“Karte & Gebiet – Eine Ethik zum Selberdenken. Reflexionen zu Buch und Podcast.”

Theologie

Die aufgeschlagene Karte liegt auf den Knien und beide Wandernden schauen kritisch hinein. Sie suchen nach dem besten Weg, um das angepeilte Ziel gut und sicher zu erreichen. Dabei ist der Blick nach vorne gerichtet, klar, denn die beiden wollen möglichst unversehrt ankommen. Aber obwohl sie das gleiche Ziel vor Augen haben, gibt es Streitigkeiten über den richtigen Weg. Das hat gleich mehrere Gründe. Während der eine Wanderer ein jahrelange Wandererfahrung mitbringt und den kürzesten, aber auch gefährlicheren Weg wählen will, ist der andere, eher ungeübte Wanderer vorsichtig, möchte lieber den längeren, aber sichereren Weg auswählen. Und während sie darüber diskutieren, merken sie, wie die eigene Vergangenheit die Gegenwart beeinflusst.

Auch das Studium der Karte führt zu unterschiedlichen Interpretationen. Denn manche der abgebildeten Zeichen sind auf der erklärenden Agenda nur notdürftig erläutert.

Zudem ist die Wanderkarte schon älter und manche der vor ihnen liegenden Wanderwege sind offensichtlich auf der Karte nicht vorhanden. Umgekehrt sind manche Wanderwege auf der Karte zwar eingezeichnet, aber diese scheint es im vor ihnen liegenden Gebiet nicht mehr zu geben. Der eine Wanderer studiert weiter die Karte, weil er sich hier die maßgebliche Orientierung erhofft; haben die Karten doch über Jahrhunderte den Menschen Orientierung gegeben. Der andere Wanderer beginnt hingegen zu zweifeln, an welcher der verzeichneten Weggabelungen sie sich wirklich befinden. Er holt einen Kompass heraus, vergleicht die Umgebung und die Karte und versucht neu, mit Hilfe der Karte herauszufinden, wo sie gerade sind und in welcher Richtung das Ziel liegen müsste.

 

Selbst auf dem Weg sein

Uns (Thorsten Dietz und mir) ging es während der letzten Jahre beim Schreiben dieser Ethik und den Aufnahmen des Podcast „Karte & Gebiet“ ganz ähnlich wie diesen beiden Wanderern. Wir fühlten uns wie auf einer großen Wanderung mit dem Ziel, eine Ethik für die gegenwärtige Situation zu schreiben und zu sprechen.

Und wie bei allen moralischen Konflikten gibt es nicht den einfachen und kurzen und sicheren Weg ohne Anstrengung. Es gilt manche Hürde zu nehmen, manche Ungewissheit auszuhalten und bisweilen nach neuen Wegen zu suchen.

Wohlwissend, dass dies den Raum für Kritik öffnet, denn es ist sicher vom bewährten Weg aus Warnungen auszusprechen, selbst wenn man genau weiß, dass der Weg in eine Sackgasse führt. Ethik ist sowas wie die neue Theologie, gab es früher Diskussionen und Kirchenaustritte wegen Abendmahl und Taufe, so sind es heute eher die ethischen Themen, die zu intensiven Diskussionen führen. Das liegt auch am “Gebiet” in dem wir leben.

 

Wenn sich die Wirklichkeit verändert

Das Gebiet, in dem wir uns gerade befinden, ist kein leichtes Gelände. Die Welt um uns herum zerbricht zunehmend in moralische Kulturkämpfe, in denen Moral teilweise als Waffe gebraucht wird, um andere abzuwerten oder auszugrenzen.

Die moralischen Konflikte der Gegenwart haben immer mehr Sprengkraft. Die Grenzen zwischen dem eigenen Leben und den Einflüssen der globalen Welt verschwimmen zunehmend.

Zu schnell scheint die fluide Moderne vieles, was bisher sicher und klar war, in Frage zu stellen: Berufsbilder und Arbeitsformen, Geschlechterrollen und Familienbilder, religiöse und politische Zugehörigkeiten etc. Wer bin ich? Und bin ich nur das, was ich selber gewählt habe? Oder was andere mir vor- und zuschreiben? Wie kann ich das eine vom anderen unterscheiden?

 

Den eigenen Weg finden – eine Ethik zum Selberdenken

Bei unserer Suche nach Orientierung haben wir uns vor allem an einem dicken und bewährten Wanderatlas Maß genommen, der Bibel. Für uns ist sie das zentrale und vertrauenswürdige Buch unserer Lebensreise.

Dies hat mit unserer Erfahrung mit diesem „Wanderatlas“ zu tun. Er hat uns in unserer Biographie immer wieder gute und sichere Wege in unserem Leben gezeigt und geführt.

