„Siehe, ich mache alles neu!“ Eine theologische Auseinandersetzung mit der Jahreslosung 2026 und die Frage, nach ihrer Bedeutung für heute.

Theologie

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„Siehe, ich mache alles neu“ (Offb 21,5) – das ist der göttliche Imperativ der Hoffnung, den die Jahreslosung uns für das neue Jahr zuspricht. Er ruft uns in eine Haltung der Wahrnehmung, des Glaubens und der göttlichen Verwandlung zu. Die Neuheit Gottes ist dabei keine Flucht aus der Geschichte, sondern deren Erfüllung. Sie meint die endgültige Versöhnung von Gott, Mensch und Schöpfung – eine Welt, in der die Wunden geheilt, die Tränen getrocknet und die Mächte verwandelt sind. Die Jahreslosung aus Offb 21,5 ist dabei nicht nur eine zukünftige Vision, sondern eine lebendige Zusage für die Verwandlung der Gegenwart. Sie öffnet den Blick für eine Hoffnung, die nicht Vertröstung, sondern Transformation meint – persönlich, kirchlich und gesellschaftlich.

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Um was es geht: Gottes Versprechen nach Erneuerung und Verwandlung

Der Satz „Siehe, ich mache alles neu“ steht am Kulminationspunkt der gesamten Offenbarung des Johannes. Nach den Gerichten, den Visionen des Bösen und der endgültigen Vernichtung von Tod und Hades (Offb 20) eröffnet Kapitel 21 die Schau des „neuen Himmels und der neuen Erde“. Der Sprecher ist kein Engel, kein Prophet, sondern Gott selbst — „der auf dem Thron sitzt“. Es ist die Stimme der schöpferischen Autorität, die das letzte Wort über Geschichte, Leid und Vergänglichkeit spricht. Das Wort ist performativ: „ich mache“ (ποιῶ) — kein bloßes Versprechen, sondern ein göttliches Tun, das Wirklichkeit schafft. Im apokalyptischen Sprachgebrauch ist dies der Übergang vom „alten Äon“ zum „neuen Äon“, vom durch Leid und Gewalt bestimmten Weltlauf zu einer durch Gottes Gegenwart verwandelten Schöpfung.

Das zentrale Adjektiv καινός (neu) unterscheidet sich bewusst von νέος (neu). Während νέος zeitlich neu bedeutet – etwas, das zuvor nicht da war –, verweist καινός auf eine qualitative Neuheit: auf das Verwandelte, das in neuer Gestalt hervortritt.

Damit wird hier nicht eine Neuschöpfung ex nihilo (wie wir es aus der Schöpfung kennen, Gen 1+2) beschrieben, sondern eine Erneuerung und Verwandlung der bestehenden Wirklichkeit in einer höheren, ja geheilten Form. Die bisherige Schöpfung wird nicht abgelöst, sondern transformiert. Diese Differenz ist entscheidend: Gott schafft die Welt nicht neu, sondern verwandelt sie in eine neue Qualität des Seins – frei von Tod, Leid und Trennung (Offb 21,4). Das Himmelreich bricht sich schon jetzt durch auf dieser Erde und bringt die Hoffnung mit, dass alles, was jetzt noch unperfekt ist, verwandelt wird. Das göttliche „Neu-Machen“ ist kein Reset, sondern eine Transformation. Gleich dazu mehr, aber der Reihe nach. 

Da der Text ein bisschen länger geworden ist, hier eine Gliederung, für alle, die einen Überblick brauchen:

Teil 1: Exegetische und theologische Beobachtungen zu Offb 21,5

1. Literarischer Kontext

2. Aufbau und Syntax

3. Der Souverän auf dem Thron

4. „Siehe, ich wirke Neues; jetzt sprosst es auf – erkennt ihr’s denn nicht?“ 

5. Rabbinische Perspektiven: Erneuerung der Welt

Teil 2: Deutungen für heute: „Siehe, ich mache alles neu“ als Hoffnungsperspektive

1. Hoffnung, die die Gegenwart verwandelt

2. Schöpfungsspiritualität und ökologische Verantwortung

3. Schwachheit und Leid trotz „alles neu“?!

4. Gesellschaft und Politik: Eine erneuerte Welt ohne Gewalt, Unterdrückung und Angst

5. Gemeinde und Kirche Gottes Experimentierraum des Neuen auf Erden

6. Zwischen Gegenwart und Zukunft und dem letzten Wort

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Teil 1: Exegetische und theologische Beobachtungen zu Offb 21,5

  1. Literarischer Kontext

Die Verse Offb 21,1–8 markieren den theologischen Höhepunkt der gesamten Offenbarung. Nach dem Ende des Bösen (Kap. 20) entsteht kein leerer Raum, sondern eine neue, verwandelte Wirklichkeit. Der göttliche Schreibbefehl („Schreibe!“ 21,5; vgl. 1,11.19; 14,13) bekräftigt die Wahrheit der Vision: „Diese Worte sind treu und wahr“ – eine Formulierung, die bereits in Jes 65,16 anklingt. Das „neue Jerusalem“ (21,2) steht in der Linie prophetischer Hoffnung, zugleich aber für eine universale Erfüllung. Es ist sowohl Ort als auch Volk Gottes: eine Stadt ohne Tempel, weil Gott selbst in ihrer Mitte wohnt (21,22). Die alttestamentliche Verheißung des „Zeltens Gottes“ bei den Menschen (Lev 26,12; Ez 37,27) findet hier ihre endgültige Realisierung. Sprachlich interessant ist der Plural „seine Völker“ (21,3), der auf die Inklusion aller Nationen hinweist (vgl. Sach 2,15). Das Motiv „das Meer ist nicht mehr“ (21,1) ist mehrdeutig und trägt eine integrative Symbolik: Das Meer als Inbegriff des Chaos, der Bedrohung und der Trennung verschwindet. Damit endet die Erfahrung des Getrenntseins, der Angst und der Trauer (21,4). Es handelt sich nicht um die Abwesenheit von Wasserquellen – diese fließen im Strom des Lebens (22,1), sondern um das Ende jener Mächte, die Leben bedrohen.

