Einer der zentralen Begriffe, wenn es um GT geht, ist sicherlich Gerechtigkeit. Ein Begriff, der durch die Jahrhunderte ein Zankapfel war und heute so aktuell und umstritten ist wie am ersten Tag. Was ist Gerechtigkeit? Sicherlich ist dies hier und heute nicht einfach zu beantworten und doch möchte ich ein paar Gedanken loswerden, die sich vor allem auf das Verständnis von Gerechtigkeit im AT (zedaqah) und im NT (dikaiosyne) beziehen. Der Gerechtigkeitsbegriff im AT beschreibt in erster Linie die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk und danach die Beziehungen des Volkes untereinander. Aber der Begriff geht noch weiter, bis zur Beziehung zu Tieren und zur Umwelt. Im Gegensatz zu unserem heutigen Verständnis, in dem wir Gerechtigkeit als ausgleichende Gerechtigkeit (Iustitia) verstehen, also auf der Sachebene. Wir suchen immer nach einer übergeordneten Norm, nach der wir uns ausrichten sollen und die bei Missbrauch für Gerechtigkeit sorgt. Im AT geht es aber nicht um eine ausgleichende Gerechtigkeit, sondern um eine wiederherstellende Gerechtigkeit. Das bedeutet, dass es immer um die Gemeinschaft geht und nicht nur um das Recht des Einzelnen. Die Gemeinschaft wird zerstört und soll wieder korrigiert werden. Die Gesetze sollen dazu eine Hilfe sein (eine Notordnung). Leider ist die Dynamik dieses Gemeinschaftsverbundes durch immer mehr Gesetze und die pharisäische Gesetzesauslegung weitgehend verloren gegangen. Aber es lässt sich im AT an vielen Stellen erahnen, wie weit reichend dieser Gemeinschaftsaspekt war, wie zum Beispiel mit dem Sabbatjahr (alle sieben Jahre wurden Sklaven freigelassen werden) und dem Erlassjahr (aller 50 Jahre ging der Grundbesitz an seinen ursprünglichen Besitzer zurück). Wiederherstellung, die sich für uns fast ungerecht anhört. Diese „Ungerechtigkeit“ setzt sich im Leben Jesu, der sich auf die Seite der „Unterlegenen und Ausgestoßenen“ setzt. Jesus nimmt den Gerechtigkeitsbegriff vom AT auf und setzt in um. Bei Lukas besonders im Verhältnis zu den Armen und bei Matthäus gar als zentralen Begriff seiner Lehre und seines Lebens. Matthäus schreibt von der besseren Gerechtigkeit, die sich eben nicht auf die pharisäische Auslegung beruft, sondern wieder zum Ursprung der wiederherstellenden Gerechtigkeit geht. Bei Jesus steht diese Wiederherstellung von Gemeinschaft ganz eng in Verbindung mit dem Begriff des Heils. Die Gemeinschaft hat heilende Kraft, ja es geht sogar noch weiter, nur in Gemeinschaft können wir Menschen Heil werden und Gerechtigkeit erfahren. Das hört sich fast paradox an, und so ist es leider nicht verwunderlich, dass viele christliche Gemeinschaften die pharisäische Form der Gesetzlichkeit, der Macht und des Aussonderns wählen. Es ist die auf den ersten Blick einfachere Form der Gerechtigkeit, zumindest für diejenigen die Aussondern. Gerechtigkeit ist von der Bibel her weit mehr als Gesetz und Gesetzlichkeit, sondern die Grundordnung zum Leben untereinander und vor Gott. Wenn wir als Christen von GT sprechen, dann geht es über eine staatliche Ordnung hinaus und setzt beim Zusammenleben der Menschen ein. Wir können als Christen nicht so tun als wären uns die sozialen oder ethischen Zustände um uns herum egal, sondern wir sollen gerade da versuchen die „bessere Gerechtigkeit Jesu“ zu leben. Nicht durch ideologische Besserwisserei oder gar Angstmacherei, sondern in dem wir Menschen in unser Leben und in unsere Gemeinschaft hineinnehmen. Ich weiß, dies ist eine große Herausforderung, aber nur so werden wir anfangen ein Stück „heil“ zu werden.
