
“Es geht nicht darum, Ideen zu haben. Es geht darum, sie wahr werden zu lassen.” – Scott Belsky
„Machen ist wie Reden – nur krasser.“ Graffiti
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In den ersten fünf Teilen ging es um Analysen, Umlernprozesse, Exnovation, Hören lernen und eine neue Haltung für kirchliche Veränderungsprozesse. Es ging darum Veränderung als einen geistlichen Akt zu erkennen und einzuüben. Jetzt möchte ich die Reihe abschließen mit vier konkreten Tools zur Anwendung und zur konkreten Einübung im Kontext von Kirche und Gemeinde, damit das bisher gedachte tatsächlich zur Veränderung wird.
Tool 1: Geistliche Organisationsanalyse nach Roxburgh und Romanuk
Der Gemeindeberater Alan J. Roxburgh und der Organisationspsychologe Fred Romanuk haben einen internationalen Ansatz zur geistlichen und missionalen Gemeindeberatung entwickelt, aus dem ich einen Analysepunkt herausnehme, der zum einen Kirchengemeinden helfen soll, sich selbst einzuordnen und zum anderen eine Gesprächshilfe bietet, um über geistliche Organisationsprozesse sprachfähig zu werden.
Das von Roxburgh und Romanuk entwickelte „Missional Change Model“ arbeitet mit der sogenannten drei-Zonen-Theorie. Durch das Bewusstsein von missionalen Veränderungsprozessen können die zu beschreitenden Wege in ein gemeinsames Verständnis überführt werden. Somit müssten die Großkirchen oder die einzelne Ortskirche mit einigen Verlusten von Mitgliedern rechnen, die am alten System (Performative Leadership) hängen. Jedoch sehe ich einen großen Vorteil in einer missionalen Veränderung, da so in Zusammenarbeit von verschiedensten Gruppen Gemeinde- und Kirchenkonzepte entwickelt werden können, die vielleicht unterschiedlich, aber dennoch in ihrer Gesamtheit als „Kirche“ zu verstehen sind.
Kurze Beschreibung der drei Phasen
So ist es in der grünen Phase, der Phase des Neuanfangs und Umbruchs, einfach für initiative Menschen teilzuhaben, ihre Stimme zu äußern und in dem Prozess der Strukturierung mitzuwirken. Es gibt wenig Strukturen und wenig konkrete Vorhaben, genau hier wirken die Initiativen mit. In dieser dynamischen Umgebung können aber schwächere Gemeindemitglieder verloren gehen. Wenn also Kinder, Menschen mit Behinderung oder Menschen, die vielleicht ihre Bedürfnisse nicht so gut kommunizieren können, „verloren“ gehen, ist nicht nur ihre Zufriedenheit eingeschränkt, sondern vermutlich auch die derjenigen, die es wahrnehmen, aber in diesem Stadium nicht so viel daran ändern können. Die Herausforderung dabei bleibt, auch Personengruppen zur Partizipation zu bringen, die in bisheriger kirchlicher Arbeit nicht abgebildet worden sind (Junge Erwachsene, Alleinstehende, Paare ohne Kinder).
Der Vorteil dieser Zone ist die hohe Partizipationsmöglichkeit der Gemeinde: Sie wird selbst aktiv und entwickelt sich weiter. Diese Art der Gemeinde braucht jedoch auf der anderen Seite kreative Köpfe, engagierte Mitarbeiter und eine aktive Gemeinschaft.
Wenn dann in der blauen Phase Strukturen entstanden sind und die vorher entwickelte Vision der Gemeinde in eine Struktur gegossen wird, entsteht eine gewisse Ruhe. All jenen Gewissenhaften geht es hier viel besser, den Initiativen fängt es an, in den Fingern zu kribbeln und sie beginnen, Abläufe erneut zu hinterfragen. Die blaue Phase bietet sichere Kommunikationswege, mehr Transparenz in Entscheidungen etc.
Die rote Zone beinhaltet Gemeinden, welche feste Grundprinzipien verfolgen. Sie haben eine klare Vorstellung, die durch die Gemeinde und die Mitarbeiter vertreten wird. Die Gemeinden besitzen ein bewährtes hierarchisches System, durch das sie geleitet werden. In der roten Phase hat die Gemeinde also maximale Stabilität, aber auch maximale Inflexibilität. Oftmals sind es neue Generationen, die alte Strukturen grundlegend infrage stellen. Wenn Altgewohntes angezweifelt und ein Veränderungswunsch mitgeteilt wird, kann ein Prozess der „Krise“ anfangen. In dieser Phase sind also die „alten Hasen“ maximal zufrieden, da Abläufe klar sind. In der Transition, in der dann nicht mehr alles beim Alten belassen wird, fängt ihre Zufriedenheit an zu bröckeln, wohingegen die Zufriedenheit der neuen Generation oder anderen Menschen mit Veränderungswünschen mit eben diesem Prozess abnimmt.