Die prophetische Matrix der Offenbarung

Die Offenbarung des Johannes steht somit in einer Linie mit den späten prophetischen Traditionen Israels (Jesaja, Sacharja, Ezechiel), die von einer erneuerten Welt und einer wiederhergestellten Stadt sprechen. Doch sie interpretiert diese Traditionen nicht nostalgisch, sondern transformativ: Das „neue Jerusalem“ ist nicht einfach Wiederherstellung des alten, sondern Symbol der versöhnten, geheilten Schöpfung. Damit bleibt die Spannung zwischen Verheißung und Erfüllung bestehen: Die Offenbarung vollendet die prophetische Hoffnung nicht durch Aufhebung, sondern durch Intensivierung. Das Leid der Welt bleibt der Hintergrund, vor dem das göttliche Neu-Schaffen als Akt der Treue und Zuwendung verstanden wird.

In dieser Perspektive zeigt sich das Herz prophetischer Theologie: Gott verlässt seine Welt nicht.

Er bleibt der Handelnde, der inmitten von Geschichte und Leid neue Wirklichkeit ins Dasein ruft – nicht aus der Ferne, sondern in der Nähe seiner Menschen. Offenbarung 21,5 ist so nicht nur das Ende einer apokalyptischen Vision, sondern die Vollendung einer langen Linie prophetischer Hoffnung: das endgültige „Jetzt“ Gottes, in dem die Welt erneuert wird.

Ausführlich zur Offenbarung als Kontext, siehe Thorsten Dietz.

2. Aufbau und Syntax

Offb 21,5 steht als Scharnier zwischen Gericht (Kap. 20) und Neuschöpfung (Kap. 21–22). Der Vers besteht aus zwei göttlichen Redeeinheiten, verbunden durch καὶ λέγει: 

„Siehe, ich mache alles neu.“ (ἰδοὺ καινὰ ποιῶ πάντα)
„Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind treu und wahr“. Diese Struktur – göttliches Handeln und göttliche Beglaubigung – ist typisch für die Offenbarung und verleiht dem Wort prophetische Autorität (vgl. 1,11; 14,13; 19,9). Zugleich schließt der Vers einen großen Bogen: Gott selbst spricht hier zum ersten Mal seit 1,8 wieder unmittelbar. Zwischen diesen beiden Gottesreden entfaltet sich das ganze Drama von Gericht und Rettung. Offb 21,5 bildet somit das theologische Zentrum und die Wende vom Untergang zur Neuschöpfung. Nach der Zerstörung der alten Mächte (Kap. 20) bricht nun das schöpferische Handeln Gottes unwiderstehlich hervor. Das einleitende ἰδοὺ („siehe“, besser: „achtet auf“) ist mehr als ein rhetorisches Signal. Es schafft Präsenz. Die Partikel ruft in die Gegenwart:

Das Neue ist nicht ferne Zukunft, sondern geschieht jetzt. Im Neuen Testament markiert ἰδοὺ stets epiphanische Momente – Orte, an denen Gottes Handeln sichtbar wird (vgl. 3,8; 16,15; 21,3).

In Offb 21,5 eröffnet es den finalen göttlichen Akt: Am dem Ende der alten Welt ruft Gott in die Gegenwart seines neuen Wirkens.

„Neu mache ich alles“ 

Folgt man dem Satzbau wörtlich, könnte man meinen, Meister Yoda von Star Wars würde sprechen, denn die Wortstellung ist ungewöhnlich: „Neu mache ich alles.“ Das Adjektiv καινά steht betont vor dem Verb. Gewöhnlich würde man ποιῶ πάντα καινά erwarten („ich mache alles neu“). Die Voranstellung hebt das Neue selbst hervor: „Neu – das ist, was ich mit allem tue.“ Der Fokus liegt auf der Qualität des Neuen, nicht auf dem bloßen Tun. Das Verb ποιῶ („machenschaffen“) ist schöpferisch konnotiert. In der LXX wird es in der Schöpfungserzählung verwendet (Gen 1,31: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte“). Die Offenbarung greift dieses Motiv auf: Der Gott der Genesis ist derselbe wie der Gott der Vollendung. Das „Neu-Machen“ ist eine zweite Genesis – keine andere, sondern eine verwandelte Schöpfung, frei von Tod und Leid.

Die semantische Unterscheidung von καινός und νέος ist hier zentral:

νέος bezeichnet zeitliche Neuheit, das gerade Entstandene.

καινός meint qualitative Neuheit, etwas, das durch Gottes Handeln verwandelt ist.

In der Offenbarung wird καινός durchgängig für göttliche Erneuerung verwendet: „neuer Name“ (2,17), „neues Lied“ (5,9), „neuer Himmel und neue Erde“ (21,1), „neues Jerusalem“ (21,2). Diese Häufung macht deutlich:

Das Neue ist kein Austausch des Alten, sondern Transformation. Gott schafft nichts anders, sondern neu. Er zerstört nicht, sondern verwandelt. Damit bleibt Kontinuität zwischen der ersten und der erneuerten Schöpfung gewahrt – ein Gegenentwurf zu dualistischen oder gar weltflüchtigen Deutungen.

