Rezension von Christof Lenzen, „Gesund beten statt gesundbeten. Wege aus toxischer Spiritualität“, Neukirchener Verlag, 2025

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Schon der Titel sticht ins Auge, lässt einen stocken, nachdenken, innerlich lächeln oder auch verärgert zurück. Und eigentlich ist damit schon viel über das Buch von Christof Lenzen gesagt. Der Pastor, Traumatherapeut und Missionsleiter, widmet sich in seinem Buch Gesund beten statt gesundbeten. Wege aus toxischer Spiritualität der weit verbreiteten Erfahrung, dass Beten oft mehr Frustration als Trost bringt. Auf knapp 250 Seiten (aufgeteilt in sechs Abteilung) diagnostiziert er zunächst die „Gebetskrise“: ein Gefühl von Ohnmacht, geistlichen Druck, Dauerzweifeln und mechanistischen Ritualen, die eher belasten als befreien. Gottesvergiftung ist die harte Diagnose von Christof Lenzen und so macht er sich auf seine Leserinnen und Leser eine Entgiftungskur anzubieten und schont dabei weder sich noch seine Lesenden, aber gerade diese Ehrlichkeit („Gebet ist nur ein langweiliger Monolog“, „Oft frage ich mich: Warum bete ich überhaupt?“ oder „Meine Gebete fühlen sich schal und leer an“) macht das Buch ehrlich und glaubwürdig.

Ausgehend von dieser Problemanalyse verbindet Lenzen biblische und psychologische Einsichten, um eine lebendige, beziehungsorientierte Gebetspraxis zu begründen. Anschließend stellt er konkrete Übungen und Rituale vor, vom achtsamen Innehalten über kreative Formen des Gebets bis hin zu gemeinschaftlichen Impulsen wie dem „inneren Hauskreis“. Diese Praxisbausteine münden in einen Ausblick auf fehlerfreundliche Gemeinschaftsformen, die gesunde Spiritualität leibhaftig werden lassen. Aber Lenzen ist dabei ehrlich, das geschieht nicht einfach so, Beziehung muss gepflegt und hinterfragt werden. Gebet bedeutet ehrlich werden, einander kennenlernen und mutig falsche Vorstellungen abzustreifen, dann ist ein neuer Zugang zum Gebet möglich. Im Zentrum von Lenzens Argument steht dabei die Unterscheidung zwischen formalistischem „gesundbeten“, das Gott als Mittel zum Zweck missbraucht, und authentischem „gesund beten“, das Gebet als wechselseitige Beziehung zwischen Betendem und Gott versteht. Lenzen zeigt auf, wie frühe Prägungen – etwa das Bild eines strafenden Gottes oder Leistungsfrömmigkeit – oft unbewusst toxische Glaubensmuster verfestigen. Er plädiert dafür, diese Blockaden zunächst zu identifizieren und sich von ihnen zu lösen. Darüber hinaus führt er das Konzept der Supererogation ins Feld: Rituale, die über das Nötige hinausgehen, etwa längere Schweigezeiten oder künstlerische Gebetsformen, eröffnen „Bonuspfade“ zur geistlichen Freiheit. Traumatherapeutische Elemente wie Körper-, Atem- und Achtsamkeitsübungen runden den Ansatz ab und verankern Gebet als Instrument seelischer Heilung. Für die individuelle Praxis empfiehlt Lenzen eine bewusste Selbstreflexion: Betende sollten ihre eigenen Gebetsblockaden hinterfragen und unterschiedliche Formen des Gebets erproben, um herauszufinden, welche sie authentisch mit Gott in Verbindung bringen. In der Seelsorge rät er, therapeutische Techniken direkt in Gebetskontexte zu integrieren und dabei gerade in Gruppensettings Verwundbarkeit zuzulassen. Gemeinden und Leitungsverantwortliche sollten feste Strukturen für Gebetswerkstätten schaffen, in denen Pastor:innen und Ehrenamtliche ihre eigene Gebetspraxis reflektieren und weiterentwickeln. Auch die Einbindung kreativer Ausdrucksformen – Musik, Malen, Tanz oder Naturmeditation – hält Lenzen für unerlässlich, um Betenden immer wieder neue Begegnungsräume mit Gott zu eröffnen. Zusammenfassend können wir das mit einem Satz aus dem Buch selbst: „Gebet ist Beziehung, nicht Technik.“ Die vielen Techniken und Praxistipps in der Toolbox (Abteilung 4) des Buches dienen genau dieser Beziehung, diese wieder neu zu beleben und aus dem (eigenen) geistlichen Druck zu nehmen. 

Kritisch angemerkt sei, dass der Titel die inhaltliche Breite nicht vollständig abbildet: Lenzen geht es nicht nur ums Beten, sondern um die gesamte Gottesbeziehung – vom Gottesbild bis zu ihren Auswirkungen im Alltag. Zwar steht das Gebet im Zentrum, doch es ist nicht alles. Gleichzeitig ist es gerade eine Stärke, wenn der Inhalt mehr hergibt, als der Titel vermuten lässt. 😉 Vom Aufbau her hätte ich mir jedoch gewünscht, dass die Abteilung 6 in die Abteilungen 2 und 3 integriert worden wäre; so stehen viele gute und hilfreiche Gedanken und Fragen am Ende etwas isoliert. Trotzdem erfüllt Lenzen, was der Titel verspricht: Er regt zum Nachdenken an, zauberte mir immer wieder ein innerliches Lächeln hervor und provoziert mich gelegentlich – genau das, was ein gutes Buch tun soll.

Fazit: Gesund beten statt gesundbeten ist ein inspirierender Wegweiser für alle, die ihr Gebetsleben erneuern möchten, und eignet sich besonders für Kleingruppen, in denen Inhalte diskutiert und gemeinsam eingeübt werden können. Ein ehrlich-authentisches, praxisorientiertes Buch, das theologische Tiefenschärfe mit psychologischer Kompetenz verbindet und Gebet als Ort gelebter Heilung und echter Begegnung neu erschließt.

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