„Das Evangelium den Armen.”

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In den letzten Wochen habe ich mit großem Interesse das Buch „Das Evangelium den Armen“ gelesen. Es besteht aus drei großen Teilen, einem ausführlichen ersten Teil, der sich dem Thema exegetisch, theologisch und historisch nähert (acht Beiträge auf 210 Seiten) und zwei kürzeren praktischen Teilen „Impulse für die Welt (vier Beiträge auf 40 Seiten) und „Praxisberichten“ (vier Beiträge auf 60 Seiten). Hier wird schon deutlich, worauf der Hauptaugenmerk des Buches liegt: Es soll ein in der Theologie der Pfingstbewegung bisher zu kurz gekommenes Thema systematisch aufarbeiten. Dabei wird schon bei der Auswahl der siebzehn Autorinnen und Autoren deutlich, dass sich die Herausgeber (vom Forum Theologie & Gemeinde des BFP, vertreten durch das Vorwort von Marcel Redling) bemühten, kein rein eurozentrisches Bild zu zeichnen, sondern den globalen gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen (so gibt es beispielsweise Beiträge aus Argentinien, USA, Ghana).
Die Pfingstbewegung stellt weltweit die momentan am stärksten wachsende christliche Denomination dar und bildet mit ca. 500 Millionen Mitgliedern eine der größten Kirchen. Erstaunlich ist, dass der größte Wachstum in Entwicklungs- und Schwellenländern Südamerikas und Afrikas stattfindet, in der Armut und Reichtum besonders hart aufeinanderprallen. Oftmals geht damit auch die theologische Kritik einher, die der pfingstlerischen Theologie Triumphalismus und Wohlstandevangelium vorwirft. Auch dagegen wehrt sich dieser Band, genauso wie gegen eine dispensationalistische Eschatologie, die als hermeneutischer Nährboden für die eben benannte Kritik gilt. Besonders die historischen Beiträge des Buches wollen aufzeigen, dass es schon immer eine „soziale Linie“ innerhalb der Pfingstbewegung gab, die besonders Professor Vondey gut herausarbeitet (23-50), in dem er aufzeigt, dass das soziale Engagement vieler pfingsterlischen Basisgemeinden sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart enorm ist und sich in praktischen Bildungsprogrammen, Beteiligung an politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und einer sozialen Ethik zeigen. So kommt Vondey auch zu dem Ergebnis, dass die Pfingstbewegung unter einer großen theologischen und gesellschaftlichen Spannung steht und sich durch eine „Mehrdeutigkeit“ auszeichnet, die er, etwas schmeichelhaft, als ‚plurale Identität’ bezeichnet. Es folgen verschiedene Beiträge, die nun verschiedene Teile dieser Spannung und Mehrdeutigkeit aufnehmen und genauer untersuchen, wie beispielsweise der Umgang mit Schulden (77-94), Diakonie und Heilung (125-144) oder Netzwerke von Gerechtigkeit (145-196) oder Armut und Lebensstil (145-180). Ein besonders hervorzuhebender und auch thematisch typischer Beitrag stammt von Matthias Wenk, der sich mit dem Thema „Der Heilige Geist als Solidarität Gottes mit den Bedrängten und Ausgestoßenen“ (95-121) beschäftigt. Wenk nimmt das zentrale Identitätsmerkmal ‚Heiliger Geist’ der pfingstlerischen Theologie auf und führt es aber nicht in eine persönliche, individualistische Verengung und zur persönlichen Vereinnahmung des eigenen Wohles, sondern zeigt anhand des Lukasevangeliums und der Theologie des Paulus, dass die Sozialethik ein zentraler und wesentlicher Teil der Mission des Geistes Gottes auf Erden ist, die sich in Wort und Tat, individuell und strukturell im Jetzt und Noch Nicht zeigt. So kommt er zu dem Schluss: „Alle Mission ist gleichzeitig auch aktive Versöhnungsarbeit und erlebbare Demonstration der heilsstiftenden und einenden Kraft Gottes. Sie gründet sich in der Selbsthingabe Gottes an diese Welt, die der Leib Christi seinerseits in gelebter Solidarität gegenüber dem Fremden, Andersartigen und Schwachen zum Ausdruck bringt. Gerade darin ist sie unverkennbares Zeichen des kommenden Reiches Gottes. Sowohl nach der paulinischen als auch gemäß der lukanischen Pneumatologie wird Mission in der Vollmacht durch den Geist um die Dimension der Solidarität erweitert. Besonders die Pfingstgemeinden der westlichen Hemisphäre werden diese Erweiterung brauchen, wenn sie glaubwürdig missionarisch und sozialethisch handeln wollen. Dort, wo ihre Umgebung im Hier und Heute nicht schon eine heilvolle Transformation erlebt, sind sie aufgerufen, in die Zerrissenheit menschlicher Existenzen hineinzutreten und diese Nöte durch die Kraft des Geistes auszuhalten und mitzutragen … Denn Solidarität in der Kraft des Geistes bedeutet auch, sich für diejenigen einzusetzen, die sich nicht für sich selbst einsetzen können.“ (120) Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Untermauert werden diese Einsichten durch theologische Reflexionen aus aller Welt und Praxisbeispielen aus Deutschland. Diese zeigen auf, dass gute theologische Arbeit auch gute Früchte hervorbringt und motivieren, die eigene Glaubens- und Gemeindepraxis zu hinterfragen. Gerade in einem „satten westlichen Christentum“ sollen und müssen wir auf unsere internationalen Geschwister hören und uns als reiche Geschwister fragen lassen, wie einseitig westlich kontextualisiert unser Evangeliumsverständnis geworden ist. So haben mich die einzelnen Beiträge sowohl theologisch, persönlich als auch ekklesiologisch herausgefordert und zum Nachdenken gebracht. Kann man von einem theologischen Buch mehr verlangen?
Die Beiträge insgesamt sind, wie bei vielen Sammelbänden vom Anspruch und Niveau sehr unterschiedlich, überzeugen aber von ihrer Gesamtkomposition und dem Gesamtbild, was einem als Leser/in am Ende bleibt. Was man dem Buch gewünscht hätte, wäre ein professionelles Lektorat, das dem Buch beispielsweise eine einheitliche Gliederung gegeben hätte, so gibt es konsequent durchgegliederte Beiträge (wie von Johannes Stephens) und welche, die überhaupt nicht gegliedert wurden (wie von Ray Mayhew), so dass man 35 Seiten ohne jegliche Unterbrechung lesen muss, was es doch anstrengend macht.
Insgesamt ist das Buch aber gut und leicht lesbar und so für jede Frau und jeden Mann in der Gemeinde empfehlenswert. Es bleibt am Ende die Hoffnung und der Wunsch, dass dieses Buch viele Leserinnen und Leser auch außerhalb der Pfingstbewegung findet, die sich mit den herausfordernden theologischen Aussagen auseinandersetzen, damit die Transformation des Geistes Gottes mitten unter uns sichtbar werde.

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