“Das Wunder von Moabit. Die Geschichte einer kirchlichen Auferstehung.”

Kultur & Glaube

In den letzten 25 Jahren wurden über 870 evangelische und katholische Kirchen geschlossen. Wo einst Gottesdienste gefeiert wurden, sind nun Museen, Kindergärten, Restaurants, Zahnarztpraxen oder gar eine Bankfiliale. Doch in einer dieser einst geschlossenen Kirchen werden jetzt wieder Gottesdienste gefeiert.

Wie alles begann

„Ich hatte schon immer den Traum von einer lebendigen Gemeinde in einer alten Kirche“ sagt Steve Rauhut, einer der Initiatoren und Gründer der REFO. Rauhut hörte 2009 von der Reformationskirche in Berlin Moabit, eine seit Jahren leerstehende Kirche. Eine Kirche mit ganz besonderer Geschichte: Einst setzte sich hier Günther Dehn als Pfarrer und religiöser Sozialist für die Menschen im Kiez und für mehr soziale Gerechtigkeit ein, und Dietrich Bonhoeffer zog es deswegen immer wieder in seine Gottesdienste. Zusammen mit Freunden hat sich Steve Rauhut auf den Weg gemacht, um für einen symbolischen Euro die leerstehende Kirche und das umliegende Gelände mit mehreren Gebäuden zu übernehmen. Die Mitte davon bildet der REFO-Konvent, eine Lebensgemeinschaft, deren Ziele Steve Rauhut folgendermaßen zusammenfasst: „Gemeinschaft leben, einen Begegnungsort schaffen, auf dem sich unterschiedlichste Menschen aus dem Kiez zu Hause fühlen. Auf diese Weise wollen wir Gemeinde gründen, und uns in der Kraft der Liebe Gottes dafür einsetzen, dass unsere Gesellschaft sozial gerechter wird – das ist unsere gelebte Vision.“

Vernetzte Beteiligungskirche

Zu Beginn des Projekts begann Rauhut parallel „Transformationsstudien“ zu studieren, um fachlich und praktisch begleitet zu werden. Er bilanziert dazu heute: „Wirklich bemerkenswert ist die Verbindung von Theorie und Praxis. Die Theorie anhand des eigenen Projekts zu vertiefen und die Praxis mit Blick auf die Studieninhalte zu reflektieren und weiterzuentwickeln, erwies sich als sehr wertvoll und inspirierend.“ Sie starteten ganz praktisch mit einer Kontextanalyse und befragten die Menschen im Kiez, was sie sich von einer Kirche wünschen. Zuerst entstanden künstlerische und soziale Projekte, Arbeit mit Geflüchteten, Kinoformate und natürlich folgten auch Formen von Gottesdiensten und Kleingruppen. Gemeinsam mit der Kantorei und dem Jugendtheater initiierte der Konvent eine große und vielfältige Community, die auf dem Campus zu Hause ist. Beide waren bereits auf dem Campus vertreten, und später kamen auch weitere NGOs der Nachbarschaft dazu. Von 2016 bis 2017 sanierte der REFO-Konvent die Campus-Gebäude umfassend und baute eine Kita, in der heute 130 Kinder aus dem Kiez ihr zu Hause finden. Heute wohnt ein Großteil des Konvents im Wohnhaus auf dem Gelände; im Projekthaus sind NGOs eingezogen, die Opfern von faschistischer und antisemitischer Gewalt, und auch Arbeitssuchenden helfen. Zurzeit entstehen das REFO-Café und der Wiclefplatz, weitere Begegnungsorte für die Menschen im Kiez. Bei allem ist das Grundprinzip: Die REFO ist eine Mitmach-Kirche. Deshalb ist sie eng vernetzt mit dem Quartiersmanagement, der Bürgerplattform, der Stadtteilvertretung und vielen anderen Beteiligungsorganisationen. „Uns allen ist es ein großes Herzensanliegen, das Zusammenleben von Menschen hier in unserem Kiez durch Gottes Liebe zu verändern“, so Steve Rauhut. Eine Erfolgsgeschichte – die jedoch zwischenzeitlich fast gescheitert wäre.

Wie alles zu scheitern drohte

Denn Anfang 2014 kam alles zum Stillstand. Das Team war ausgelaugt, Kraft und Geld gingen aus, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht geklärte Gebäudefrage wurde zum Problem – eine Lösung nicht in Sicht. Nach viel Gebet und Reflexion, wurde den Mitgliedern der Gemeinschaft aber sehr deutlich, dass Moabit und der REFO-Campus weiterhin der Ort der eigenen Berufung sind. Im Herbst 2014 startete die Gemeinschaft eine Kampagne, um die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) zu bitten, diesen Begegnungsort zu erhalten und dem Konvent eigenverantwortlich zu übergeben. Alle Beteiligten waren überwältigt, wie viele Menschen aus Kirche, Politik und Kiez sie dabei unterstützten. Generalsuperintendentin und Superintendent, Bezirksbürgermeister, Bundestagsabgeordnete, Quartiersmanagement und das gewählte Bezirksparlament, stellten sich hinter die REFO. „Ein echtes Wunder“, so Steve Rauhut, „und immer wieder haben wir erlebt, dass Gott unsere eigene kleine Kraft multipliziert und weitere tolle Menschen zu unserer Gemeinschaft dazu stoßen.“

Finanziell eigenständig

Die EKBO hat „Ja“ gesagt und der Gemeinschaft den gesamten REFORMATIONS-Campus mit Kirche und allen seinen Gebäuden per Erbbaurechtsvertrag für 99 Jahre kostenlos übergeben. Finanziell eigenverantwortlich hat die REFO den 5,5 Mio. Euro Bau gestemmt und auch Betrieb und Leben geschehen ohne kirchliche Finanzmittel. Sie ist dennoch ein kleines kirchliches Werk innerhalb der EKBO, und EKD-weit ein neues Kirchenmodell.

Ganz der EKBO zugehörig und gleichzeitig finanziell eigenverantwortlich – Ein guter Weg, um Teil der verfassten Kirche zu sein, und doch aufgrund der hohen Eigenverantwortung auch größtmögliche Freiheiten zu haben. Die REFO ist und bleibt eine Beteiligungskirche, fest im Stadtteil integriert. Vor allem durch die ehrenamtliche Arbeit von vielen trägt sie sich und verzichtet auf einen hauptamtlichen Pfarrer oder eine Pfarrerin. So stellt Steve Rauhut fest: „Wir freuen uns, dass Gott immer wieder Mitwirkende zu uns bringt und beten gleichzeitig für weitere Menschen, die mitmachen möchten. So suchen wir gerade dringend weitere Erzieher*innen für unsere Kita. –  Kirche ist für uns der Ort, an dem sich Menschen verbünden, um das, was Gott ihnen aufs Herz gelegt hat, gemeinsam umzusetzen. Wir gestalten unsere Gottesdienste und kulturellen Veranstaltungen und alles Leben auf dem Campus so, dass Teilnehmende selbst aktiv werden können. Wir laden ein, mitzugestalten und sich in unsere basisdemokratischen Prozesse einzubringen, um gemeinsam unseren Kiez und unsere Gesellschaft sozial gerechter zu machen.“

Der Text erschien zuerst in der Zeitschrift 3E.

Bild: Schriftzug an der Refo Moabit.

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