Dabei geht es uns wie den beiden Wanderern, die die Karte ganz unterschiedlich lesen gelernt haben und auch sehr unterschiedliche Wege ausprobiert und gefunden haben. Und vielfach kennen wir beide die Erfahrung, dass man manche Wege aus dem Wanderatlas Bibel nicht mehr in der eigenen Wirklichkeit findet, während sich gleichzeitig neue Wege und Möglichkeiten auftun, die wiederum in der Bibel nicht zu finden sind.

 

Was trägt in dieser unübersichtlichen Zeit?

Jetzt legen wir den Entwurf einer Ethik zum Selberdenken vor (in Buch und Podcast), der Christ*innen helfen soll, in dieser immer unübersichtlicher werdenden Zeit richtige Entscheidungen zu treffen, einen richtigen Weg zu nehmen, der zu einem guten Leben in der Gemeinschaft mit Gott und den Menschen führt. Aber was ist ein gutes Leben? Was sind die Kriterien für gute und moralische Entscheidungen? Was geschieht, wenn sich persönliches und allgemeines Wohl nicht gleichzeitig verfolgen lassen? Wenn Freiheit und Bindung in Konflikt treten? Welche ethischen Leitlinien stiften Orientierung? Was sind nur aktuelle Moden, was traditionelle Konzepte, die tragen?

Wir verstehen Ethik als Reflexion von Moral und moralischen Handeln. Solche Reflexionen schaffen Abstand zu konfliktorientierter Kulturkampfrhetorik. Wir brauchen Ethik, um überhaupt wieder miteinander über unsere moralischen Intuitionen sprachfähig zu werden.

Die Unterscheidung von Reflexion und konkreter normativer Auffassung die Freiheit zur Reflexion und Auseinandersetzung bewahrt, auch wenn die Reflektierenden selbst moralische Prinzipien haben, die ihre Reflexion ihrerseits anleiten. Ohne Ethik gibt es keinen Dialog. Nur durch Ethik werden wir fähig, zwischen die Konfliktlinien zu gehen und jeweils das kommunikative und selbstreflexive Element zu fördern. Das Ziel ist eine eigenständige ethische Urteilskraft. Damit verbunden ist auch eine Ambiguitätstoleranz gegenüber anderen Weltauffassungen und Werten. Ethik führt nicht immer zu Einigkeit. Aber sie kann Verständnis trotz unterschiedlicher Einschätzungen fördern und zu einer versöhnten Verschiedenheit führen. Wesentlich ist dabei die Anregung zum eigenen ethischen Urteil mitten in den Streitfragen unserer Zeit zu bekommen. Dabei sollen jeweils verschiedene Perspektiven eine faire Darstellung finden.

 

Wenn der Weg uns selbst verändert

Eine Besonderheit unseres Ansatzes ist, dass ein Schwerpunkt auf die Thematik Bibel und Hermeneutik gelegt wird. Die Bibel ist, aus nachvollziehbaren Gründen, gerade im christlichen Kontext oftmals ein Gegenstand von Auslegungskämpfen, in denen um Deutungsmacht gerungen wird. Dabei spielt sie als zentraler Orientierungspunkt eine wichtige Rolle auf der Suche nach dem richtigen Weg.

Der Weg der Wanderer führt nicht nur durch ein Gebiet, das sich verändert hat.

Er verändert die Wanderer auch selbst. All ihre Erfahrungen, die guten genauso wie die schlechten, hinterlassen ihre Spuren, denn jede erfolgreiche Zielankunft stärkt, jeder Umweg, jede Gefahr, die man erlebt, prägen einen. Deshalb reden wir von einer transformativen Ethik, weil wir glauben, dass es nicht nur um die Veränderungen unserer Routen durch das Gebiet oder auch des Gebiets selbst geht, sondern dass uns die Beschäftigung mit ethischen Entscheidungen selbst verändert. Ethik, die verändert. So könnten wir es in Kürze ausdrücken, denn wir glauben, dass hinter dem großen Wanderatlas ein großer Gott steht, der uns als Wanderer sieht und durch alle, auch eigenen Veränderungen, mitgeht.

 

Der Podcast zum Buch

Zum Buch machen wir einen Podcast, wo wir unser entwickeltes Schemata der ethischen Entscheidungen zum Selberdenken selbst an verschiedenen Themen ausprobieren. Wir gehen im Podcast aktuellen ethischen Fragen nach und fragen nach guten moralischen Entscheidungen. Dabei ist das Gebiet, die Wirklichkeit, in der wir uns gerade befinden, kein leichtes Gelände. Die Welt um uns herum zerbricht zunehmend in politische Kulturkämpfe.