Praxisübung für die Gruppe/Gemeinde/ Fragen für das Gespräch
- Arbeiten Sie jeweils zwei bis drei Stärken und Schwächen der jeweiligen Phasen heraus.
- Ordnen Sie Ihre Gemeinde in einer der drei Phasen (oder auch in Zwischenräume) nach Roxburgh/Romanuk zu, begründen Sie Ihre Auswahl.
- Welche geistlichen Stärken können Sie in der identifizierten Situation feststellen? Welche geistlichen Ressourcen brauchen Sie in dieser Phase besonders?
- Evtl.: In welcher Phase sollte die Gemeinde in drei Jahren stehen?
- Präsentieren Sie Ihr Ergebnis und kommen Sie darüber ins Gespräch.
- Erarbeiten Sie Schritte, was dies für Ihre Kirchengemeinde bedeutet.
Hinweis: Oft kann eine externe Moderation helfen eine konstruktive und wertschätzende Atmosphäre zu schaffen.
Tool 2: Gremienspiritualität – mit den Evangelien auf dem Weg zu einer neuen Haltung, zur Warum-Frage und zum Kairos
Die EKD hat 2021 in einem Grundlagentext die Bedeutung der Bibel für kirchenleitende Entscheidungen herausgearbeitet. Sie dekliniert das an Themenfeldern der dogmatischen Lehrbildung durch und für eine evangelisch verantwortbare Ethik. Offen bleibt in dem Text aber die Frage, ob aus der Bibel etwas für die Gestalt einer Landeskirche gelernt werden kann und für eine Haltung der Menschen, die sich in ihr engagieren.
Mit dem dritten Tool versuche ich einen Brückenschlag zwischen dem Auftrag der Kirche, der Analyse der kirchlichen Situation in einem Verantwortungsbereich wie z.B. einer Kirchengemeinde und dem, wie die Verantwortung von Verantwortungsträgern heute neu wahrgenommen werden kann.
Praxisübung für die Gruppe/Gemeinde/ Fragen für das Gespräch
– Wie können der Auftrag der Kirche meine Haltung als kirchlich engagierter Mensch prägen?
– Wie komme ich aus der Klage / der Angst / der Trauer über die herausfordernden Rahmenbedingungen für kirchliches Arbeiten in ein aktives Hören, was jetzt gerade dran ist?
– Wie gelingt es mir die oftmals ungeklärte / unbesprochene Frage nach dem Warum unseres Tuns (nach Sinek) wirklich und konkret zu stellen bzw. in meiner Arbeit auf das zu hören, was bei der Beantwortung der Frage tatsächlich herauskommt?
– Wie lernen wir, in den Krisenphänomenen der kirchlichen Rahmenbedingungen heute einen Kairos zu entdecken und wo fangen wir an, die Entdeckung für die konkrete kirchliche Arbeit fruchtbar zu machen?
„Gremienspiritualität“ im hier entworfenen Sinn dient dazu anzufangen (vgl. auch die Impulse der MIDI-Toolbox )und die Flughöhe der Konzepte und Prozesse zugunsten des konkreten Gesprächs miteinander zu verlassen. Kleine Wahrnehmungsschritte zu Beginn z.B. einer Sitzung, in 15 Minuten im aktivierenden Hören auf Gott und mit einem sich durch das Hören verändernden Blick auf die Wirklichkeit und Tagesordnung.
Tool 3: Eine spirituell geprägte Sitzungskultur entwickeln (nach Midi)
Im Folgenden will ich drei konkrete Möglichkeiten aufzeigen, die direkt in einem Gremium miteinander eingeübt werden können. Sie sind selbsterklärend und können im Gremium selbst durchgeführt werden:
Möglichkeit 1: Achtsame Gremienkommunikation
Ein Gespräch kann gelingen, wenn ich…
- persönliche und vertrauliche Informationen nicht nach außen trage.
- aufmerksam und wohlwollend zuhöre und um Verstehen bemüht bin.
- bemüht bin, zum Gelingen der Sitzung Konstruktives beizutragen.
- für meine Beiträge Verantwortung übernehme und in „Ich-Form“ rede.
- Verallgemeinerungen vermeide und so konkret wie möglich rede.
- Kritik konstruktiv formuliere sowie in einem angemessenen Ton spreche.
- bereit bin, im Sitzungsverlauf meine Gedanken neu an Gott zu orientieren. — Ich signalisiere, wenn ich dem Gespräch nicht mehr folgen kann (z.B. aufgrund von Ärger, Konzentration).
