“Herausforderung Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden: Bericht von der „Internationale Friedenskonsultation“ in Berlin”

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Heute ist der 3. Oktober und wir feiern den Tag der Deutschen Einheit. Ein besonderer Tag, an dem wir der friedliche Revolution und der daraus folgenden Wiedervereinigung gedenken. Letzte Woche traf sich in dem Saal, in dem die ersten Friedensverhandlungen zwischen Opposition und Regierung in Ostberlin stattfanden, eine „Internationale Friedenskonsultation“. Kein Zufall, dass das Dietrich Bonhoeffer Haus mit dem historischen Saal (im Kirchensaal der Herrnhuter Brüdergemeinde fand der 1. Runde Tisch statt) gewählt wurde, sondern programmatisch und anknüpfend an die Geschichte sollte diese Friedenskonsultation sein. Denn wenn wir auf das letzte Jahr zurückschauen, gibt es viele Entwicklungen, die sowohl in Deutschland als auch international mehr als besorgniserregend sind. Was bedeuten die Konfliktherde dieser Welt für die Kirchen? Wie gehen wir um mit dem ansteigenden Rechtspopulismus? Wie können wir als Kirche für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung einstehen? Gerade in den Zeiten kriegerischer Konflikte und Terror? Wie sieht das ganz konkret in den Stadtteilen und Dörfern unseres Landes aus? Und was können wir von den internationalen Erfahrungen unserer Geschwister weltweit lernen? Diesen Fragen gingen wir in der „Internationalen Friedenskonsultation“ in Berlin nach

Der Friedensbeauftragte der EKD, Renke Brahms lud ein – und viele sind gekommen. Vertreterinnen und Vertreter aus 16 Ländern, 20 verschiedenen Kirchen und Freikirchen sowie verschiedenen christlichen Werken, aus Diakonie, Mission und Entwicklungszusammenarbeit diskutierten diese Fragen, tauschten Erfahrungen aus und überlegten, wie Kirche zu einer „Just Peace Church“ werden kann, die die Kraft hat, prophetisch in unsere Gemeinschaften hineinzusprechen.

„Das Einstehen für Gerechtigkeit beginnt mit der Versöhnung und Transformation von uns selbst.“

Ein Höhepunkt der Konsultation war sicherlich der Vortrag von Dr. Agnes Abuom, Vorsitzende des Zentralausschusses im ÖRK, Genf (erste Frau auf diesem Posten, erste Afrikanerin). Sie zeichnete den langen Weg des Friedens durch die letzten Jahrzehnte nach. Frieden ist nichts, was nebenbei geschieht, sondern braucht viel Geduld, Kraft, Rückschläge und Ausdauer – Versöhnung ist ein langer Weg, so Aboum, um dann deutlich zu sagen: Und wir gehen ihn weiter. Dabei stehen persönliche Spiritualität, die Haltung der Kirche und der Auftrag, in unser Gemeinwesen hinein zu wirken, in einem kausalen Zusammenhang. Kirche des Friedens zu sein, ist keine leichte Aufgabe und fordert uns immer wieder heraus. Agnes Abuom legt den Finger in die Wunden, in dem sie Rassismus in den internationalen Kirchen anprangert und die deutschen Teilnehmer*innen fragt: „Wie kann die deutsche Kirche dasitzen und sich über das Leben freuen, wenn wir kriegerische Konflikte im Kongo oder Syrien haben? Wenn Millionen hungern? Was ist das höchste Gebot? Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst. Und diese Nächstenliebe beginnt in den Gebeten unserer Gottesdienste, in der Anteilnahme, im Teilen.“ Sich für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung einzusetzen, ist ein beschwerlicher und herausfordernder Weg, der mit der persönlichen Versöhnung zwischen jedem einzelnen und Gott beginnt. Friedenstifter starten mit der eigenen spirituellen Transformation, das ist die Grundlage für das Handeln am Nächsten. Die Reise für einen gerechten Frieden ist auch zwischen den Konfessionen und Denominationen nötig und zwischen der südlichen und nördlichen Kirche. Abuom erinnerte daran, dass gerade die Kirche oft Gewalt und Unrecht zugelassen hat und es bis heute nicht verarbeitet ist.

