„Das Buzzwort ‚Ganzheitlichkeit‘ endlich mal mit Leben füllen! Part 2: Das Kreuz.“

Theologie


Das ganzheitliche Verständnis von Befreiung und Heil wie wir es im Exodus gesehen haben erfährt durch Kreuz und Auferstehung eine neue Dimension. Das Kreuz bedeutet die Versöhnung für Sünde, Ungerechtigkeit und Gewalt auf dieser Welt. Am Kreuz wird der Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen, indem Christus das Prinzip der Vergeltung außer Kraft setzt. Dieser paradoxe Triumph des Kreuzes durch Hingabe und Gehorsam gibt uns Christen eine Kraft im Alltag, die sich in vierfacher Weise zeigt: 1. Das Kreuz Christi – Kraft durch Vergebung; 2. Das Kreuz Christi – Kraft durch Liebe; 3. Das Kreuz Christi – Kraft durch Schwäche und 4. Das Kreuz Christi – Kraft durch die Begegnung. Die Überwindung des Bösen und des Todes als Erlösungswerk zeigt sich in alle Beziehungsebenen auswirkt (Röm 5,6). Die vom Kreuz ausgehende Kraft lässt sich nun auch wieder in die verschiedenen Aspekte von Erlösung, Befreiung und Transformation aufteilen.
1.   Politische Aspekte: Das Kreuz als öffentlicher Akt, der in die politische Situation des 1. Jahrhunderts hinwirkte und die Geschichte veränderte. Das von Christus ausgehende Reich Gottes wirkt mitten in die politische Ordnung hinein und beginnt diese zu verändern (Apg 5,17-42; 8,1-3).
2.   Soziale Aspekte: Durch das Versöhnungswerk am Kreuz ist der Kreislauf der Gewalt durchbrochen und ein neues Miteinander Menschen möglich (Röm 15,7).
3.   Ökonomische Aspekte: Das Kreuz stellt die ökonomischen Vorstellungen von Menschen und gesellschaftlichen Strukturen und Mächten auf den Kopf, indem das Schwache den Sieg erringt und die Schwachen und Armen eine besondere Stellung bekommen (1. Kor 4,7).
4.   Kulturelle Aspekte: Das Erinnerungsfest Passah bekommt als kulturelles Erbe eine neue inhaltliche Bedeutung (Hebräer 8-10).
5.   Ethische Aspekte: Mit dem Kreuz beginnt eine neue Sozialethik als Friedenszeichen der Nachfolgenden Christi. Vergebung und Versöhnung sind die Spuren, die vom Kreuz ausgehen und das Handeln bestimmen (2. Kor 5,18-19).
6.   Ethnische Aspekte: Die Grenze des Heils zwischen Juden und Heiden wurde durch das Kreuz weiter geführt und ein neues universales Gottesvolk gegründet. Waren es im AT in erster Linie die Fremden, die aufgenommen wurden und die Proselyten die ins Volk integriert wurden, so wird durch den Kreuzestod Jesu ein neuer Weg ins Gottesvolk frei gemacht. (Gal 3,28).
7.   Ökologische Aspekte: Versöhnung der ganzen Schöpfung – die kosmische Aspekte. Die ganze Schöpfung sehnt sich nach Gerechtigkeit und Wiederherstellung. (Röm 8,18-25).
8.   Emanzipatorische Aspekte: Das Kreuz befreit den Menschen aus seiner sündigen Abhängigkeit und lässt ihn in eine neue Aspekte der Wiederherstellung kommen (1. Kor 3,17).
9.   Theologische Aspekte: Die Gnade Gottes ist durch den Kreuzestod für alle Menschen gleichermaßen empfangbar und macht keinerlei Unterschiede (Kol 1,15-23; Röm 8,18-25).
Das Wesen Gottes ist Liebe, die sich mitteilen möchte. Daher ist Gott in seinem Wesen missionarisch. Im Kommen Jesu auf die Erde wird die missio Dei offensichtlich. Mit seinem Leben gibt Jesu sich für andere hin. Er löst das Problem der menschlichen Ichbezogenheit, der Sünde und der Trennung von Gott. Er liefert in seiner Botschaft eine ganzheitliche Antwort auf die durch die Sünde betroffenen Aspekte menschliches Leben, in der physischen, sozialen, rationalen, geistlichen, gesundheitlichen, politischen und wirtschaftlichen Welt.
Ausführlich setze ich mich damit in dem Aufsatz: „Exodus, Jubeljahr, Kreuz und die Gemeinde heute – Biblische Aspekte der Befreiung, Erlösung und Transformation“ auseinander. Erschienen in dem Band: „Die verändernde Kraft des Evangeliums“.

