Botschafter der Versöhnung sein. Warum das Christival zur rechten Zeit kommt.

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Christival2016_JesusVersöhnt

Als das Thema des Christivals im Jahr 2010 festgelegt wurde, haben die Veranstalter wohl gehofft, dass das Thema 2016 wichtig sein wird, wie richtig sie lagen, wird in diesen Tagen immer wieder deutlich. Theologisch würde man sagen, es war wohl prophetisch, denn das Thema heißt: Jesus versöhnt.

Versöhnung ist wohl das, was wir aktuell am meisten brauchen und ich könnte wahrscheinlich Seiten füllen, weil es sich auf den unterschiedlichsten Ebenen abspielt:

  • Versöhnung zwischen den Gegnern gegenwärtiger Kriege und Konflikte
  • Versöhnung zwischen Arm und Reich
  • Versöhnung zwischen den Geschlechtern
  • Versöhnung zwischen den Kulturen
  • Versöhnung zwischen konservativen und progressiven Christinnen und Christen
  • Versöhnung zwischen…. (name it)

Versöhnung ist das große Thema der Menschheit und der Bibel. Wie ein roter Faden zieht sich die Geschichte Gottes mit den Menschen und von Genesis bis zur Offenbarung geht es um Versöhnung, zwischen Gott und den Menschen, den Menschen untereinander, der Mensch mit sich selbst und mit der Natur. Das Thema ist zu groß, als das es sich in einem Blogpost beschreiben ließe, aber drei Aspekte sollen genannt werden, die zeigen, warum es sich lohnt heute ein Botschafter der Versöhnung zu sein.

  1. Schalom als Versöhnungsbegriff im Alten Testament

Im Alten Testament wird der Aspekt der Versöhnung am hebräischen Begriff „Schalom“ sehr deutlich. Dieser bedeutet „Frieden“ und wurde im Alten Testament als Friedensgruß „Friede sei mit dir“ im Alltag verwendet. Der hebräische Ausdruck dafür („scha’al schalom“) bedeutet, wörtlich übersetzt: „nach dem Frieden fragen, sich nach dem Frieden erkundigen“, was die Frage an das Gegenüber beinhaltet: „Schulde ich dir etwas?“ Die Antwort kann sein: „Ja, Du schuldest mir etwas“. Der Frieden kann erst wiederhergestellt sein, wenn die Schuld ausgeräumt und Versöhnung geschehen ist. Ein sehr schöner und sinniger Gruß. Schon im Alltag wurden die Israeliten daran erinnert, dass Gottes Gerechtigkeit in allen Beziehungen zu sehen und zu erleben ist. Auch in denen, die unbequem und herausfordernd sind. Der Rabbiner Tom Kucera weist darauf hin, dass im Alten Testament die Wiederherstellung des Schaloms die zentrale und wichtigste Aufgabe für das Volk Israel war. Die Israeliten waren aufgefordert, z.B. die Armen anderer Völker, die unter ihnen lebten, genauso wie die Armen Israels zu versorgen. Die menschliche Liebe und Gemeinschaft reflektiert das göttliche Wesen. Diesen Prozess galt es für Israel immer wieder zu leben und feiern, auch wenn es viele Rückschläge gab. Aber gerade in diesen Kreislauf von Versagen und Gewalt gilt die Versöhnungsbotschaft Gottes, genau deshalb sandte er seinen Sohn.