 Immer häufiger finden Menschen keinen gemeinsamen Weg mehr, weil sie sich an ganz unterschiedlichen moralischen Landkarten orientieren; oder dieselben Karten sehr anders deuten.

Bisherige Karten geben immer weniger Orientierung, weil sich das Gebiet im beständigen Wandel befindet. Anhand von verschiedenen aktuellen Beispielen (siehe Themen weiter unten) diskutieren wir offen und ehrlich wie wir zu einer ethischen Entscheidung kommen und laden unserer Hörer:innen ein eine eigene Meinung zu finden.

Den Podcast gibt es auf allen gängigen Plattformen wie Spotify, iTunes etc. einen Überblick gibt es hier.

 

Karte & Gebiet in Zahlen und Fakten:

Bisher gibt es 24 Folgen, mehr sind geplant

Seit über 250 Tagen in den Podcast Charts

Wurde bisher in 17 Länder gehört

Über 250.000 mal gehört

 

Hier die bisherigen Folgen:

Start der 2. Staffel “Sex & Gender”

Folge 14: Wer diskriminiert wen?

Folge 13: Friedensethik – Im Angesicht des Kriegs

Folge 12: Homosexualität Part 2

Folge 11: Homosexualität Part 1

Folge 10: 8 Schritte für eine gute ethische Entscheidung

Folge 9: Gerechtigkeit – I have a dream

Folge 8: Freiheit – ist das einzige, was zählt…

Folge 7: Kann denn Liebe Sünde sein?

Folge 6: Will die Bibel, dass wir unsere Kinder schlagen? Eine ethische Fallanalyse

Folge 5: Ethik und die große Story Gottes

Folge 4: Wie wird unsere Ethik der Bibel gerecht?

Folge 3: Wie wird unsere Ethik der Wirklichkeit gerecht?

Folge 2: Der Weg zur Ethik

Folge 1: Der Weg zur Transformation

 

Interaktion & Feedback auf Buch & Podcast

Wir sind überrascht über die große Resonanz von Buch und Podcast und freuen uns natürlich sehr darüber, nicht nur über die Reichweite, sondern auch über die vielen Rückmeldungen, die wir nur mühsam alle beantworten können. Meistens sind diese sehr positiv, nachdenklich und oft mehrere Seiten lang. Insgesamt sehr konstruktiv, was auch zeigt, dass nicht nur die “Lauten” zu hören sind, sondern dass es eine nachdenkliche und kluge Mitte gibt, die um die eigene Meinung kämpft. Den nicht nur wir ringen mit manchen Themen, suchen im Gebiet nach dem richtigen Weg und versuchen die Karte richtig zu lesen, sondern auch viele Leser:innen und Hörer:innen sind in einer ähnlichen Situation.

Aber klar gibt es auch Kritik, manche zu Recht und manche naja, eher grundsätzlicher Art, da einige das mit dem Selberdenken nicht so mögen. Mündige Christ:innen sind natürlich auch ein Risiko und stellen bisherige Systeme und Theologien in Frage, so dass Macht  – auch von Leitenden – in Frage gestellt wird.

Eine beispielhafte Rezension des Buches von Thomas Ebinger.

Eine vernichtende Kritik sei auch erwähnt: von Thomas Jeising.

Manche wie Sebastian Pirling denken in der Tat weiter und da kommen spannende Gedanken raus.

Eine Kurzzusammenfassung unserer Ethik gibt es von Thorsten hier.

 

Danke an den Neukirchener Verlag, dort kann man das Buch beziehen.

3 Comments

  1. Guten Morgen, Herr Faix.

    In Ihrem podcast (13. Folge) erwähnen Sie Ihre Predigt zu Psalm 85, 11. Wo finde ich diese Predigt zum Nachlesen?

    Herzliche Grüße, Michael Freitag-Parey

    Antworten
  2. Simeon

    Sehr cool, dass ihr versucht beide Seiten zu vertreten. Bei der Kirchentagfolge ist mir aufgefallen, dass die “Gegenseite” zu eurer Einstellung noch sehr Nahe an eurem selbstvertändnis ist. Die Argumente von der Gegenseite sind häufig doch noch wesentlich härter und für mich auch gefühlt radikaler. Ev. könntet ihr ja nicht unbedingt selbst die Rolle ergreifen sondern die Behauptungen einbringen, auch die radikalen, so im Still es gibt Menschen die behaupten: “So und so” Das würde vielleicht ohne dass ihr direkt jemanden habt der direkt so denkt noch deutlicher Gegenargumente einbringen.

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