Letzte Woche wurde ich gefragt: “Stehst du eigentlich nicht an der Seite Israels?” Ich schaute erstaunt und fragte zurück: “Wie kommst du darauf?” Nun ja, du hast noch keinen “Ich stehe an der Seite Israels”-Text gepostet. Das stimmt, ich habe Gebete für Frieden gepostet und mich sonst eher zurückgehalten. Weil ich nicht auf der Seite Israels stehe? Nein, ganz und gar nicht. Ich stehe auf der Seite Israels, dem Volk Gottes, aus dem der Messias gekommen ist, den wir gerade jetzt an Weihnachten gefeiert haben. Ich stehe zu Israel, weil wir als Deutsche eine historische Verantwortung haben. So etwas wie die Shoah darf nie, nie, nie wieder vorkommen. Diese Schuld ist ein Mahnmal der Gegenwart, und ich lehne jede Form von Antisemitismus ab und möchte mit versuchen ihn gerne schon im Keim ersticken. Ich stehe an der Seite Israels, weil der barbarische Terroranschlag der Hamas über 1200 Menschen das Leben gekostet hat. Israelis wurden verschleppt, vergewaltigt und entführt. Ein nicht in Worte zu fassendes Verbrechen, das viele israelische Familien traumatisiert hat und durch nichts zu rechtfertigen ist. Es fällt mir schwer, die richtigen Worte für diese Grausamkeit zu finden. Und so sehr ich die Angriffe Israels auf die Palästinenser in Gaza also verstehen kann, so sehr schmerzen mich die Grausamkeiten des Krieges insgesamt: unschuldige Tote und Verletzte auf beiden Seiten, hunderttausende Menschen auf der Flucht, Menschen, die alles verloren haben.
Ich suche nach Worten, nach Verständnis und Erklärungen. Und ja, die gehen weit in die Geschichte zurück. Als Christ fallen mir natürlich die alttestamentlichen Geschichten von den Erzeltern ein, die Flucht aus Ägypten, die Landnahme Kanaans und die vielen Kriege mit Flucht und Vertreibung. Dann die jüngere Geschichte mit der Staatsgründung 1948. Eigentlich war damals schon der Beschluss einer Zweistaatenlösung der Vollversammlung der Vereinten Nationen in Resolution 181 (II) auf dem Gebiet des britischen Mandatsgebietes (westlich des Jordans) – eines jüdischen und eines arabischen Staates – beschlossen worden. Aber während die jüdische Seite zustimmte, lehnte die arabische Seite ihn ab, weil er die Rechte der Mehrheitsbevölkerung in Palästina verletze. Der Staat Palästina wurde dann erst 1988 durch die PLO ausgerufen, und 1994 wurde das Gaza-Jericho-Abkommen begründet. Doch schon am Tag der Staatsgründung Israels, dem 15. Mai 1948, griffen die Streitkräfte Ägyptens, Jordaniens, Syriens, des Libanon und des Irak Israel an und hunderttausende Palästinenser sind aus dem neu gegründeten Staat Israel geflohen. Auch um die dann folgenden Konflikte -bis heute – zu verstehen, muss man wissen, dass die Nachkommen palästinensischer Geflüchteten heute hauptsächlich im Gazastreifen, im besetzten Westjordanland, im Libanon, in Syrien, Jordanien und in Ostjerusalem leben. Seit 1948 durchziehen zahlreiche Krisen und Kriege dieses Gebiet, wie die Suezkrise 1956, der Sechstagekrieg 1967, der Jom-Kippur-Krieg 1973, der Libanonkrieg 1980, die Erste und Zweite Intifada 1987-1993/2000-2005 etc. Es gab zugleich zahlreiche internationale Friedensabkommen, die versuchten, die Region zu befrieden. Am konkretesten war vielleicht der Oslo-Friedensprozess ab 1993, der zur palästinensischen Selbstverwaltung führte und auch das Westjordanland in drei Zonen aufteilte. Die Hoffnung auf einen nachhaltigen Frieden für die ganze Region war spürbar, und 1994 erhielten der damalige israelische Außenminister Schimon Peres und PLO-Chef Arafat den Friedensnobelpreis. Doch wie so oft war der Rückschlag nicht weit. Am 4. November 1995 wurde Israels Premierminister Jitzchak Rabin durch einen jüdisch-religiösen, rechten Fundamentalisten ermordet. Die Folge war eine Regierungskrise, und 1996 übernahm das rechtsgerichtete Bündnis unter Benjamin Netanjahu die israelische Regierung. Das Oslo-Abkommen verlor zunehmend an Bedeutung.