Diese Spannung kennen wir aus der Verkündigung Jesu vom „Himmelreich“ (Reich Gottes) und dem „jetzt und noch nicht“, zwischen Heilsindikativ (Heil ist bereits Realität) und Heilskonjunktiv (Heil kann möglich werden). Das Reich Gottes besitzt eine Mehrdeutigkeit, die sich in drei Dimensionen zeigt: a) Gegenwärtige Gottesherrschaft – sichtbar in Jesu Wirken, in Seligpreisungen, Wachstumsgleichnissen und Aussagen über eine bereits beginnende neue Wirklichkeit, b) zukünftige Gottesherrschaft – Ausdruck in Bitten um das Kommen des Reiches, in eschatologischen Erwartungen wie der Völkerwallfahrt oder dem eschatologischen Mahl, und c) der Verbindung von Gegenwart und Zukunft – besonders im Vaterunser, das sowohl die künftige Vollendung (Du-Bitten) als auch die gegenwärtige ethische Praxis (Wir-Bitten) miteinander verschränkt.

3. Der Souverän auf dem Thron

Der Vers beginnt mit der Bezeichnung „der auf dem Thron sitzt“. Dieses Bild zieht sich durch die ganze Offenbarung (vgl. 4,2.9; 5,1.7; 19,4) und knüpft an prophetische Thronvisionen an (Jes 6; Ez 1). Der Thron steht für göttliche Souveränität, Ordnung und Gerechtigkeit. Gott regiert, indem er erneuert. Nach Gericht und Chaos folgt nicht Machtentfaltung, sondern Schöpfung. Der zweite Satzteil („Schreibe!“) wiederholt das typische Beglaubigungszeichen apokalyptischer Literatur. Es geht nicht um Information, sondern um Vergewisserung: Das Gesehene soll festgehalten werden, damit es geglaubt werden kann. „Diese Worte sind treu und wahr.“ Die Doppelformel verbindet πιστός (treu, verlässlich) und ἀληθινός (wahr, wirklich). Hier begegnet die Sprache des Bundes: Gottes Wort ist zuverlässig, weil Gott selbst treu ist. Damit markiert Offb 21,5 den Übergang von Vision zu Verheißung. Das Neu-Schaffen Gottes ist kein poetisches Bild, sondern die Zusage einer realen, bleibenden Hoffnung. Der Vers ist somit nicht nur Zentrum der Offenbarung, sondern ihr theologisches Programm: Gott spricht – und indem er spricht, schafft er neu. Der Sprecher ist „der auf dem Thron sitzt“.

In der Bildsprache der Offenbarung ist der Thron Symbol göttlicher Souveränität, im Kontrast zu den politischen Mächten des Imperium Romanums. Hier wird eine Theopolitik sichtbar: Nicht der Kaiser herrscht über Leben und Tod, sondern der Schöpfer.

In einer Welt, in der Macht und Gewalt das letzte Wort zu haben scheinen, proklamiert die Offenbarung eine andere Herrschaft – eine, die heilend, schöpferisch und gerecht ist. Das göttliche „Siehe!“ (ἰδοὺ) ist zugleich ein Ruf zur Umkehr der Wahrnehmung: Wer apokalyptisch sieht, erkennt jenseits der sichtbaren Katastrophen eine göttliche Wirklichkeit, die schon jetzt im Werden ist.

4. „Siehe, ich wirke Neues; jetzt sprosst es auf – erkennt ihr’s denn nicht?“ 

Die Offenbarung steht nicht isoliert im biblischen Kanon, sondern schöpft tief aus den Quellen prophetischer Hoffnung des Alten Testaments. Ihr apokalyptisches Imaginarium ist kein radikaler Bruch mit der hebräischen Bibel, sondern eine kreative Relektüre ihrer Zukunftsverheißungen. Manche Exeget:innen sprechen daher von der Offenbarung als „Steinbruch“ der prophetischen Tradition: Sie bietet nichts völlig Neues, sondern akzentuiert und kombiniert vorhandene Motive neu – zu einer visionären Theologie der Vollendung – ganz im Sinne der Jahreslosung. 😉 

Jesaja 43,19 – Das schöpferische Jetztwort Jahwes

„Siehe, ich wirke Neues; jetzt sprosst es auf – erkennt ihr’s denn nicht?“ (Jes 43,19). Dieses Wort erklingt im babylonischen Exil, in einer Situation der Entwurzelung und Hoffnungslosigkeit. Das „Neue“ ist hier kein fernes, zukünftiges Heil, sondern ein kreatives Jetztwort: Mitten in der Wüste des Exils kündigt Gott eine lebendige Quelle an – Wasser, das Leben schafft, wo alles vertrocknet ist. Offb 21,5 greift dieses Motiv auf und intensiviert es: Aus dem „Ich wirke Neues“ wird „Ich mache alles neu“. Damit wird die jesajanische Verheißung von der Gegenwart der Zukunft auf ihren eschatologischen Höhepunkt gebracht. Was in Jesaja als Beginn einer Erneuerung mitten in der Geschichte erscheint, wird in der Offenbarung zur endgültigen, universalen Vollendung gesteigert. Das prophetische „Jetzt“ und das apokalyptische „Ende“ sind keine Gegensätze, sondern aufeinander bezogen: Das Neue Gottes wächst im Alten heran und findet in der Vollendung seine Erfüllung.