2. Versöhnung als Ende des Kreislaufs der Gewalt

Der Mensch ist verwoben in der Struktur der Sünde und in einem ewigen Kreislauf der Gewalt und des Todes, der sich in vielen kriegerischen Konflikten in der globalen Welt genau so zeigt wie in zwischenmenschlichen Konflikten. Der französisch-amerikanische Kulturanthropologe René Girard nennt dieses Verhalten mimetisches Begehren, aus dem eine Rivalität erwächst, die wiederum einen Konflikt zur Folge hat, mit dem Potenzial einer existenziellen Krise von Aggression bis zur Gewalt. Der mimetische Kreislauf sei von uns Menschen nicht zu durchbrechen und sei die Ursache alle Konflikte, egal ob im privaten Bereich oder in der Politik. Die Möglichkeit, den Konflikt zu beenden, sei, einen Sündenbock zu finden und zu opfern. Die Konsequenz dieses Opfermechanismus ist Wiederherstellung der gemeinschaftlichen Einheit und Ruhe. Girard zeigt auf, dass es nur einen Ausweg aus diesem andauernden Dilemma gibt, dass diese Gewaltspirale des Begehrens gestoppt werden muss. Es überrascht nicht, dass die Passion Christi alle Merkmale eines mimetischen Zyklus beinhaltet: das mimetische Begehren, die Rivalität, die Krise und den Opfermechanismus. Der gewaltsame Tod Jesu macht ihn zum „unschuldigen Sündenbock“ und stoppt die Spirale. Mit dem irdischen Muster wird der Menschensohn zum Sündenbock, sodass wir Menschen dies begreifen und verstehen können, und nicht nur das, wir können dadurch aus dem eigenen mimetischen Kreislauf ausbrechen. Die Kraft des Begehrens kann nun umgewandelt werden in die Kraft der Nachfolge, des Nachahmens. René Girard weist zu Recht darauf hin, dass eine Bedeutung des Kreuzestod Jesu im Christentum nicht die Beachtung findet, die ihr eigentlich gehört: als Ausweg aus der immerwährenden Gewalt der Menschheit. Die Kraft des Begehrens kann nun umgewandelt werden in die Kraft der Nachfolge, des Nachahmens. Die Konsequenz ist ebenso einfach wie herausfordernd: Die Nachfolger Christi durchbrechen durch die Anerkennung des letztes Opfers die Spirale und sind Botschafter der Versöhnung. Sie haben den Auftrag die Gewalt zu überwinden, da soziale Gerechtigkeit keine Erfindung der Aufklärung, sondern der jüdisch-christlichen Offenbarung ist. So kommt Girard zum Schluss seiner Studien auf den Punkt, dass die gewaltlose Gesellschaft auf die Verkündigung Jesu zurückgeht und sich im Reich Gottes zeigt. Der Theologe Walter Wink nimmt die Gedanken von Girard in seiner Theologie der Mächte auf und zeigt eindrucksvoll, dass materielle und spirituelle Mächte in dieser Welt nicht zu trennen sind, dass jeder Konzern, jeder Staat oder jede Partei in diesen Kampf der Mächte einbezogen ist – und vereinfacht könnte man sagen, dass jede Macht sowohl gut als auch böse ist. Nimmt man dazu die Theorie Girards vom Begehren, wird deutlich, welchen Kräften und Mächten wir tagtäglich ausgesetzt sind und dass viele dieser Mächte egoistisch und aggressiv nur für den eigenen Gewinn arbeiten. Und genau in diesen ausweglosen Kreislauf und Kampf stellt Gott das Kreuz als Friedenzeichen der Erlösung, das diesen menschlichen Kreislauf stoppen soll:

„Anstatt dass Gott durch Jesu gewaltfreie Selbstopferung am Kreuz über die herrschenden Mächte triumphiert, geraten diese aus dem Blick, und Gott ist in eine Handlung involviert, die gänzlich innerhalb seiner Person stattfindet. Was ist das aber für ein Gott, dessen eigene Gesetzesbilanz nur durch den Tod eines unschuldigen Opfers ausgeglichen werden kann? Jesus selbst hat den Menschen einfach Vergebung verkündet in der Gewissheit, dass er die Absicht Gottes aussprach. (Wink 2014:81)

So spielt das Kreuz in der großen Geschichte Gottes mit den Menschen eine zentrale Rolle, wenn es um Versöhnung und Gerechtigkeit geht. Es spiegelt die Würde des Menschen, die in der Existenz des Menschen und seiner Ebenbildlichkeit gelegt ist, wider. Ein Zeichen und Fest dieser Versöhnungstat ist das Abendmahl.