Ja, das ist bei weitem nicht alles. Die Verbindungen der Palästinenser zu den arabischen Staaten und besonders zum Iran, die ambivalenten Beziehungen zu Ägypten und die vielen offenen Fragen machen es nicht einfach, die Lage richtig einzuschätzen: Warum unterstützen viele arabische Staaten die Palästinenser, nehmen sie aber nicht als Geflüchtete auf? Warum kam der Terrorakt kurz vor der Einigung des Normalisierungsabkommens zwischen Israel und Saudi-Arabien? Warum können sich die Palästinenser nicht gegen die Hamas wehren und werden stattdessen immer wieder in Geiselhaft genommen? Wie ist auf das Unterstützersystem der Hamas aus Hisbollah und Huthi zu reagieren? Wie mit dem Iran umgehen, der alle drei islamistischen Milizen unterstützt? Warum nutzen einige radikale jüdische Siedler die Situation und erweitern gerade jetzt ihre Gebiete? Was passiert, wenn die Hamas in Palästina besiegt ist, aber sie in anderen Ländern des Nahen Ostens weiter besteht?
Die Lage ist verfahren und furchtbar, und während die Hamas an der Vernichtung des Staates Israel festhält, versucht Israel die Hamas zu vernichten und nimmt dabei die Bombardierung der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza in Kauf. So sehr ich zu Israel stehe und die Angriffe auf die Hamas verstehe, so sehr leidet mein Herz mit den unschuldigen Opfern in Gaza. Kurz vor Weihnachten wurde der YMCA in Gaza bombadiert, mehrere Menschen wurden getötet, viele verletzt. Menschen, die dort Schutz gesucht hatten vor dem Krieg, Christen und Muslime, und jetzt ist vieles zerstört und aus dem Garten wurde ein provisorischer Friedhof. Ein kleines Beispiel von vielen Schicksalen, die über Jahre Tod, Trauer und Trauma mit sich bringen werden.
Und ich, ich sitze hier im sicheren Deutschland und weiß nicht, was ich denken und beten soll. Für Frieden. Ja, für Frieden, aber wie soll der aussehen? Wie kann Versöhnung und Gerechtigkeit geschehen nach dem, was alles geschehen ist? Und so sitze ich da und suche nach Worten, will verstehen und verstehe doch so viel noch nicht. Ja, da gibt es diejenigen, die schnelle und klare Antworten haben, aber die machen mir manchmal noch mehr Angst, weil ich erahne, dass es keine schnellen und klaren Antworten geben wird. Und meine Worte? Sind auch nur Bruchstücke. Deshalb wollte ich am liebsten gar nichts sagen, aber schweigen kann und will ich auch nicht. Stehe ich auf der Seite Israels? Ja! Und leide ich mit der palästinensischen Zivilbevölkerung? Ja. Widerspricht sich das? Nein. Ist das schwer auszuhalten? Ja. Deshalb treibt es mich doch wieder in die Fürbitte. Ich will nicht nur machtlos zuschauen, sondern möchte im “spirituellen Widerstand” gehen und mich daran erinnern, dass Christus gekommen ist, die Mächte und Gewalten zu überwinden und Frieden zu bringen, gegen alle Widerstände dieser Welt, gegen alle Hoffnungslosigkeit. Mit dieser Hoffnung möchte ich einstimmen in den Chor der weltweiten Fürbitten für die Menschen und gegen den Krieg, für eine dauerhafte Friedenslösung für Israel und Palästina.
In Israel leben knapp zehn Millionen Menschen davon sind 73,9 Prozent Juden, 21,1 Prozent Muslime. In den palästinensische Gebiete im Westjordanland, Ost-Jerusalem und Gazastreifen leben ca. 5 Millionen Menschen, 97 Prozent Muslime (sunnitisch), ca. 2 Prozent Christen. Interessant ist auch die Sichtweise der aktuellen Lage aus christlicher Sicht. Hier ein Interiew mit Wadie Abunassar und Rana Zaher-Karayanni, die Christen in Israel Wadie Abunassar und Rana Zaher-Karayanni sind Christen in Israel.
Eine ausführliche geschichtliche Einordnung: Wort & Fleisch: “Zionismus”
Ein ausführlicher Hintergrundbericht: “Israel – Palästina: Der Schock nach dem Schock und das zweifache Trauma.”
Buchtipp: Israel. Eine Korrespondenz.
Bildnachweis: Banksy in Bethlehem, im Grenzgebiet von Israel und Palästina.
Good luck 🙂
Die Frage “Stehst du eigentlich auf der Seite Israels?” animiert mich zu diesen Antworten :
1. Sämtliche Christen sind ‘reformierte Juden’.
2. Sämtliche heutige Israelis auch, egal, ob Muslime, Juden oder Atheisten.
3. Allen gemeinsam ist die Kenntnis der “10 Gebote”, wie sie in 2Mo20 (5Mo5) dargestellt sind.
4. Egal, ob man sie anerkennt als Weisungen Gottes, es sind deutlich mehr als 10
5. Wer an der Seite Israels steht, sollte darum die falsche Zahl 10 als Lüge bezeichnen und
6. dafür sorgen, dass dem Inhalt Anerkennung wiederfährt.