Jesaja 65,17–19; 66,22 – Neuer Himmel und neue Erde

Die Prophetien des späten Jesajabuches bilden den zentralen Hintergrund für die Vision des neuen Himmels und der neuen Erde in Offb 21,1. Dort heißt es: „Denn siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde; an das Frühere wird man nicht mehr denken“ (Jes 65,17). Hier gewinnt das „Neue“ eine eschatologische Qualität: Es ersetzt das Alte nicht einfach, sondern verwandelt es in einen Zustand bleibender Freude, Frieden und Gerechtigkeit. „Ich will mich freuen über Jerusalem und mich fröhlich zeigen über mein Volk; und man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens“ (V.18f) – eine Formulierung, die in Offb 21,4 fast wörtlich wiederkehrt:

„Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“ Auch Jes 66,22 unterstreicht die bleibende Dauer dieser neuen Schöpfung: „Wie der neue Himmel und die neue Erde, die ich mache, vor mir Bestand haben werden, spricht der Herr, so soll euer Geschlecht und Name Bestand haben.“ 

Dieser Gedanke wird in Offb 21 radikalisiert: Die Gegenwart Gottes selbst, sein „Thron“, wird in die Mitte der neuen Welt verlegt. Die Vision vom „Zelten“ Gottes bei den Menschen (21,3) erfüllt, was in Jesaja nur verheißen wurde – das endgültige Ineinander von göttlicher und menschlicher Gegenwart.

5. Rabbinische Perspektiven: Erneuerung der Welt

Auch in der rabbinischen Literatur wird die Vorstellung einer künftigen, erneuerten Welt intensiv bedacht. Die Rede vom ʿolam ha-baʾ – der „kommenden Welt“ – entfaltet sich in unterschiedlichen, teils nebeneinander bestehenden Deutungslinien, die sowohl schöpfungstheologische als auch apokalyptische Akzente tragen.

Erneuerung ohne Vernichtung
Ein Strang der rabbinischen Tradition versteht die kommende Welt als Erneuerung der bestehenden Schöpfung, nicht als deren Aufhebung. In verschiedenen Midraschim (z. B. Midrasch zu Psalm 96) und im Qaddisch de-Rabbanan begegnet die Formulierung: „Er, der die Welt erneuern wird in seiner Herrlichkeit.“ Diese Linie sieht das Handeln Gottes als Akt der Treue – die Schöpfung bleibt der Ort göttlicher Gegenwart, wird aber in ihrer Qualität verwandelt. Auch die Targumtraditionen bezeugen diesen Gedanken. Der Targum zu Jesaja 66,22 interpretiert „der neue Himmel und die neue Erde“ als „die Welt, die Gott in der Zukunft erneuern wird“.

Hier ist das Neue nicht Bruch, sondern Kontinuität in verwandelter Gestalt. Die kommende Welt entsteht aus der gegenwärtigen – als Frucht der schöpferischen Treue Gottes.

Neu-Schaffen als fortdauernder Schöpfungsakt
Andere Midraschim (z. B. Exodus Rabba 44Sifre Deuteronomium 32,1) betonen stärker den Aspekt des Neuschaffens. Gott wird als der beschrieben, der „täglich die Welt neu schafft“. Das Eschaton ist demnach keine einmalige Katastrophe, sondern die Vollendung eines immerwährenden schöpferischen Prozesses. Auch hier bleibt die Verbindung zu Jesaja 66,22 zentral: Die Dauerhaftigkeit des Neuen ist Ausdruck der bleibenden Verlässlichkeit Gottes. Schöpfung wird verstanden als fortgesetzte, dynamische Handlung – eine immer neue Gegenwart Gottes in seiner Welt. Daneben existieren rabbinische Überlieferungen, die eine Zwischenphase der Ruhe oder des Endes der Welt beschreiben. In Sanhedrin 97a–b und im Seder Eliyahuwird eine eschatologische Struktur entfaltet, die an das Sabbatmotiv anknüpft:

Nach einer bestimmten Zeitspanne „ruht“ die Welt, sie wird gleichsam „verwaist“, bevor Gott sie neu belebt. Dieser kosmische Sabbat bildet eine Übergangszeit zwischen der alten und der erneuerten Welt. Die Analogien zu den Sabbat-, Jubel- und Erlassjahr-Konzepten der Hebräischen Bibel sind deutlich: Nach der Ruhe folgt Befreiung, Neubeginn, göttliche Herrschaft.

Tikkun Olam – die Heilung der Welt

Der Begriff Tikkun Olam (תיקון עולם) bedeutet wörtlich „Heilung“ oder „Reparatur der Welt“ und steht im Zentrum mehrerer jüdischer Traditionslinien, die Glaube und gesellschaftliches Handeln eng miteinander verbinden. In seiner halachisch-sozialen Dimension, wie sie bereits in der Mischna Gittin belegt ist, bezeichnet mipnei tikkun ha-olam („um der Ordnung und Wohlfahrt der Welt willen“) rechtliche und soziale Anpassungen, die dem Schutz der Schwachen, der Gerechtigkeit und der Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens dienen. In seiner liturgisch-theologischen Gestalt begegnet Tikkun Olam im Gebet Aleinu, das die Hoffnung auf die künftige Königsherrschaft Gottes ausdrückt, unter der die Welt erneuert und die Götzen der Macht entlarvt werden. Eine mystisch-ethische Deutung findet sich in der lurianischen Kabbala: Durch das Tun der Mizwot, der Gebote, sammeln Menschen die in der Welt verstreuten göttlichen Funken ein und wirken so gemeinsam mit Gott an der Wiederherstellung der Schöpfung mit. In modernen ethischen Ausprägungen schließlich wird Tikkun Olam zu einem Leitmotiv gesellschaftlicher Verantwortung:

Tikkun Olam steht für Engagement in Fragen der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit und der Nachhaltigkeit – als Ausdruck einer Spiritualität, die nicht auf Weltflucht zielt, sondern auf die aktive Gestaltung und Heilung der Welt.