8 Comments
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Danke für die guten Gedanken und begrifflichen + biblischen Aspekte. Das ist ne gute Spur. Na dran am Leben und nicht zu theoretisch.
Gruss Andib
Danke, werde versuche die Gedanken noch zu konkretisieren….
Ich stimme voll zu – ein super Artikel!
Höre ich da ganz sachte Bernd Brockhaus heraus…:-)?
Mir ist von ihm in Erinnerung: Gerechtigkeit ist ein zentraler Beziehungsbegriff. Darum kann sich Michal der Justitia, der von uns empfundenen übergeordneten Gerechtigkeit gegenüber auch elementar daneben verhalten, als sie zuerst die Boten ihres Vaters und dann noch Saul selbst ohne rot zu werden anlügt (1. Sam 19). Sie hat sich David gegenüber “gerecht” verhalten, weil sie die (wichtigere) Beziehung zu ihm erhalten hat.
Eine starke Herausforderung: Nicht einer neutralen leblosen Gereichtigkeit gegenüber verantwortlich sein sondern laut Paulus das suchen, was “rechtschaffen, rein, liebenswert, ansprechend ist und Lob verdient” (Phil 4,8)
@Tobi
Sehr spannende Diskussion hat du da losgetreten.
Ich hoffe es gelingt uns allen neu darüber nachzudenken, wie die Kraft des Evangeliums in unserer Gesellschaft wieder relevant werden kann. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr glaube ich, dass wir aus den kuscheligen Räumen unserer Gemeinden wieder rauskommen müssen, und wieder an in die Hecken und Zäune dieser welt gehen müssen.
Wir uns ein bisserl was Kosten, zu aller erst unsere Bequemlichkeit.
Aber wenn wir dafür wieder eine Stimme in dieser Welt bekommen, warum eigentlich nicht.
Hat Jesus nicht mal gesagt: Seelig sind die Frieden stiften. Seelig die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. ?!?
Und wer weiß was mit uns passieren würde, wenn wir das wieder etwas ernter nehmen würden.
Ich bin gespannt, wohin uns diese Diskussion führt.
Etwas nachdenklich
Samuel
@daniel: ja, sicher Brockhaus, aber auch andere… 🙂
Alte Schule muss nicht schlecht sein! 😉
@samuel: Ja, das kostet was. Das ist oft mein Problem, es umzusetzen. Es beginnt mit dem Bewusstsein und geht dann Stück für Stück in den Alltag über…
Hi Toby,
habe hier kuerzlich eine interessante Predigt von einer deiner Schülerinnen gehört ;-). Thema war Umgang mit Konflikten. Im Text (Mt. 18) sagt Jesus, dass man nach 3 anderen Schritten (Gespräch, Mediation, Gemeindeversammlung ;-))) Konfliktpartner wie Zöllner und Heiden behandeln soll. Steile These der Predigt passte genau zu deinen Gedanken der “wiederherstellenden Gerechtigkeit”: Jesus hat mit Zöllnern und Heiden erst recht und zu aller erst Gemeinschaft gepflegt. Ganz am “Ende” eines ungelösten Konflikts ist meine Verantwortung also am Größten, das Gegenüber wieder für meine Gemeinschaft zu gewinnen und sie nicht etwa “auszuschließen”. Auch hier wählen wir wohl oft den einfachen Weg der normativen Gerechtigkeit… Vielleicht hat sich ja sogar der lieb Paulus vereinfachend geäußert 😉
Matze
Die Schülerin hat ja anscheinend echt was gelernt! Tolle Frau, grüße sie mal ganz herzlich von mir! 😉
Und das Thema geht weiter, danke fürs interkontinentale mitdenken, mitleben, mitleiden…