„Das Kreuz und die Mächte. Über Deutungsmuster des Kreuzesgeschehen und die Auswirkungen auf unsere Welt.“

Theologie
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Das Kreuz Christi ist von je her das Sinnbild und Inbegriff des Erlösungsgeschehens und das Zentrum des Christentums. Und wie immer, wenn etwas eine besonders zentrale Bedeutung hat, wird es besonders diskutiert und interpretiert. Mit dem Kreuzestod Christi ist dies nicht anders. Was gleich geblieben ist, durch alle Jahrhunderte hindurch, ist die zentrale Stellung des Kreuzes für das gesamte Christentum, über alle konfessionellen Grenzen hinweg. Von dem altkirchlichen Modell der „Vergötterung des Menschen“ durch den Sieg Gottes über den Teufel und alle Mächte dieser Welt über dem sicher bis heute prägensten Modell der Versöhnung mit Gott durch den stellvertretenden Sühnetod Christi (Satisfaktionslehre) bis zu modernen Deutungen, die gerade diese Auslegung ablehnen und die Liebe Gottes in den Mittelpunkt stellen, der eben gerade keine blutigen und grausamen Opferrituale braucht. Und dies stellt ja nur eine allzu grobe Skizze da, aber es ist durchaus interessant zu sehen, wie die jeweilige Kultur einen Einfluss auf die verschiedenen Deutungsmuster einnimmt. Eine lesenswerte Auseinandersetzung zur Kreuzesdeutung in den verschiedenen geschichtlichen Paradigmen hat Christiane Reitz in ihrer Masterarbeit geschrieben.

Ich lese zurzeit zwei spannende Lektüren zu diesem Thema, zum einen der neue EKD Text „Für uns gestorben“ und zum anderen das neue Buch von Tony Jones „Did God Kill Jesus?“. Beide kommen von ganz unterschiedlichen Positionen und beschäftigen sich doch mit denselben Herausforderungen: Wie ist das Kreuz von der Bibel, durch die Geschichte und nicht zuletzt aus heutiger Perspektive zu verstehen? Hier zwei Zitate als Anreiz zum Anlesen:

„Christliche Theologie steht vor der Aufgabe, das Verständnis der Liebe Gottes im Kreuz immer wieder neu zu erklären und zu entfalten. Der vorliegende Text »Für uns gestorben« tut dies in vorbildlicher Weise und schlägt einen weiten Bogen. Er hilft den Reichtum christlicher Tradition im Blick auf den Kerngehalt evangelischen Glaubens zu entdecken. Biblische Besinnung, theologisches Nachdenken, Passionsfrömmigkeit im Wandel der Zeit, Deutungen der Kunstgeschichte und Rezeptionsspuren in der Gegenwartskultur ermöglichen eine mehrdimensionale Betrachtungsweise. Vor allem aber wird die zu Recht kritisierte Deutungsfigur eines zornigen, seinen Sohn opfernden Gottes überwunden durch eine klare Interpretation der Sühnopfertheologie, die die Liebe und Vergebungsbereitschaft Gottes ins Zentrum stellt. Jede Kritik, die den Anspruch erhebt, auf der Höhe aktueller theologischer Deutungen zu stehen, muss sich mit diesem Verständnis auseinandersetzen, statt sich gegen Zerrbilder der anselmschen Satisfaktionslehre zu richten, die das Bild eines rachesüchtigen und gewalttätigen Gottes zeichnen.“ (Aus der Einleitung von Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm)

„The crucifixion of Jesus is the central act in the drama that is the Christian story, and its importance cannot be overstated. Therefore, it simply must tell us something very important about God. That’s really what this book is about: God. It’s notoriously difficult to talk confidently about God, the Great and Unknowable. The ditches are many, and they’re deep, and we will likely fall into a few of them along this journey. But nevertheless, we must endeavor to search the death of Jesus for clues about who God really is and how we can relate to God. Because how we think about God determines everything else: who we are, what we are to do, what we hope for, and who we hope to be.“ Tony Jones

Ich finde es sehr begrüßenswert, dass das Kreuz in Theologie und Alltag wieder eine größere Rolle spielt, da ich davon überzeugt bin, dass wir das Kreuz nicht auf eine Deutungsweise reduzieren dürfen, sondern gemeinsam versuchen müssen, die Macht des Kreuzes zu verstehen und zu leben, nicht nur an Karfreitag, sondern an jedem Tag, an jedem Ort. In einer Zeit wo die Mächte auf unterschiedliche Weise und in grausamer Art in unserer Welt wüten, ist das Kreuz ein Hoffnungszeichen, ein Hoffnungsort, ja ein Ort Freiheit und tatsächliche Veränderung schenkt mitten in dieser Welt, wie John H. Yoder dies treffend beschreibt:

„Deswegen ist sein Kreuz ein Sieg; es ist die Bekräftigung seiner Freiheit gegenüber den rebellischen Forderungen der geschaffenen Ordnung. Darin unterscheidet er sich von Adam, Luzifer und allen Mächten: Jesus „erachtete das Gottgleichsein nicht als Beutestück“ (Phil 2,6; Jerusalemer Bibel). Sein Gehorsam bis zum Tod ist nicht nur Zeichen, sondern Erstlingsfrucht einer authentischen, wiederhergestellten Menschheit. Wir haben es hier zum ersten Mal mit einem Menschen zu tun, der nicht Sklave einer Macht, eines Gesetzes oder Brauches, Gemeinschaft oder Institution, Wert oder Theorie ist. Nicht einmal um sein eigenes Leben zu retten, lässt er sich zum Sklaven dieser Mächte machen. Diese authentische Menschlichkeit schließt das freiwillige Annehmen des Todes aus den Händen der Feinde ein. So bringt gerade sein Tod seinen Sieg: „Daher hat ihn auch Gott über die Maßen erhöht und ihm den Namen geschenkt, der über jeden Namen ist, dass… jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus der Herr ist…“ (2,9–11).“ (John H. Yoder, Die Politik Jesu, 183)

Und ja, wir müssen darüber reden, gerade in einer Zeit von Gewalt, Zerstörung und dem Unfassbaren. Hannes Leitlein hat damit begonnen und wir sollten ihm darin folgen…

Bild: Emil Noldes “Landschaft mit einem Kreuz Golgata” aus dem Jahr 1942.

4 Comments

  1. Sabino Bürgin

    Danke für den Artikel.
    Gerne hätte ich die Masterarbeit von Christine Reitz gelesen, doch der Link funktioniert nicht mehr.
    Gibt es eine andere Möglichkeit zu dieser Arbeit zu kommen? Können sie mir diese vielleicht zusenden?

    Gruss,
    Sabino

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  2. Stimmt, das geht gerade nicht. Sorry, frage mal nach, woran das liegt. Ansonsten kann die Arbeit bei der Autorin sicher gerne direkt eingesehen werden….

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