Verbindungslinien zur Offenbarung

Die Offenbarung des Johannes greift diese rabbinischen Linien auf, transformiert sie jedoch christologisch und universal. Wie die rabbinischen Texte, betont sie, dass das Neuwerden der Welt ein Akt göttlicher Treue ist – kein Abbruch, sondern Erfüllung der Schöpfung. Zugleich wird der Gedanke des Neuschaffens in Offb 21,5 („Siehe, ich mache alles neu“) zu einer finalen, alles umfassenden Wirklichkeit gesteigert. Das apokalyptische Bild der Offenbarung steht damit im Spannungsfeld dieser jüdischen Traditionsstränge:

Schöpfungstheologisch: Gott erneuert die Welt, die er liebt, und bleibt ihr treu.

Apokalyptisch: Das Alte vergeht, damit Raum entsteht für das Endgültig-Neue.

Offenbarung 21,5 verbindet beides zu einem eschatologischen Ganzen: Die Welt wird nicht zerstört, sondern in der Treue Gottes verwandelt. Das Neu-Schaffen ist zugleich Wiederherstellung und Vollendung – die Vollendung jener Hoffnung, die auch die rabbinische Tradition trägt: dass Gott seine Schöpfung nicht aufgibt, sondern sie in seine eigene Zukunft hinein erneuert.

Die Offenbarung steht in der Tradition prophetischer wie jüdischer Apokalyptik (Jes 65,17; 2Hen 48,1). Doch sie transformiert diese Hoffnung christologisch: Das Zentrum der neuen Welt ist das „Lamm“ (Offb 21,22f). Das heißt: Die Erneuerung geschieht nicht durch Gewalt, sondern durch die verwandelnde Macht des Opfers, der Liebe, der Hingabe. Das Kreuz wird in der Offenbarung zur kosmischen Schaltstelle der Geschichte. Das „Neu-Machen“ Gottes ist die Konsequenz der Auferstehung: Was in Christus begonnen hat, wird hier universale Realität.

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Teil 2: Deutungen für heute: „Siehe, ich mache alles neu“ als Hoffnungsperspektive

Das Wort „Siehe, ich mache alles neu“ spricht in eine Zeit multipler Krisen – ökologisch, sozial, kirchlich, seelisch. Es ist dabei kein naives Zukunftsversprechen, sondern eine eschatologische Verheißung, die die Gegenwart unter Spannung und Transformation setzt:

Eschatologisch bedeutet: Das Neue ist nicht einfach Zukunft, sondern beginnt schon jetzt im Sichtbaren und im Verborgenen und verändert unser Leben.

Pastoral bedeutet: Erneuerung geschieht nicht durch Flucht aus der Welt, sondern inmitten der Welt – durch Wandlung von Herzen, Beziehungen, Strukturen.

Spirituell bedeutet: Das Neu-Machen Gottes ist ein Prozess der Verwandlung, der uns selbst betrifft – von der Angst zur Hoffnung, vom Zynismus zur schöpferischen Liebe.

Im Licht der Offenbarung ist das „Alles neu“ kein individueller Trost, sondern eine kollektive, kosmische Verheißung: Die Schöpfung wird vollendet, nicht verworfen.

1. Hoffnung, die die Gegenwart verwandelt

Das jüdisch-christliche Gespräch lehrt uns, wie gesehen, eine doppelte Einsicht: Beide Traditionen teilen die Überzeugung, dass Hoffnung immer weltzugewandt ist und dass Gottes Neu-Machen schon jetzt zu Taten der Heilung und Verwandlung ruft. Diese Einsicht gewinnt jedoch noch einmal an Kontur, wenn man sie vor dem Hintergrund der grundlegenden biblischen Vision aus Offb 21 liest. Dort spricht Gott selbst das schöpferische, performative Wort: „Siehe, ich mache alles neu.“ Diese qualitative Erneuerung (καινός) bedeutet, dass die bestehende Welt in eine geheilte, vollendete Form ihres Seins überführt wird. Der Himmel kommt auf die Erde; und im Reich Gottes sind Ansätze dieser kommenden Wirklichkeit schon jetzt erkennbar.

Die Vision des göttlichen „Alles neu“ lädt dazu ein, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen für die eine, geliebte Welt — im Vertrauen darauf, dass Gottes Transformieren bereits begonnen hat und durch menschliches Handeln Gestalt gewinnt.

Dies wird bei Paulus besonders im Begriff der „Transformation“ deutlich, der seine neutestamentliche Tiefenschicht aus Röm 12,2 erhält: „Lasst euch verwandeln durch die Erneuerung eures Denkens.“ Der griechische Imperativ im Passiv – metamorphousthe – bringt die gleiche Doppelbewegung zum Ausdruck, die Offb 21 prägt: Gott ist das handelnde Subjekt der Verwandlung, doch Menschen sind eingeladen, sich diesem schöpferischen Handeln zu öffnen. Die Dynamik zwischen menschlicher Hingabe und göttlichem Wirken bildet den Grundrhythmus transformatorischer Glaubenspraxis. Sie steht im Raum zwischen dem, was durch Christus bereits angebrochen ist, und dem, was erst noch vollendet wird – zwischen dem Anbruch der neuen Qualität der Schöpfung (καινός) und ihrer künftigen Vollendung. Aus dieser Spannung erwächst eine Praxis, die persönliche Spiritualität und gesellschaftliche Verantwortung miteinander verschränkt. Sie ist zugleich verborgen und öffentlich, individuell und gemeinschaftlich, kontemplativ und politisch, lokal verwurzelt und eschatologisch ausgerichtet.

