeindegestaltung liegt im Fokus.

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  3. Was genau der Unterschied zwischen “Integration” und “Inklusion” ist, konnte mir in der (pädagogischen) Praxis eigentlich noch niemand beantworten. Wie stellt sich die Unterscheidung erst recht für die anderen Bereiche dar?

    Wenn bei einer “Theologie der Inklusion” nicht bald Miroslav Volfs “Embrace” auftaucht, mit dem vierten Schritt der Öffnung, wir es eng und ungemütlich im includere, dem Eingeschlossen sein der Inklusion.

    Ein weiterer wichtiger Baustein dürfte der lang diskutierte “eschatologische Vorbehalt” bzw. die “Creative Tension” sein. Im pädagogischen Bereich habe ich gerade ein Déjà-vu mit dem einigen extrem präsentisch-eschatologischen Vorstellungen der Missionstheologie.

    Ich will aber jetzt nicht alles vorwegnehmen.

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  4. @Gabriel: Geduld, Bruder, Geduld, soll ja eine Serie sein, heißt, da muss was kommen und Volf ist fest eingeplant! 😉
    Und ja, die Begriffe sind in der Praxis nicht immer trennscharf und deshalb gibt es ja die Theorie, um immer wieder nachzujustieren, innezuhalten, wieder auszuprobieren und wieder darüber zu reflektieren…

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  5. @minotop: ich glaube, dass es Bonhoeffer mehr noch um die richtige “Haltung” ging, wie begegnen wir den Menschen um uns herum: “Kirche für andere heißt dann: nicht herrschend, sondern helfend und dienend.” Was ihm wichtig war: Kirche ist nicht Kirche um ihrer selbst, sondern um der Menschen willen, allen Menschen, unabhängig ihrer Herkunft, Religion etc. Und das in der Zeit des Nationalsozialismus, das finde ich sehr beeindruckend. Ich möchte diesen Gedanken gerne aufnehmen und ja, weiterführen, Kirche nicht nur “für” Andere, sondern “mit” Anderen, weil ich glaube, dass nicht nur jeder Mensch wertvoll ist, sondern auch was geben hat. Und dieser Gedanke ist bei meinem Inklusionsverständnis auch wichtig, deshalb diese Verbindung….

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  6. Meiner Meinung nach sind Integration und Inklusion sind in der (pädagogischen) Praxis ganz klar voneinander abzutrennen. Bei Integration geht es darum (und das macht ja auch die Grafik deutlich), dass sich der “besondere Mensch” an die Allgemeinheit anpassen muss um dazugehören. Bei Inklusion geht es um einen gesellschaftlichen Wandel, nämlich dass sich die auch “die große Masse” verändert um dem “Anderen” z.B. Teilhabe zu ermöglichen. Im besten Falle spielen dann Merkmale wie behindert/ Migrationshintergrund/ homosexuell/braunhaarig etc. gar keine Rolle mehr, weil Vielfalt selbstverständlich ist. Ohne natürlich eine “Zwangs-Inklusion” zu pushen, wie es zum Teil passiert. Denn wo Inklusion ist, wird auch immer Exclusion sein ohne dass das verwerflich ist… Grüße nach Marburg, Anika

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  7. Ok, jetzt ist mir der gemeinte Zusammenhang klar. Bin dabei sehr auf konkrete praktische Umsetzungsvorschläge gespannt.

    Über die Begriffe Integration und Inklusion kann man sich streiten. Inklusion ist vllt. das, was Integration ursprünglich als Anliegen hatte. Heute scheint mir Integration eher einer Sozialisation gleichzukommen und eher passiv auf beobachtender Lernweise basiert (“wemm du ausgelernt hast, darfst du vllt. auch mal ran), während Inklusion, nicht nur learning by doing ist – was Integration evtl. mal wollte -, sondern schlichtweg Teilhabe. Learning, participating and giving by doing… sozusagen

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