Weltanschauung & Wahrheit. Story & story – wie ich die Welt als Geschichte verstehen kann, nach NT Wright. Part 3

NT Wright, Theologie, Weltbild

Auch wenn die Studientage mit NT Wright mittlerweile vorbei sind, möchte ich noch den dritten und vielleicht spannendsten Teil zum theologischen Grundverständnis von NT Wright posten. Denn es geht darum die eigenen und fremden Weltanschauungen zu verstehen und die Geschichte in der Geschichte zu finden. Dabei bediene ich mich bei Gregor Rehm, einem meiner Studenten, der dies ganz gut zusammengefasst hat:

Die Kategorie „Story“ kann uns zunächst helfen, eine kritisch-realistische Epistemologie zu formulieren, und kann dann im Studium der Literatur, Geschichte und Theologie einer weiteren Verwendung zugeführt werden. Bereits in der Einleitung in seinem Buch macht Wright sein Anliegen deutlich. Es gilt, das Judentum des ersten Jahrhunderts zu verstehen, um die Ursprünge des Christentums verstehen zu können:

„Wir müssen die Weltanschauung(en) und das (die) Selbstverständnis(se) von Juden aus jener Zeit verstehen und müssen innerhalb dieser- Aufgabe versuchen, das Gespür des Judentums für seine eigene Geschichte (history), für seinen Glauben an seinen Bundesgott, für seine Sehnsüchte, Frustrationen, Hoffnungen und Ängste zu erfassen.“ (:165)

Wright beginnt dabei nicht bei den einzelnen Gruppierungen des Judentums, wie es oft getan wird, sondern beginnt mit einem Gesamtbild der jüdischen Story. In einer Art Literaturüberblick stellt er die wichtigen zur Verfügung stehenden Quellen dar, die wir nutzen können, wenn wir uns mit Geschichte (history) und den Geschichten (storys) des Judentums im ersten Jahrhundert beschäftigen wollen. Er debattiert dabei, welche Quellen als sinnvoll angesehen werden können, und welche für das Vorhaben ungeeignet scheinen und zeichnet dann ein Bild der griechisch-römischen Welt als Kontext des frühen Judentums. Dies dient, gemeinsam mit einer Darstellung der Geschichte Israels von Babylon bis Rom, als Grundlage, um ein Bild der Weltanschauung, also der Story, Symbole und Lebenspraxis des Judentums im ersten Jahrhundert zu zeichnen. Die Vielfalt der Judentümer wird dabei nicht außer Acht gelassen und so werden die verschiedenen Gruppierungen im Mittelteil der Analyse dargestellt. Hier sei aber das Ergebnis, ein Bild der Gemeinsamkeiten, welches abschließend entsteht genommen, um die Anwendung der Werkzeuge aufzuzeigen. Wright stellt seine Ergebnisse in zweierlei Weise vor. Zum einem im Plotmodell, zum anderen anhand der vier Schlüsselfragen einer Weltanschauung. Beginnen wir mit dem ersten, und arbeiten uns dabei durch die Sequenzen. Die einleitende Sequenz spiegelt die ursprüngliche Story des Volkes wider. Gott (Sender) will die Rettung (Objekt) für Israel (Empfänger) durch die Tora (Handelnder). Dabei dienen die Verheißungen und die Erinnerung an frühere Befreiung (Helfer) als Ermutigung, um gegen die Heiden (Gegner) durchzuhalten. Verkürzt gesagt: „Gott hat Israel seine Tora gegeben, so dass sich Israel durch die Einhaltung der Tora als sein Volk erweisen, von seinen heidnischen Feinden errettet werden und als Herrscher im eigenen Lande bestätigt werden könnte.“(:285) Die Hauptsequenz beschäftigt sich mit der aktuellen Situation Israels. Gottes (Sender) Anliegen bleibt bestehen, der Weg muss aber intensiviert werden, (Objekt) um zum Ziel, Einhaltung der Tora (Empfänger), zu gelangen. Dazu braucht es eine neue Lehre (Handelnder), die durch eine neue Führung (Helfer) gelehrt wird, um sich gegen Laxe Juden und Heiden (Gegner) zu behaupten. In dieser aktuellen Problematik erschließt sich das Judentum des ersten Jahrhunderts und vor allem seine Vielschichtigkeit, wie in der abschließenden Sequenz deutlich wird. Gott (Sender) will nach wie vor die Rettung (Objekt) Israels (Empfänger). Dies muss durch eine intensivierte Bedeutung der Tora (Handelnder) geschehen. Damit dies möglich wird, müssen neue Gruppen und damit verbunden eine neue Leseweise der Schrift (Helfer) entstehen, um die Abgrenzung gegen Heiden und abtrünnige Juden (Gegner) zu vollenden. Wright wagt den Blick in eine noch tiefere Ebene, um die Fragestellung nach dem Sinn Israels in der Welt zu beantworten. Der Schöpfer (Sender) will in dieser Welt und für die Menschen dieser Welt (Empfänger) weise herrschen, also sein Königreich aufrichten (Objekt). Dies soll durch Israel (Handelnder), deren Tempeldienst und deren der Tora entsprechenden Leben (Helfer) geschehen. Das Heidentum stellt sich diesem globalen Geschehen in den Weg (Gegner). Die Darstellung der jüdischen Story im Plotmodell gelingt Wright durchaus, auch wenn das Lesen und Verstehen desselben einer intensiven Auseinandersetzung bedarf. Dieses Werkzeug findet also Anwendung und bietet in Synthese mit den nachfolgenden Schlüsselfragen einen recht vollständigen Überblick über die jüdische Geschichte (story). Diese Schlüsselfragen werden im abschließenden Fazit folgendermaßen beantwortet:

1. Wer sind wir? Wir sind Israel, das erwählte Volk des Schöpfergottes. 2. Wo sind wir? Wir sind im heiligen Land, das seinen Fokus im Tempel findet; doch wir sind paradoxerweise immer noch im Exil. 3. Was läuft schief? Wir haben die falschen Herrscher: Heiden auf der einen, kompromissbereite Juden auf der anderen Seite, oder zwischen diesen Polen Herodes und seine Familie. Wir sind alle in eine alles andere als ideale Situation verwickelt. 4. Worin besteht die Lösung? Unser gott muss wieder handeln, um uns die wahre Art von Herrschaft zu geben, also sein eigenes Königtum, das durch die auf die rechte Weise ernannten Offiziellen ausgeübt wird (eine wahre Priesterschaft; möglicherweise ein wahrer König); in der Zwischenzeit muss Israel seiner Bundesurkunde treu bleiben.“(Wright 2011:310)

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