Transformatorische Glaubenspraxis ist kontextuell: Sie nimmt die Lebenswirklichkeiten ernst und verbindet Gottes Offenbarung mit den sozialen, kulturellen und historischen Kontexten, in denen Menschen leben. Evangelisation und soziale Tat gehören dabei untrennbar zusammen und zeigen sich in der Verwandlung von Herzen und Systemen: Sie ist sozial engagiert: Sie sucht das Wohl des Umfelds, setzt sich für ein gelingendes Leben ein und orientiert sich an den Grundsätzen der Liebe.

Besonders nimmt sie jene in den Blick, zu denen Gott sich in der Bibel immer wieder stellt: die Benachteiligten, Verletzten, Ausgeschlossenen. Sie beginnt in der konkreten Gemeinde: Transformation entsteht dort, wo Glaube, Hoffnung und Liebe in alltäglichen Beziehungen erfahrbar werden — getragen von gegenseitigem Dienen, Lernbereitschaft und tiefer Gemeinschaft (Koinonia). Theorie und Praxis kommen in der gelebten Ortskirche zusammen. Sie ist befreiend: Die Kraft des Evangeliums schafft neue Perspektiven, stärkt Mut und ermöglicht Schritte in Richtung Heilung, Gerechtigkeit und Frieden. Schließlich ist transformatorische Glaubenspraxis eine Praxis der Hoffnung: Gemeinden werden zu Räumen der Veränderung für ihr Umfeld, in denen Versöhnung, gemeinschaftliches Handeln und Gottes erneuernde Gegenwart sichtbar werden. Sie leben im Licht des „schon jetzt“ und zugleich in der Erwartung des „noch nicht“ — getragen von der Verheißung, dass Gottes Neu-Machen Realität schafft, die Menschen heute schon erahnen und bezeugen können.

2. Schöpfungsspiritualität und ökologische Verantwortung

Die Aussage, dass Gott „alles neu macht“, betrifft auch die Schöpfung als Ganze. Sie steht unter der Verheißung der Erneuerung, nicht der Vernichtung. Damit wird jede Spiritualität der Erde zu einem Akt des Glaubens an Gottes bleibende Treue zu seiner Welt. Wer sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzt, handelt im Einklang mit der göttlichen Bewegung, die in Offb 21 ihren Höhepunkt findet:

Gott gibt die Welt nicht auf, sondern verwandelt sie. Schöpfungsbewahrung ist so kein nostalgisches Festhalten am Alten, sondern ein prophetisches Zeichen künftiger Gerechtigkeit. In der ökologischen Krise wird das Bekenntnis „Siehe, ich mache alles neu“ zu einem Auftrag, der die Hoffnung auf die Vollendung in praktisches Engagement übersetzt.

Die Studie „Glaube. Klima. Hoffnung“ mit rund 2.500 evangelischen Teilnehmenden aus Deutschland und der Schweiz zeigt ein stark ausgeprägtes Bewusstsein für die Klimakrise und der Verantwortung von Christinnen und Christen für die Schöpfung Gottes. Die Mehrheit priorisiert den Schutz der Natur, fast 90 % erwarten ein aktives kirchliches Engagement für Nachhaltigkeit. Gleichzeitig bleiben die Sorgenwerte moderat – ein Hinweis auf die verbreitete Kluft zwischen Wissen und Handlung. Diese Ambivalenz lässt sich theologisch als „gebrochene Hoffnung“ deuten: Die Bedrohung ist erkannt, aber die Umsetzung ins Handeln bleibt gehemmt. Dennoch zeigt die Studie, dass eine reale, wenn auch latente Ressource praktischer Hoffnung vorhanden ist. Gelebter Glaube fördert nachweislich die Bereitschaft zu ökologischem Engagement, besonders wenn Glaube und Nachhaltigkeit als zusammengehörig wahrgenommen werden. Damit eröffnet die Empirie selbst einen Möglichkeitssinn des Neuen mitten im Alten. Zwischen Einsicht und Handlung entsteht ein Transformationsraum, in dem kirchliche Bildungsarbeit, Spiritualität und Gemeinschaftspraxis ansetzen können, um diese vorhandenen Ressourcen in konkrete Veränderung zu übersetzen. Das „Neue“ beschreibt die Bewegung Gottes in die Ewigkeit hinein, die jetzt mitten im Brüchigen beginnt. Die Verbindung zwischen Schöpfung und Schöpfer ist dabei ein Gradmesser auch unserer Beziehung zu beiden? Man kann den Schöpfer nicht anbeten, ohne die Schöpfung zu ehren.

Schöpfungsspiritualität stärkt dabei die Verbindung zwischen Glaube, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit.

Sie stellt entscheidende uns aber auch entscheidende Fragen: Welche Rolle spielt Spiritualität für eine nachhaltige Transformation des Neuen? Welche Verantwortung hat der Mensch innerhalb der von Gott geschaffenen Welt? Und welche theologischen, ethischen und praktischen Konsequenzen ergeben sich daraus?

3. Schwachheit und Leid trotz „alles neu“?!

Die Verheißung des Neuen relativiert nicht das Leid, sondern ordnet es in einen größeren Zusammenhang. Sie erinnert daran, dass göttliche Kraft gerade in der Schwachheit wirksam wird (2Kor 12,9).

Das Neue, das Gott schafft, entsteht nicht trotz der Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens, sondern durch sie hindurch. Das bedeutet: Das Leiden wird nicht verneint, aber ihm wird das letzte Wort entzogen.

