„König ohne Krone.“ Warum gerade in schwierigen Zeiten die Krippe und nicht die Krone den Unterschied macht. Eine persönlich-theologische Weihnachtsreflexion.

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„Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ Lukas 2,12

 

Die Weisen aus dem Morgenland wussten es, konnten es aber nicht glauben und gingen zunächst zum Königspalast. Die Schriftgelehrten der damaligen Zeit wussten es, weil sie die Prophetien der Schrift richtig deuteten, sind aber gar nicht hingegangen. Nur die Hirten, sie wussten nichts und kannten keine Schriften, haben auf die himmlische Botschaft der Engel gehört und sind direkt hingegangen. Zur Krippe. Zum Zeichen des neuen Königs. Zum anderen Hoffnungsträger. Zum König ohne Krone.

Um das richtige Ziel zu wissen nützt nichts, wenn man es nicht glauben kann und doch seine eigenen Wege geht. Die Weihnachtsgeschichte zu hören und zu kennen nützt wenig, wenn man ihr nicht folgt, den Weg zur Krippe geht.

Auch ich bin manchmal wie die Weisen und die Schriftgelehrten, ich weiß es eigentlich und gehen doch zuerst zum Königpalast. Warum?  Weil dort der Ort der Macht ist, des Recht Bekommens, der Anerkennung. Zu sehr wirkt die gesellschaftliche Erwartung, wie ein König auszusehen hat. Vermischen sich meine Hoffnungen in die Hoffnungen Gottes hinein. Da kommt jetzt endlich der König, mit aller Macht und räumt diesen „irdischen Laden“ endlich mal auf. Der allmächtige Herrscher, der unsere Hoffnungen erfüllt. Damals ging es um die verhassten Besetzer des Landes und heute sind es vielleicht die liberalen Demokraten in den USA, die abtreibungswilligen Frauen in Polen und die Kulturschaffenden in Ungarn. Und bevor ich weiter mit dem Finger auf andere zeige – mir geht es doch oftmals ganz ähnlich.

Der Königpalast steht für die Hoffnung, endlich Recht zu bekommen. Meine eigenen Vorstellungen durchzusetzen, das ist  so süßlich schön verlockend wie die nicht vorhandenen Weihnachtsmärkte in diesem verflixten Coronajahr.

Wir wissen eigentlich, dass mit der Krippe das Reich Gottes beginnt, die Hoffnung für diese Welt, und nicht mit der Krone, aber vielleicht haben wir zu viel über Krone und Macht gesungen, sodass unsere Sinne vernebelt sind und wir automatisch zum Königpalast laufen, statt zur Krippe im Stall. „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist in Reichweite. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (Mt 4,17). Mit der Krippe beginnt dieses Reich Gottes. Und Weihnachten ist deshalb auch ein Bußaufruf. Ein Aufruf zur Umkehr. Die Richtung zu wechseln. Weg vom Königpalast und unseren frommen Allmachtsphantasien hin zum König ohne Krone. Seine Hoffnung sieht anders aus: Verletzlich und machtlos statt stark und allmächtig – so liegt er da, der König als Baby in der Krippe. Haben wir das wirklich erwartet? Hoffnungsvoll ist sein Programm, das mit der Krippe beginnt und so paradox und herausfordernd ist, dass wir es oft nicht erstnehmen, sondern gerne zu den alten Machtverhältnissen zurückkehren, denn die Krippe sagt:

  • Nicht Gewalt, sondern Gewaltlosigkeit
  • Nicht nehmen, sondern geben
  • Nicht Erfolg, sondern Sündenbekenntnis
  • Nicht das größte, sondern das kleinste Samenkorn hat die größte Auswirkung
  • Wer sich erniedrigt und dem anderen dient, der wird erhöht werden
  • Wer seinen Glauben teilt, seine Zeit teilt, seinen Besitz teilt, der wird wachsen, durch ihn wird das Reich Gottes ausgebreitet

Krippe statt Krone.

Die Umkehr zur Krippe tut weh, fordert mich heraus. Sperrt alte Gewohnheiten aus. Habe ich die Freiheit, mich von den Anerkennungen der Anderen loszusagen? Denn diese Krippe ist zunächst rau und wenig attraktiv.

Krippe statt Krone. An dieser Krippe entscheidet sich noch etwas anderes. Diese Krippe verwandelt die Menschen, die vor ihr stehen, denn: Vor dieser Krippe sind alle gleich. An dieser unscheinbaren Krippe haben alle Platz: die Reichen und Weisen genauso wie die Armen und Ausgegrenzten. Die Krippe bringt die Menschen zusammen, alle sind willkommen, alle werden angenommen, da gibt es keine Unterschiede. Da wird nicht unterschieden zwischen denen, die weggelaufen und denen, die hingelaufen sind. Niemand wird weggeschickt, niemand ist zu reich oder zu arm. Alle Unterschiede, alle Zweifel und Unsicherheiten werden unterbrochen, spielen für einen Moment keine Rolle – der Friedefürst nimmt sie alle an, vor dem hilflosen Baby spielt der Status keine Rolle.

