“Jesus, unser Sündenbock. Zum Tod von René Girard.”

Theologie
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Diese Woche verstarb der französischer Kulturanthropologe und Religionsphilosoph René Girard in den USA und hinterlässt ein christlich-jüdisches Vermächtnis, welches nicht nur wichtig sondern aktuell wie nie erscheint. Vor einigen Jahren hat mir Girards mimetische Theorie um den Kreislauf des Begehrens geholfen, sowohl die Macht der Sünde besser als auch die Kraft und die Bedeutung des Kreuzes in all seinen Dimensionen zu verstehen. René Girard untersuchte als Kulturanthropologe das immer wiederkehrende menschliche Nachahmungsverhalten in unterschiedlichsten kulturellen Gruppen auf dieser Welt. Und es waren immer wieder dieselben Folgerungen: Aus dem Begehren erwächst Rivalität , die wiederum einen Konflikt zur Folge hat, mit all dem Potenzial einer existenziellen Krise von Aggression bis zur Gewalt. Girard sieht dieses Verhalten bei allen Menschen, egal welcher ethnischen Abstammung oder Religion. Dieser, wie er es nennt, mimetische Kreislauf sei von uns Menschen nicht einfach zu durchbrechen und sei die Ursache alle Konflikte, egal ob im privaten Bereich oder in der Politik. Die verschiedenen Stadien des Begehrens, der Rivalität, der Schuldzuweisungen, der verbalen Gewalt nehmen also ständig zu, bis ein Sündenbock gefunden und öffentlich geopfert wird. Die Möglichkeit, den Konflikt ohne Sündenbock zu beenden, sei unmöglich. Es überrascht nicht, dass die Passion Christi alle Merkmale eines mimetischen Zyklus beinhaltet; das mimetische Begehren, die Rivalität, die Krise und den Opfermechanismus. Der gewaltsame Tod Jesu macht ihn zum „unschuldigen Sündenbock“ und stoppt die Spirale menschlicher Gewalt. Mit dem irdischen Muster wird der Menschensohn zum Sündenbock, so dass wir Menschen dies begreifen und verstehen können und nicht nur das, wir können dadurch aus dem eigenen mimetischen Kreislauf ausbrechen. Die Kraft des Begehrens kann nun umgewandelt werden in die Kraft der Nachfolge, des Nachahmens. Die Konsequenz ist ebenso einfach wie herausfordernd: Die Nachfolger Christi durchbrechen durch die Anerkennung des letztes Opfers die Spirale und sind Botschafter des Friedens. Christus hat durch seinen Tod am Kreuz die Mächte entwaffnet, sie öffentlich zur Schau gestellt und über sie triumphiert. Das gibt Hoffnung und macht uns Christen zu Friedensstiftern in herausfordernden Zeit, in denen man sich an eine Lösung von Gewalt durch Gewalt scheinbar schon gewöhnt hat…

Interview in der Zeit mit René Girard.

Lesetipp: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz: Eine kritische Apologie des Christentums.

3 Comments

  1. Hi Toby,
    ich kann deine Ausführungen nur unterstreichen. Die Bücher Girards, vor allem dein Lesetipp, waren für mich noch wegweisender wie Bosch’s Tranforming Mission und haben für mich das Verständnis biblischer Texte völlig revolutioniert, egal ob es sich um die Lektüre der Psalmen, des Buches Hiobs oder der Evangelien geht.

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  2. Das Faszinierende an Girards Theorie ist für mich als bibelorientierten Christen, dass ich sein Verständnis in vielen Bibelstellen, insbesondere in der paulinischen Theologie, wiederfinden kann. Auch die orthodoxe Kirche hat das Kreuzesgeschehen im urchristlichen Sinn bis heute vertieft. Girard liefert ein Verstehensmodell, dass uns in der heutigen Diskussion über den Sühnetod wirklich weiterhelfen kann.

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