Die göttliche Neuschöpfung ist die endgültige Bejahung des Lebens, auch dort, wo es verwundet ist. In der Begleitung von Menschen in Krisen und Trauer wird diese Hoffnung konkret – als Haltung des Aushaltens, Erwartens und Vertrauens. Die Erneuerung Gottes geschieht nicht über Nacht, sie ist kein plötzlicher Tausch von Leid gegen Glück, sondern ein Weg – und dieser Weg führt manchmal mitten durch Dunkelheit, Enttäuschung und Grenzen hindurch. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist der Apostel Paulus. Kaum jemand verkörpert die Spannung zwischen göttlicher Erneuerung und menschlicher Begrenzung so wie er. Der Apostel, der mit Leidenschaft vom neuen Leben in Christus spricht, ist zugleich ein Mensch, der tief verwundet bleibt. In 2. Korinther 12 beschreibt er seinen „Pfahl im Fleisch“ – eine bleibende Wunde, die er trotz intensivem Gebet nicht loswird. Dreimal bittet er Gott um Heilung, und dreimal bleibt die Antwort dieselbe: „Meine Gnade genügt dir; denn meine Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung.“ (2Kor 12,9). Das ist kein schneller Trost, sondern ein Wort, das erst reifen muss. Es konfrontiert mit der Grenze des Machbaren, mit der Erfahrung, dass selbst der Glaube kein Garant für Schmerzfreiheit ist. Paulus wird nicht geheilt – und doch verwandelt. Die Kraft Gottes zeigt sich nicht in der Umgehung, sondern in der Durchdringung der Schwachheit. Transformation bedeutet hier:

Gottes Gegenwart wohnt (episkēnoō) mitten im Unfertigen, Unvollkommenen, Verwundeten. Diese Erfahrung steht quer zu unseren kulturellen Vorstellungen von Erfolg, Stärke und Selbstoptimierung. Sie rehabilitiert das Unvollendete als Ort der Gnade.

Paulus wird so zum Zeugen einer Hoffnung, die nicht auf Glanz, sondern auf Geduld gründet – einer Hoffnung, die im Leiden nicht ihren Sinn verliert, sondern neu gedeutet wird. Das Neue, das Gott schafft, wächst nicht auf der Oberfläche, sondern in der Tiefe, dort, wo alte Sicherheiten zerbrechen. Im Licht der Jahreslosung heißt das: Gottes „Alles neu“ ist kein Bruch mit der Welt, sondern ihre langsame Heilung. Es ist ein Prozess der Verwandlung, der Zeit braucht, Tränen kennt und nicht selten im Schmerz verharrt. Aber genau dort, wo wir an unsere Grenzen kommen, kann etwas Neues wachsen – eine Demut, die nicht Resignation ist, eine Geduld, die nicht Stillstand bedeutet, eine Stärke, die aus der Schwachheit geboren wird. Transformation ist also kein glatter Fortschritt, sondern ein geistlicher Prozess, der durch die Nacht hindurchführt. Sie bleibt verwundbar, tastend, lernend – und gerade darin göttlich. Denn Gottes Kraft vollendet sich nicht jenseits des Leids, sondern inmitten davon. So wird das Neue, das Gott verheißt, nicht als triumphaler Neubeginn erfahrbar, sondern als stille Verwandlung: eine Auferstehung mitten im Unvollendeten.

4. Gesellschaft und Politik: Eine erneuerte Welt ohne Gewalt, Unterdrückung und Angst

Der Einzug Jesu in Jerusalem ist ein bewusst politisches Zeichen. Jesus wählt gerade zur Passa-Zeit – dem Fest der Befreiung – einen öffentlichen Auftritt, der politische Erwartungen weckt. Doch anstatt wie ein militärischer Herrscher aufzutreten, reitet er auf einem Esel ein. Damit knüpft er an die prophetische Vision eines friedvollen Königs aus Sacharja an und setzt eine Gegeninszenierung zu den gängigen Machtsymbolen seiner Zeit. Die Menge ruft „Hosanna“ und hofft auf einen Befreier, missversteht Jesus aber leicht als jemanden, der ihre machtpolitischen Wünsche erfüllt.

Jesus zeigt jedoch ein anderes Verständnis von Herrschaft: keine Gewalt, kein Triumphzug, sondern Demut, Gerechtigkeit und Solidarität mit den Schwachen.

So wird sein Einzug zu einer öffentlichen, aber nicht machtpolitischen Verkündigung des Reiches Gottes. Diese Haltung Jesu entspricht der späteren Vision aus der Offenbarung: Auch dort wird deutlich, dass Gott – und nicht irgendeine irdische Macht – die Geschichte in Händen hält. Der Satz „Der auf dem Thron sprach“ ist eine klare Gegenrede zu den imperialen Ansprüchen der römischen Kaiser. „Siehe, ich mache alles neu“ bedeutet eine erneuerte Welt ohne Gewalt, Unterdrückung und Angst. Das Bild „das Meer ist nicht mehr“ unterstreicht, dass Bedrohung und Chaos enden werden. Beides – Jesu gewaltloser Einzug und die Vision der Offenbarung – zeigt ein einheitliches theologisches Bild: Gottes Reich entsteht nicht durch Macht und Gewalt, sondern durch Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung. Kirche und Gesellschaft können heute Zeichen dieser kommenden Welt setzen: in Friedensarbeit, sozialem Engagement und im Dialog zwischen Religionen.

Überall dort, wo Menschen Gewalt überwinden, für Gerechtigkeit einstehen und Versöhnung suchen, wird etwas sichtbar von der neuen Welt, die Gott verheißt – und die in Jesus bereits begonnen hat.

5. Gemeinde und Kirche Gottes Experimentierraum des Neuen auf Erden

Für die Kirche selbst bedeutet die Jahreslosung einen Aufruf zur Erneuerung – nicht im Sinn bloßer Organisationsreformen, sondern als geistliche Transformation. „Neu“ meint hier nicht „anders“, sondern wie gesehen „von Gott verwandelt“.