Ein König ohne Krone. Kein Königsthron, sondern die Einfachheit der Krippe und die Hilflosigkeit eines Babys sind das Zeichen, an dem der neue Herrscher erkannt wird. Und an dieser Krippe zählt kein Status, keine Macht, sondern wir können so kommen, wie wir sind. Sind angenommen in aller Gebrochenheit unseres eigenen Lebens.

Ein König ohne Krone. Eine Hoffnung die verwandelt.

Der Theologe Ulrich Bach brachte dies einmal wunderbar auf den Punkt, als er sagte: „Wenn Gott selber in die Hilflosigkeit kam, dann ist Hilflosigkeit kein Makel, dann ist Schwäche nicht schlimm; beide sind von Gott geheiligt“. Und so stehen wir vor dieser Krippe mit all unserer Hilflosigkeit gegenüber den Ungerechtigkeiten dieser Welt: Den Kriegen dieser Welt, den Konflikten in der eigenen Familie und den persönlichen Unzulänglichkeiten. Wir glauben, dass das Baby in der Krippe die Hoffnung für diese Welt, für unsere Familien und für uns selbst ist. Paradoxer geht es kaum. Und so dürfen wir mit unserer Verletzlichkeit an die Krippe kommen, mit unserer Unvollkommenheit und unserer Machtlosigkeit. Die Verletzlichkeit in einer grausamen Welt, an der sich bis heute in vielen Teilen nicht viel geändert hat. Gerade da, wo wir Hilflosigkeit erleben und an der Verletzlichkeit zu scheitern drohen, wenn der Schmerz einen übermannt und die Hoffnung der Hilflosigkeit zu unterliegen droht, genau dann, dann schauen wir in die Krippe. Diesem hilflosen Kind entgegen, in diesem Beugen vor dem Kind wird die ganze Demut des Glaubens sichtbar, kein eigenes Tun, kein Besserwissen, kein Verurteilen, kein eigener Anspruch, sondern selbst hilflos werden. Und haben wir diese Hilflosigkeit und Verletzlichkeit dieses Jahr nicht besonders erfahren? Hat nicht die Corona-Pandemie aufgezeigt, dass Politik, Wirtschaft, Kultur und Kirche schneller verwundbar sind als wir je dachten? Wie viele Menschen haben Ihre Arbeit verloren? Wie viele Familien kamen in die Krise? Wie viele Kulturbetriebe müssen schließen?

Und bei all dem habe ich mich als „Coronagewinner“ gefühlt. Bis meine Frau plötzlich Corona bekam und uns die eigene Verletzlichkeit und Machtlosigkeit schlagartig deutlich wurde. Bis wir als Familie vier Wochen in Quarantäne waren und auf die Hilfe von Freunden und Gemeinde angewiesen waren. Und auch jetzt, wo es meiner Frau nach sieben Wochen immer noch nicht richtig gut geht und Angst und Unsicherheit steigen. Heilige meine Schwäche. Heilige meine Verwundbarkeit. Heilige meine Machtlosigkeit.

Weihnachten ist das Hoffnungsfest der Verwundeten, Marginalisierten, Machtlosen – derjenigen, die die Richtung wechseln, die hingehen zur Krippe, die sich so befreien lassen von Konsum- und Leistungszwang, von falschem Selbstbezug und falschen Sicherheiten, von Rechthaberei und Macht. Verwandlung ist notwendig. Heilige meine Schwäche, Verwundbarkeit und meine Machtlosigkeit. Die Krippe und das anbrechende Reich Gottes sind eine Haltung, kein Halten von Geboten. Wir sind geliebt und gewollt und angenommen. Weihnachten erinnert uns, dass die Hoffnung dieser Welt nicht im Königpalast zu finden ist, sondern in einer unscheinbaren Futterkrippe. Die Gnade geht hinein, hinunter, hinab in die Tiefe. Da wo ich so gerne alleine bin, wo mich keiner sehen darf.

  • In die Ungerechtigkeit
  • In das Elend
  • In das Versagen
  • Und das Wort wurde Fleisch.

 

„Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ Lukas 2,12

 

Wer Ohren hat der gehe. Weil Hoffnung die Gegenwart verwandelt. Siehe, dein König kommt. Ein König ohne Krone.

 

Gesegnete Weihnachten.

 

 

Bild: Krippe im Dom

 

9 Comments

  1. Martina Kasten

    Danke für diese guten und wohltuenden Gedanken! Liebe Grüße auch an Christine- weiterhin gute Besserung und ein gesegnetes Weihnachtsfest! Martina

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  2. Inga Watzdorf

    Lieber Tobias, vielen Dank für diese Gedanken. Leicht zu lesen aber sehr, sehr schwer zu leben. Deiner Frau wünsche ich eine vollständige Genesung und euch als Familie ein besonderes und schönes Weihnachtsfest.

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  3. Etienne Engel

    Vielen Dank für diese Facetten der Weihnachtszeit.

    Gute Besserung und Gottes Gnade sei mit Ihnen und Ihrer Familie

    Vg

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