„Wir brauchen mehr zivilen Ungehorsam im religiösen Kontext.“

Ein besonderes Merkmal der Konsultation war die Begegnung und Partizipation aller Telnehmenden. Ob am „kitchen table“ theologisiert wurde, gemeinsam in Kleingruppen Bibel gelesen oder kreativ das Gehörte und Diskutierte plastisch umgesetzt wurde, es waren immer alle beteiligt und so lernte man sich kennen und lernte voneinander. Zwei biographische Geschichten möchte ich kurz skizzieren, weil sie für mich deutlich machen, wie Wege der Veränderung aussehen können und Gott Heil, Versöhnung und Frieden in kleinen Schritten sichtbar werden lässt. Raghu Balachandran kam aus Sri Lanka und gehört dort zu der Minderheit der Tamilen und musste erleben, wie sein Vater und sein Bruder deswegen umgebracht wurden. Aus der Verarbeitung dieses Traumas begann er sich politisch und kirchlich zu engagieren. So ist er mittlerweile Pressesprecher der tamilischen Oppositionspartei und Mitarbeiter in der Methodistischen Kirche, die sich für Versöhnungsprozesse vor Ort einsetzt. Auch wenn das schwer ist, sieht er seine Berufung von Gott in der Aufgabe, sich für die „verwundeten“ und vergessenen Menschen einzusetzen und Versöhnung zu leben. Dann war da René August aus Südafrika, sie engagiert sich für Versöhnungsarbeit zwischen den Kulturen, Generationen und Milieus. Dabei war der Weg für sie selbst herausfordernd, da sie unter dem Apartheid Regime aufgewachsen ist, in dem die Bibel immer als Argumentation für das System der Unterdrückung benutzt wurde. Deshalb musste sie sich erst mit der Bibel versöhnen, bevor sie begann, sich für Versöhnung der Menschen einzusetzen.

„In der Friedensarbeit erkennen wir Gott. Durch die Friedensarbeit loben wir Gott.“

Für mich war diese Konsultation herausfordernd und ermutigend zugleich. Zum einen konnte ich sehen, welche Rolle die Kirche in vielen aktuellen Konfliktfeldern spielt und wie sich Christ*innen einsetzen, um Gottes Gerechtigkeit sichtbar zu machen und so Versöhnung tatsächlich geschieht. Zum anderen ermutigt es mich hier für unsere Arbeit in Deutschland, dass die unterschiedlichen Kirchen sich für Friedensprozesse in ihrem Gemeinwesen konkret einsetzen, für einen Versöhnungsprozess zwischen arm und reich, den unterschiedlichen Milieus, Gemeindeformen und Frömmigkeitsstilen, Menschen mit und ohne Behinderungen, Männern und Frauen und Menschen aus den verschiedenen kulturellen Hintergründen. Es ist Versöhnung auch in Deutschland nötig, in den verschiedenen Beziehungsebenen unseres Lebens. Und diese konkrete Auseinandersetzung kann der Motor für eine geistliche Erneuerung und einer ausstrahlungskräftigen, überzeugenden und zukunftsfähigen Gestalt von Kirche sein. Ich bin gespannt, wie der angefangene Prozess weitergeht…..

 

3 Comments

  1. Ich denke auch, dass eine persönliche, innere Klärung wichtig ist, um die Kraft und Orientierung zu haben, nach außen zu wirken. Mir fallen dazu die Berufungsgeschichten der Propheten, die Wüste als Ort der Vorbereitung und die Versuchungs-Erzählung Jesu ein. Ich frage mich manchmal bei den christlichen Events, die wir anstrengen, ob wir unsere Ressourcen da wirklich optimal einsetzen.

    Könnte Kirche so ein Ort der Klärung sein, oder zumindest den Prozess beim Einzelnen in Gang setzen und unterstützen?

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  2. Gute Frage! 😉 Ich würde ja immer sagen, dass zunächst die Frage nach der Wirkung ins Gemeinwesen wichtig ist, erst dann kommen Großveranstaltungen. Gegen die ich ja nichts habe, aber sie dürfen von der eigentlichen Arbeit nicht ablenken, sondern sollten diese unterstützen.

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