Gemeinde ist Ort, an dem Gottes Gegenwart schon jetzt erfahrbar wird: ein Raum der Versöhnung, der Hoffnung, der Aufbrüche. In ihr gilt die Spannung zwischen dem „Schon jetzt“ der neuen Schöpfung in Christus (2Kor 5,17) und dem „Noch nicht“ ihrer Vollendung (Offb 21).

In Zeiten kirchlicher Krisen kann das Wort „Ich mache alles neu“ Mut machen, Altes loszulassen – nicht als Verlust, sondern als Teil des göttlichen Prozesses der Erneuerung. Spirituell lässt sich dies als „Exnovation“ verstehen: das bewusste Verlernen von Gewohnheiten, um Raum für neue Formen von Glaube, Beziehung und Gemeinschaft zu schaffen. Die Vision der Offenbarung öffnet zudem einen inklusiven Horizont: Das „Zelten Gottes bei den Menschen“ (21,3) gilt allen Völkern. „Siehe, ich mache alles neu“ bedeutet im Gemeindeleben ein tägliches Einüben des Neuen mitten im Alten.

Gemeinde hat die Kraft, menschliche Grenzen zu überwinden. Paulus beschreibt in Galater 3,28 eine Gemeinschaft, in der kulturelle Unterschiede, Geschlechterrollen und soziale Ungleichheit nicht mehr trennen. Gemeinde soll deshalb ein Ort der Integration sein – frei von Ausgrenzung, geprägt von Annahme und gegenseitiger Unterstützung.

Je dichter die Beziehungen sind, desto weniger Menschen fallen durch das Netz. Gemeinde kann so zu einem Raum werden, in dem alle unabhängig von Herkunft, Alter, Milieu oder Fähigkeiten Wertschätzung erfahren. Die Gemeinde lebt bereits jetzt in dieser Dynamik einer grenzenüberschreitenden Gemeinschaft – als Vorgeschmack auf die universale Versöhnung, die kommen wird. Zugleich ist Gemeinde ein Ort der Unvollkommenheit – und gerade dadurch ein Ort der Heilung. Perfektion gibt es nicht; Christinnen und Christen bleiben geliebte, aber fehlerhafte Menschen. Gnade ist der „Kraftstoff“ der Gemeinde.

Jesus hat seine Jünger unperfekt berufen und sie Schritt für Schritt verändert. Gemeinde ist daher ein Raum für Neuanfang und Veränderung. Heilung umfasst bei Jesus nicht nur den Körper, sondern auch soziale Wiederherstellung: Ausgestoßene werden wieder in die Gemeinschaft integriert, um ein neues Leben führen zu können.

Genau diese ganzheitliche Gerechtigkeit kennzeichnet das Reich Gottes. So wird Gemeinde zu Gottes Experimentierraum auf Erden – ein Ort, in dem schon jetzt ansatzweise eingeübt wird, was Gott einmal vollenden wird. Obwohl dieses Einüben immer unvollkommen bleibt, ist Gemeinde von Anfang an Gottes Idee und damit der zentrale Kontext, in dem Christinnen und Christen Glauben gestalten und leben.

6. Zwischen Gegenwart und Zukunft und dem letzten Wort

Die Spannung zwischen Erneuerung und Ersetzung, zwischen Gegenwartsbezug und Zukunftshoffnung bleibt bestehen. Aber gerade diese Spannung ist der Raum des Glaubens. Die Offenbarung ruft nicht zur Flucht aus der Welt auf, sondern zur Hoffnung in der Welt. Gottes Wort „Siehe, ich mache alles neu“ ist kein Versprechen am Horizont, sondern eine Wirklichkeit im Werden – eine Verheißung, die im Glauben, in der Praxis der Kirche und im Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfung schon jetzt Gestalt gewinnt. Die Spannung zwischen Erneuerung und Ersetzung, zwischen Gegenwartsbezug und Zukunftshoffnung bleibt bestehen. Aber gerade diese Spannung ist der Raum des Glaubens. Gottes Wort „Siehe, ich mache alles neu“ ist kein fernes Versprechen am Horizont, sondern eine Wirklichkeit im Werden – eine Verheißung, die im Glauben, in der Praxis der Kirche und im Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfung schon jetzt Gestalt gewinnt.

Am Ende aber steht nicht unsere Kraft, sondern Gottes Zuspruch: Er wird alle Tränen abwischen, alle Wunden heilen und alles Unfertige vollenden. Christus kommt wieder – nicht um die Welt zu verlassen, sondern um sie zu vollenden.

Was zerbrochen ist, wird zur Ganzheit geführt; was unvollendet blieb, kommt zu seinem Ziel; was verborgen war, wird offenbar. In dieser Hoffnung lebt die Kirche, arbeitet sie, ringt sie – getragen von dem Gott, der das erste und das letzte Wort spricht und dessen neues Handeln die Welt schon jetzt verwandelt.

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Ein Dank geht an Christian Hilbrands für alle exegetischen Hinweise.

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Literaturhinweise:

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BEALE, G. K.; MCDONOUGH, SEAN M: Revelation. In: Commentary on the New Testament use of the Old Testament, 2007, S. 1081–1158.

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HOLTZ, TRAUGOTT: Die Offenbarung des Johannes (NTD 11), 2008.

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MAIER, GERHARD: Die Offenbarung des Johannes: Kapitel 12–22 (HTA), 2018.

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ROLOFF, JÜRGEN: Die Offenbarung des Johannes (ZBK), 2013.

STRACK, HERMANN L.; BILLERBECK, PAUL: Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch (Band III), 1926.

WENGST, KLAUS: „Wie lange noch?“ Schreien nach Recht und Gerechtigkeit – eine Deutung der Apokalypse des Johannes, 2010.

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Bild: Dimorphismus: © Jorinde Ortlieb 

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