16 Comments

  1. Tobias, du zeigst viele wichtige Perifärwirkungen des Kreuzestodes Christi auf, erläuterst jedoch nicht den zentralen, initialen Auslöser all dieser Wirkungen: Das stellvertretende Sühnopfer: Christus wurde zur Sünde gemacht, hat für Schuld bezahlt und dadurch die Kluft zwischen Gott und Menschen überbrückt und Frieden geschaffen in seinem Blut und die Handschrift, die gegen uns zeugte, aus dem Weg geräumt.

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  2. Die neun Aspekte sind Auswirkungen, die “irgendwie” durch den Kreuzestod Christi ausgelöst wurden. Du schreibst aber nichts darüber, in wie fern das Kreuz dies alles bewirkt. Ist das Kreuz nun eine Art Symbol für etwas, hat sich darin etwas gezeigt, oder hat dort eine alles entscheidende Transaktion stattgefunden? Das ist es doch, was deine Leser interessieren würde, zumal man heute so viel hört, was das stellvertretende Sühnopfer als absurde Monstrosität darstellt, wenn ich an N. T. Wright erinnern darf: “Vampirreligion!”, oder Peter Aschoff: “mittelalterliche Sühnetheorien!”

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  3. Witzig,wir haben uns letztens im Studium mit dem Wort “Ganzheitlichkeit” auseinandergesetzt. Allerdings nicht aus götttlicher Perspektive, sondern eher aus pädagogischer Sicht. Wir haben das Wort ganz schön Verrissen…Ich will es zumindest im (pädagogischen) Kontext nicht mehr benutzen…Lieben Gruß, Anika

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  4. @hans-christian: Nein, es geht nicht um ein Symbol, sondern um die verändernde Kraft des Kreuzes. Ich denke nicht “entweder oder”, sondern “sowohl als auch”, heißt: Das Zeugnis der ganzen Bibel ernst nehmen. Wie hat mein Kollege Thomas Weißenborn mal geschrieben:

    „Mit der Eingrenzung der Erlösung auf das Kreuz und hier speziell auf den Aspekt als Sühneopfer gehen zudem meist noch andere Engführungen einher: Wer im Kreuz vor allem eine Sühneleistung sieht, muss zwangsläufig Sünde in Schuldkategorien beschreiben und die durch das Kreuz erwirkte Rettung in erster Linie als Vergebung. Auch dabei handelt es sich jedoch um eine Verkürzungen, die verfälschend wirken. Sünde ist mehr als Schuld, weshalb Erlösung mehr sein muss als Vergebung. Werden Schuld und Vergebung schließlich nur noch persönlich verstanden, geht der kosmische Aspekt des Neuen Testaments verloren. Aus der Erlösung der Welt wird ein bloßes Nichtahnden privatem Fehlverhaltens.“

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  5. Wundert mich, dass ich als Nicht-Theologe euch Theologen das Offensichtliche sagen muss:
    Sünde ist laut Bibel per definitionem nicht eine metaphysische Schwäche, sondern ethische Rebellion, und zwar ursprünglich diejenige eines einzelnen Menschen, die sich in einer durch und durch persönlichen Schöpfung, in der jedes Handeln Folgen für alle Zukunft hat, per Bundes-Repräsentation auf die nachfolgenden Generationen ausgeweitet hat.
    Alles andere sind Folgen dieser Rebellion für die gesamte Schöpfung.
    Genau dort setzt Erlösung an: Der “zweite Adam” tilgt als ein vollkommenes Sühnopfer stellvertretend die Schuld des ersten Adam und schafft so die Grundlage für die Erlösung der gesamten Schöpfung, “aller Kreatur”.
    Die vermeintliche “Engführung” der Bundestheologie ist also in Wahrheit der Ansatz am eigentlichen, ursächlichen Kern des Problems und der Lösung, und die vermeintliche “Ausweitung” oder, wie hier, “Ganzheitlichkeit” ein dezentriertes Herumstochern in den peripheren Folgen des Sündenfalls und der Erlösung, wodurch aufgrund der Leugnung bzw. Relativierung des eigentlichen Kerns der Gedanke der Erlösung ins Abstrakte und Absurde geführt wird.

