„Lobpreis & Häresie“

Alltag, Anbetung, Lobpreis, Theologie
„Ich gebe dir mein Leben und alles was ich bin.“ Die Liedzeilen hängen noch im Kopf, während die Massen um mich herum schon das nächste Lied anstimmen. „Ich gebe dir mein Leben und alles was ich bin.“ Was heißt alles geben. Was heißt mein ganzes Leben. Will es mit Jesus vielleicht teilen, aber ihm ganz geben? Wie will ich gegenüber sein, wenn ich alles hergegeben habe? Geht das überhaupt? Was heißt das? Wenn alles weg ist, dann ist nichts mehr da? Was ist mein Leben. Mein Ich? Meine Gedanken surren wie ein Schwarm Bienen durch meinen Kopf. Das nächste Lied erklingt. „Mein ganzes Leben.“ Da hat sich jemand thematisch Gedanken gemacht. Der Sound ist perfekt, die Menschen um mich herum singen und tanzen. Nur ich, ich sitze da und bekomme keine Zeile über meine Lippen. Mein christliches Gewissen meldet sich und teilt mir mit, dass ich ein Zweifler und Sünder bin. Mein nicht hergegebenes Ich widerspricht aufs Heftigste und ruft dem Gewissen zu: Quatsch – umgekehrt ist es, die anderen sind Heuchler und Sünder. Was immer es ist, ich fühle mich elendig und irgendwie schuldig und zornig zugleich. „Humble King“ ertönt. „Ich möchte so sein wie du Jesus.“ Gerade kamen meine ermatteten Gedanken zur Ruhe, da wallen sie schon wieder auf. Kennen Lobpreisler gar keine Grenze? Keine Scham? Kein Respekt? Wie Jesus! Ganzer Gott – ganzer Mensch. Ich fühle mein Menschsein und kein Gottsein. Wer bin ich? Nicht Jesus gleich, nein, nur ein suchender Nachfolger, nicht mal demütig, nicht mal gleichgültig. Die Anbetungszeit ist vorbei, wie in Trance verlasse ich die Halle und gehe nach draußen. Die frische Luft tut gut, ist kalt und rein und ich denke, es war alles nur ein Traum. Ich kann Gott bestimmt noch lieben und er, er liebt mich hoffentlich auch noch. Wieder leise Zweifel nach dem Abend, statt Lobpreiskonzert, ein Chor des Zweifelns. An mir und auch an Anderen. Andere, die mich gar nichts angehen. Habe mit mir selbst genug zu tun. Ja, das ist nicht zu übersehen. Ich bitte um Vergebung. Ich folge blind der Masse an Menschen und erkenne den Weg. Es geht zu McDonald. Die Party geht weiter, die Mittel werden gewechselt. Anbetung hat viele Gesichter. Wir stehen an einer Ampel. Warten. Neben uns sitzen ein paar Obdachlose, rufen uns zu: „Haste mal nen Euro?“ Keiner reagiert, alle schauen geradeaus. Über der Straße wartet McDonald. Einer fängt an zu singen: „Ich gebe dir mein Leben und alles was ich bin.“ Die Masse stimmt mit ein, überstimmt die störenden Bitten. Die Ampel wechselt auf grün. Alle gehen. Ich bleibe stehen. Ich schäme mich. Fühle mich furchtbar. Kann nicht singen. Wie gelähmt. Kann nicht gehen. Wo ist Jesus? Plötzlich steht einer der Obdachlosen neben mir. Fragt mich: „Hast mal nen Euro?“ Ich hole meinen Geldbeutel raus, öffne ihn und gebe ihm was. Er schaut mich an. Dann sagt er: „Danke, dass du stehen geblieben bist.“ Er klopft mir auf die Schulter, dreht sich und geht. Ich, ich stehe immer noch da und versuche zu verstehen…

1 Comment

  1. Danke! Solche Texte öffnen einem immer wieder auf’s neue die Augen und regen zum Nachdenken an!!!

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