„Ich versuche meine Kinder nicht in Angst leben zu lassen. Ein Gespräch mit Juliane Strub über ihre Arbeit mit Flüchtlingen im Libanon und Jordanien und was das für uns heißen kann.“

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  1. In Deutschland wird viel über Flüchtlinge geredet, ob zu viele oder zu wenig, dabei wird oftmals vergessen, dass viele eine furchtbare Geschichte hinter sich haben. Du warst die letzten Monaten in verschiedenen Flüchtlingscamps im Libanon und bei Flüchtlingsfamilien in Amman und hast das hautnah miterlebt, wie ist dein Eindruck?

Von den fast 750.000 Flüchtlingen in Jordanien leben ungefähr 20% in verschiedenen Flüchtlingscamps. Die meisten Menschen mit denen ich gearbeitet habe, leben in sogenannten „host communties“, außerhalb der camps in Städten. Mit den unterschiedlichsten NGOs (Nicht-Regierungs- Organisationen) und lokalen Gemeinden habe ich vor allem syrische Familien besucht, viel Tee mit ihnen getrunken und versucht, ihre Geschichte zu verstehen. Die Flüchtlinge, die in Jordanien und Libanon (teilweise auch in Ägypten und Irak) ankommen, sind meist die ärmeren Syrer, die zu wenig Geld oder Möglichkeit hatten nach Europa, Kanada, USA etc. zu gehen. Doch auch hier gibt es Unterschiede, einige Familien haben noch finanzielle Reserven, um sich eine kleine Wohnung zu leisten, viele jedoch leben in sehr kleinen Räumen zu sechst, siebt und mehr. Oftmals ohne Fenster und schlecht ausgestatten sanitären Anlagen. Viele haben auf dem Weg nach Jordanien Familienangehörige zurücklassen müssen oder ganz verloren, auch Kidnapping ist immer wieder eine Gefahr.

Eltern und Kinder haben viele erschreckende Dinge erleben müssen, und die Situation hier mit den Flüchtlingen ist eine ständige Grenzerfahrung. Die Regierung, die NGOs und religiöse Institutionen, aber auch Nachbarn geben viel, jedoch ist die Situation für viele weiter herausfordernd und viele Familien sind auf sich allein gestellt. Mütter kommen an ihre Grenzen mit ihren Kindern, da viele Kinder Schlafstörungen, Angstattacken oder andere Verhaltensauffälligkeiten zeigen. Die meisten Mütter sind ratlos und fühlen sich hilflos, zudem sie auch selbst viele Herausforderungen erleben. Einige haben ihre Ehemänner im Krieg verloren, Freunde und Verwandte sind nicht mehr da. So begegne ich häufig bewegenden Schicksalen und Entwicklungen.

Eine Freundin von mir, die mit einer Gruppe von Frauen (alle verwitwet) Traumaaufarbeitung anbietet hat mir berichtet, dass eine Frau in der Gruppe war, deren Kinder kaum Verhaltensauffälligkeiten aufzeigten und stabil ihren Alltag leben. Im Gespräch mit dieser Mutter hat sie gefragt, was sie gemacht hat, dass ihre (neun) Kinder so gut mit ihrer jetzigen Lebenssituation umgehen können. Die Mutter hat geantwortet: „Ich versuche meine Kinder nicht in Angst leben zu lassen und sich dahinter zu verstecken. Wenn damals in Damaskus eine Bombe gefallen ist, bin ich später mit meinen Kindern hingegangen und habe ihnen erklärt, was passiert ist, wenn sie hier in der Schule gemobbt oder geschlagen werden und nicht mehr hingehen wollen, tröste ich sie, aber ich ermutige sie auch am nächsten Tag wieder hin zu gehen, stark zu sein.“

Es gibt viele verschiedene und bewegende Berichte und Erlebnisse. Was mir dadurch bewusst und wichtig geworden ist, Flüchtlinge nicht auf die Situation zu reduzieren, aus der sie kommen und nur ihre „Story“ zu hören, sondern der Wunsch für sie da zu sein und ihnen zu zuhören (soweit mein Arabisch dafür reicht), Tee zu trinken und gemeinsam zu sehen, was sie jetzt brauchen.