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  6. Wenn ich Beese richtig verstehe, geht es darum das die Erfahrung der Sühnewirkung des Kreuzes nur an Tiefe gewinnt wenn Sie subjektiv erlebt wird…
    Gott gießt nicht allgemeine Vergebung mit der Gießkanne über alle Menschen.
    Ohne Sündenerkenntnis…Sündenbekenntnis…und wenn nötig Wiedergutmachung..gibt es keine nachhaltige Umkehr….weil dies praktisch selten geschieht haben wir kein Leben geschweige denn Erweckung. Die Krankheit der Christen ist das wir uns eine Vorabsolution erteilen ohne diese Schritte praktisch gegangen zu sein.
    Beispiel: Ein Pastor kommt in eine Versammlung und sagt: “Ääähhh falls es hier im Raum einen “Sünder” gibt…hätte ich eine gute Botschaft für Ihn…:-)

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  7. Mir gehts darum, dass hier um den Kern der Erlösung, der Versöhnung des Einzelnen mit Gott, ein Bogen gemacht wird und dass über diesen “persönlichen, privaten” Aspekt immer in Negationen gesprochen wird, wie “egoistische Engführung”, “Verkürzung”, “Verfälschung” etc., so dass der Eindruck entsteht, der Einzelne hat Erlösung eigentlich gar nicht besonders nötig, weil er einfach nur in einer dummerweise “irgendwie” gefallen Welt lebt.

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  8. Neufüllen ist gut. 🙂 Ich nehm ab jetzt “Mehrheitlichkeit”, zumindest im pädagogischen Kontext. Denn ich kann niemals einen Menschen in seiner Ganzheit begegnen (Wie will ich das tun???) und ich will auch nicht dass man mich in meinem Ganzen erkennt/ erkennen will…

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  9. @ hans-christian: Paulus beschreibt die Sünde als Knechtschaft der Vergänglichkeit der ganzen Welt (Rö 8,19-23) und nicht nur als Knechtschaft des Einzelnen. Sünde ist mehr als eine Verfehlung, mehr als Zielverfehlung des moralischen Handelns einzelner Menschen, sondern beschreibt die Problematik einer zerstörten Beziehung auf verschiedenen Ebenen (Gott, sich selbst, Nächster und der Schöpfung) und genau so ist der Kreuzestod die Wiederherstellung dieser Beziehungsebenen. Und Gott der Richter ist nicht derjenige, der die Menschheit verdammen will, sondern der Gerechtigkeit ausübt und die am Kreuz besiegelte Wiederherstellung der Gemeinschaft letztgültig durchführen wird.

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  10. “Die Sünde ist (mutwillige) Übertretung des Gesetzes.” (ἡ ἁμαρτία ἐστὶν ἡ ἀνομία.) bzw. der klaren Anweisung Gottes. Dies ist die einzige Begriffsbestimmung der Sünde.

    “Jeder, der die Sünde tut., der tut auch die Gesetzlosigkeit; und die Sünde ist die Gesetzlosigkeit.” (Schlachter Übersetzung)

    “Wie durch einen Menschen die Sünde ist gekommen in die Welt und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben.”

    “An eines Sünde (sind) viele gestorben …”

    “Durch des einen Sünders eine Sünde (kam) alles Verderben.”

    Römer 8,19-23 beschreibt die Folgen dieser Sünde des einen Menschen für die Schöpfung (“Kreatur”), die “gegen ihren Willen”, d. h. unschuldig der Eitelkeit, d. h. der Sinnlosigkeit und Nichtigkeit unterworfen ist (Der Acker wird verflucht, Tod kam in die Welt etc.).

    Und genau da setzt Erlösung an: Versöhnung des Menschen mit Gott durch das stellvertretende Sühnopfer Christi (“eines Menschen Gehorsam”):

    Gott der Vater “sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches und der Sünde halben und verdammte die Sünde im Fleisch.”

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  11. “Die Sünde ist (mutwillige) Übertretung des Gesetzes.” (ἡ ἁμαρτία ἐστὶν ἡ ἀνομία.) bzw. der klaren Anweisung Gottes. Dies ist die einzige Begriffsbestimmung der Sünde.”

    ok, da gebe ich mich geschlagen, du über der Schrift. Ich unter dir.

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