3. Wo Abendmahl gefeiert wird, entsteht Versöhnung

Menschen, die nach den Grundsätzen der Ebenbildlichkeit leben, streben nach der Versöhnung Gottes, sie leben mitten in dieser Welt, heben dabei die gesellschaftliche Diskrepanz zwischen Arm und Reich auf und schaffen so einen neuen Raum für Versöhnung (2.Kor 5,18-19) und somit für die Anbetung Gottes. Daraus folgt eine neue Form von Gemeinschaft, die von der Kraft der erfahrenen Versöhnung lebt und diese wieder weitergeben kann, sie hat eine Sprengkraft, die die großen Diskriminierungen dieser Welt überwinden kann, wie Paulus an die Gemeinden in Galatien (Gal 3,28) und uns heute schreibt: In Christus gibt es nicht mehr Griechen und Juden (kulturelle Differenzen), nicht mehr Männer und Frauen (geschlechtliche Unterdrückung) und nicht mehr Freie und Sklaven (Ausbeutung durch Ungleichheit), in ihm sind sie allesamt eins, und die großen Ausgrenzungen können in dieser neuen Gemeinschaft überwunden werden.

Dies zeigt sich ganz konkret, indem wir lernen

  1. a) Menschen wahrzunehmen, hinzuschauen, wo andere wegschauen;
  2. b) unseren wachen Verstand zu nutzen, zu analysieren und nach den Ursachen zu fragen;
  3. c) auf unser mitfühlendes Herz zu hören, Mitgefühl zuzulassen;
  4. d) unsere engagierten Hände einzusetzen, um Nächstenliebe in konkrete Taten umzusetzen.

Dabei werden gerade wir westlichen Christen aufgefordert, von den südlichen Geschwistern zu lernen, da sie uns in vielen biblischen Tugenden – Gemeinschaft leben, Gaben teilen oder um Christi willen leiden – ein Vorbild sind. Hier haben gerade die scheinbar Armen viel zu geben, und die scheinbar Reichen sind die Empfangenden. Im Abendmahl selbst wird die Würde aller Menschen sichtbar und gemeinsam gefeiert. In Christus gibt es keine Unterschiede mehr, sondern Brot und Wein verbinden und versöhnen Menschen aller Kulturen und ermöglichen so einen eschatologischen Ausblick auf die kommende Herrschaft Christi. Einheit statt Trennung ist die Botschaft Christi und stellt die Botschaft der Welt auf den Kopf. Abendmahl bedeutet so auch Weltverwandlung und verbindet Menschen global miteinander im neuen Stand Christi. Im Abendmahl werden die herrschenden Kräfte dieser Welt außer Kraft gesetzt und durch die Macht Christi ersetzt. Durch den Tod und die Auferstehung Christi sind alle Menschen mit Christus verbunden und vor und in ihm gleichgestellt, wohlwissend, dass dies in einer eschatologischen Spannung geschieht. So wird in der theologischen Bedeutung des Abendmahls ein Ausblick auf das gegeben, was im Himmel sein wird. Hier wird aber auch ein Auftrag formuliert, den uns Gott gibt und der sich mitten unter uns erfüllen soll und einen Teil des Reiches Gottes sichtbar abbildet. Dieses Reich Gottes ist umkämpft, und wir brauchen mehr als menschlichen Idealismus. Gottes Geist ist es, der Versöhnung in uns, um uns und durch uns schafft. Und Gott selbst ist es, der versprochen hat, dieses Reich einmal zu vollenden.

Am Christival 2016 teilnehmen heißt für mich Botschafter dieser Versöhnung zu sein. Deshalb bin ich dabei.

 

2 Comments

  1. Noch so eine Ebene der Versöhnung: Friede zwischen Gott und seinen Feinden, den Sündern (Röm 5,10).

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