  1. Was hat dich in deiner Arbeit am meisten herausgefordert? Was gibt dir Hoffnung?

Was mich am meisten herausfordert nach Besuchen und Gesprächen mit den Flüchtlingen, ist zu hören, welche Schwierigkeiten ihnen begegnet sind, aber auch wie schwer sie es hier haben (Geldmangel, sehr schwer Arbeit zu finden und wenn ist es illegal oder auch Krankheit) und im Anschluss wieder in „meine Welt“ zurück zu gehen. Meine Welt, in der ich kaum Geldmangel habe, einen Freundeskreis, Familie, die mich unterstützt, Arbeit habe, nebenbei studiere und sogar im Café zu sitzen. Meine Sorgen sind sehr anders. Das fordert mich immer wieder sehr heraus. Es ist schwer für mich diesen Wechsel gut zu verkraften und eine Balance einzuüben und zu überlegen, wie ich praktisch helfen kann, was aber auch nachhaltig ist und Sinn macht. Was mir Hoffnung gibt, ist das schon kleine Taten oder Begegnungen mit Flüchtlingen Freude und Hoffnung geben, ihnen und mir. Meine Arabischlehrerin (eine 18 -jährige Syrerin) hat mich vor einigen Tagen gefragt, ob ich ihr helfen kann ein Praktikum zu finden. Etwas wo sie sich einbringen kann und zu lernen. Als ich ihr gesagt habe, dass ich in meiner NGO nachfrage und versuche etwas zu organisieren, hat sich ihr Gesichtsausdruck in Freunde und Hoffnung verwandelt.

Was mir auch immer wieder Hoffnung gibt, ist dass es etwas Größeres und Vollkommeneres gibt, einen Gott, der in Kontrolle ist und den Menschen sieht und um ihn ringt- auch wenn wir Menschen teilweise im Chaos und Leid versinken – so scheint es mir manchmal.

  1. Hat dir dein Studium DST geholfen/dich vorbereitet?

Mein Studium hat mich auf zwei Ebenen gut vorbereitet und mir geholfen. Einmal ganz praktisch, durch die Zusammenarbeit in Jordanien mit unterschiedlichen NGOs waren mir viele Ansätze und Konzepte vertraut und ich konnte zu unterschiedlichen Programmen Impulse geben. Auch die Realität zu erleben, Teams mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Prägungen, die Community zu kennen und die Schlüsselpersonen in Prozesse ein zu beziehen.

Die andere Ebene, die durch das Studium stark geprägt wurde, ist meine Rolle und Haltung, wenn ich mit Menschen zusammenarbeite, besonders in und mit anderen Kulturen. Gerade die Rolle als „Westler“ oder korrekt gesagt, vom Norden, nicht „Tonangeber“ zu sein, weil ich denke, ich weiß was andere brauchen, sondern sich hin zu setzten, zu zuhören und zu lernen. Nicht der Macher zu sein, sondern aus den Erfahrungen und dem Wissen der Einheimischen herausfinden, welche Methoden hilfreich und bereichernd sein können und zu ermutigen eigene Wege zu finden, die passen und nachhaltig sind. Es sind Menschen, kein Geld oder Programme, die die Welt verändern.

  1. Was können wir in D machen? Wie sollen wir mit Flüchtlingen umgehen? Was kannst du uns aus deiner Erfahrung mitgeben?

Ich würde mir wünschen, dass wir in Deutschland offen für die Menschen sind die Kommen und sie willkommen zu heißen. Sie selbst kommen aus einer so starken Kultur des Willkommens und ihnen das spürbar weiter zu geben. Das kann sich in einer Unterhaltung auf der Straße oder im Helfen von bürokratischen Schritten oder bei einem Picknick ganz praktisch zeigen, was hier viele lieben. Ich würde mir wünschen, dass wir die Menschen aus Syrien und anderen Ländern „ganz“ sehen, sie nicht auf Flüchtlinge und ihrem letzten schwierigen Erlebnis- der Flucht zu reduzieren, sondern Interesse an den Menschen und ihrem Leben haben. Ihnen zu zuhören in dem, was sie erzählen wollen, vielleicht sind es Erlebnisse aus ihrem Heimatland, was sie wertvolles erlebt haben, aber nicht zu bohren, was sie erlebt haben, einfach für sie da sein und Tee mit ihnen trinken. Ich denke, es wäre schön, auf individueller und kollektiver Ebene zu handeln. Kollektiv kann man in den Kommunen, Gemeinden/Kirchen, Moscheen, Vereinen, Stiftungen nachfragen, was gebraucht wird (Übersetzer, Deutsch Unterricht, Wohnung suchen etc., gemeinsame Feiern, Feste oder Picknicke zu veranstalten) Wichtig im Blick zu behalten ist nicht das Wünschenswerte wünschen, sondern das Machbare machen.

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