- Interpretationen von anderen Beiträgen meide und mitteile, was sie in mir ausgelöst haben.
- Seitengespräche vermeide und meine Beiträge direkt in die Gruppe einbringe. — Ich drücke aus, was das Thema oder der Beitrag für mich persönlich bedeutet.
- kompromissbereit bin und Beschlüsse auch dann mittrage, wenn ich dagegen gestimmt habe.
Diskussion in der Gruppe
- Jedes Gremienmitglied hat die Kommunikationsregeln schriftlich vor sich.
- Diskussion über die Vorlage. Wo stimmen Sie zu? Was fehlt Ihnen? Was möchten Sie ergänzen?
- Einigen Sie sich darauf, was Ihre Regeln sein sollen.
- Hängen Sie die Regeln gut sichtbar im Sitzungsraum auf.
Möglichkeit 2: Kostbare Nähe Gottes gemeinsam erleben
- Jedes Gremienmitglied denkt für sich darüber nach, in welchen Situationen, Begegnungen, Erlebnissen es schon einmal die Erfahrung der Nähe Gottes gemacht hat.
- Jede:r notiert eine Erfahrung auf einer Karte in Form eines Edelsteins/Goldbarrens (Vorlagen im Internet).
- Die Karten werden in der Mitte um eine Kerze/ein Kreuz herum auf den Boden gelegt.
- Die Karten werden schweigend gelesen.
Möglichkeit 3: Sehnsuchtswege gehen
Gemeinsam werden Ideen gesammelt, wie das Gremium zukünftig spirituelle Elemente stärker in seiner Arbeit berücksichtigen möchte. Leitfragen können sein:
- Welche Formen gemeinsamer Spiritualität sehen wir für unser Gremium
als hilfreich an? - Was kann das ganz konkret für die Sitzungsgestaltung bedeuten?
- Sind wir bereit, auch Neues auszuprobieren? Wer könnte wie neue Impulse einbringen?
Tool 4: Eine gemeinsame Haltung einüben
Ich haben in den ersten Blogbeiträgen viel über die eigene Haltung sowie das WARUM und das WIE gesprochen. In diesem Tool soll es nun ganz praktische Fragen geben, um die eigene Haltung in und zu Veränderungsprozessen zu reflektieren und die Haltung des/der Anderen zu verstehen und auch um eine gemeinsame Haltung zu entwickeln.
Julius Kuhl, Christina Schwer und Claudia Solzbacher erläutern drei Merkmale/Fragen, die die Entwicklung der eigenen inneren Haltung beschreiben (Kuhl; Schwer u. a. (2014), S. 107–108):
Die persönliche Standfestigkeit und Kohärenz bei eigenen Entscheidungen überprüfen und die persönlichen Werte, Bedürfnisse und Fähigkeiten (eigene und fremde) dabei berücksichtigen. Es besteht immer wieder die Gefahr, bei Entscheidungen an sich und anderen vorbei zu entscheiden.
Die eigenen (und fremden) Gefühle, Bedürfnisse und Körperempfindungen in die Entscheidung integrieren und so wahrnehmen. Was macht die Entscheidung mit mir? Welche Reaktionen löst sie aus? Eine Person mit einer gut entwickelten Haltung ideologisiert nicht, sondern macht dem Gegenüber klar und nachvollziehbar, was sie fühlt und sagt.
Welche Form von Aufmerksamkeit und Anerkennung brauche ich? Wo werde ich in meinen Entscheidungen beeinflusst, weil ich im Hintergrund des Bewusstseins gelenkt bin? Wie kann ich eine Kohärenz zwischen meinem Sein und meinem Tun, meinen Emotionen und meinem Verstand für mich offenlegen?
Einige konkrete Fragestellungen wären: (evtl. auf Karten drucken)
Was ist eigentlich unsere Haltung – im Blick auf unsere Kirchengemeinde / den Veränderungsprozess:
- Wie gehen wir mit Veränderung um?
- Wie gehen wir mit Scheitern um? Mit Erfolg?
- Wie entstehen Prioritäten?
- Wo schauen wir als erstes hin?
- Wen haben wir im Blick bei Entscheidungen?
- Was sind meine Ratgeber*innen?
Haltung entwickeln – ganz praktisch:
- Themen austauschen – gemeinsame Themen entdecken
- Was sind jeweils wichtige Werte? Beweggründe für Entscheidungen?
- Was sind Zukunftsbilder?
- Miteinander Essen teilen
- Themen außerhalb der Kirche entdecken?
- Teilen der eigenen (geistlichen) Biographie?
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