“Das Problem der Sünde und die Erlösung des Kreuzes”

Jesus, Theologie
Auch die Sünde hat eine Geschichte, die es zu verstehen gilt. Angefangen in Gen 3 durch das Alte und Neue Testament bis zu uns heute. Dabei gab es immer wieder verschiedene Qualitäten (Opferkult & Opfer Jesu) und Interpretationen (Bsp. Mittelalter & Reformation). Heute gibt es sie immer noch, die unterschiedlichen Verständnisse und eine der gebräuchlichsten ist die, dass Jesus als Sühneopfer stellvertretend geopfert wurde und somit den Richter Gott besänftigt. Dies stellt durchaus einen wichtigen Aspekt des Kreuzes dar, vernachlässigt aber einen anderen. Paulus beschreibt die Sünde als Knechtschaft der Vergänglichkeit der ganzen Welt (Rö 8,19-23) und nicht nur als Knechtschaft des Einzelnen. Sünde ist mehr als eine Verfehlung, mehr als Zielverfehlung des moralischen Handelns einzelner Menschen, sondern beschreibt die Problematik einer zerstörten Beziehung auf verschiedenen Ebenen (Gott, sich selbst, Nächster und der Schöpfung) und genau so ist der Kreuzestod die Wiederherstellung dieser Beziehungsebenen. Und Gott der Richter ist derjenige, der die Menschheit verdammen will, sondern der Gerechtigkeit ausübt und die am Kreuz besiegelte geistliche Wiederherstellung der Gemeinschaft letztgültig durchführen wird.
Die Reduzierung der Sünde auf moralische Verfehlungen ist ein zutiefst pharisäisches Verhalten. Aus der Angst vor immer neuen Verfehlungen wurden neue moralische Gesetze als Schutzmauer vor dem Bösen gebaut. Jesus reißt diese moralischen Mauern konsequent ab und sucht die Beziehungen zu den Menschen, sucht die Beziehung, die Gemeinschaft, die Heilung und Vergebung bringt. Das Kreuz hat also Auswirkungen auf alle Lebensbereiche eines Christen, auf all sein Verhalten und alle seine Beziehungen. So schreibt Thomas Weißenborn (in seinem im Herbst erscheinenden Buch „Das Geheimnis der Hoffnung“) treffend:

„Mit der Eingrenzung der Erlösung auf das Kreuz und hier speziell auf den Aspekt als Sühneopfer gehen zudem meist noch andere Engführungen einher: Wer im Kreuz vor allem eine Sühneleistung sieht, muss zwangsläufig Sünde in Schuldkategorien beschreiben und die durch das Kreuz erwirkte Rettung in erster Linie als Vergebung. Auch dabei handelt es sich jedoch um eine Verkürzungen, die verfälschend wirken. Sünde ist mehr als Schuld, weshalb Erlösung mehr sein muss als Vergebung. Werden Schuld und Vergebung schließlich nur noch persönlich verstanden, geht der kosmische Aspekt des Neuen Testaments verloren. Aus der Erlösung der Welt wird ein bloßes Nichtahnden privatem Fehlverhaltens.“

24 Comments

  1. Ich glaub hier fehlt was. “Und Gott der Richter ist derjenige, der die Menschheit verdammen will” … da muss doch ein “ist nicht” rein, oder?

    Kommt selten vor das ich sowas entdecke, deshalb muss ich das grad kurz berichten.

    Und sonst … AMEN

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  2. “Sünde ist mehr als Schuld” – äh und was? Das sagt der gute Mann nicht – oder hast du es nur nicht zitiert? 😉

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  3. @Dave: Doch das stimmt so, es geht mehr als um Schuld. Schuld verstanden im rechtlichen Sinn. Sünde ist grundsätzlicher als Schuld. Schuld hat immer etwas mit einer Tat zu tun, mit schuldig sein…

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  4. Klar ist Sünde grundsätzlicher als Schuld…aber meine Frage ist ja, worin Sünde mehr ist als Schuld. Denn so wie der Herr Weißenborn es beschreibt, bzw. du ihn zitierst, leuchtet mir das nicht ein – denn bleibt er mit seinem Sündenbegriff nicht auch in der Schuldkategorie?

    Deswegen mag ich ja Bonhoeffer so 🙂 Sünde als “incurvatio in seipsum” (“Verkrampfung des Menschen in sich selbst”). Hier sehe ich sehr wohl eine gewisse kosmische Dimension, da jede (!) Beziehung des Menschen scheitern muss und er in dieser Sünde (als ontologische Struktur) schuldig wird: an sich selbst, den Mitmenschen und Gott. Das Kreuzesgeschehen somit als Sühne im Sinne von Vergebung – warum nicht? 😉

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  5. @dave: Es geht nicht darum die Schuldfrage auszuklammern, es geht vielmehr darum, den größeren Zusammenhang der Sünde als “Beziehungskiller” zu sehen, aus dem die Schuld sozusagen folgt. Den Begriff ontologisch mag ich nicht so sehr, da er mich zu sehr an das Mittelalter (Anselm, Gottesbeweise etc.) erinnert, aber vielleicht meinen wir dasselbe…

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  6. @Dave: Ich wag mal einen Erklärungsversuch in Gestalt eines Bildes:

    Seit es Fußballmanager, FIFA 200X usw. gibt, weiß jeder (der so was schon mal gespielt hat), dass ein Spieler nur dann sein Potential richtig entwicklen und ausspielen kann, wenn er auf der richtigen Position gesetzt ist.

    Wenn jemand an falscher Position versagt, gibt es vielleicht Fouls, Elfmeter und bunte Karten, vielleicht wird das Spiel verloren und der Abstieg droht. Das ist Schuld!

    Dass jemand aber an der falschen Position steht, dass er seine Bestimmung verfehlt, wenn er als rechter Außenstürmer im linken Abwehrraum agiert, dass er sich nicht entwickeln kann und deswegen keinen sinnvollen Output liefern kann, das ist Sünde.

    Das Bild ist natürlich begrenzt und gewagt, aber verdeutlicht doch vielleicht, dass es bei Erlösung nicht um Anstrengung, sondern um Paradigmenwechsel geht. Bloße Sühen ändert noch nicht unsere Position auf dem “Spielfeld”.

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  7. “Dies stellt durchaus einen wichtigen Aspekt des Kreuzes dar, vernachlässigt aber einen anderen.”

    Ich denke nicht, dass das eine das andere vernachlässigt – oder vernachlässigen will. Es sind einfach verschiedene Bilder für dasselbe Ereignis.

    Guter Artikel, mehr dazu würde ich hier empfehlen: Scot McKnight, A Community Called Atonement. Ein Emergent Buch.

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  8. @Danny: Wenn es nur nur verschiedene Bilder sind, wunderbar, ich erlebe es aber in vielen Begegnungen als Einengung, was dann eine Moralisierung als Folge hat.
    McKnight lese ich auch gerade und verstehe ihn genau so! 🙂

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  9. Die Enführung bzw. die Reduktion des Sündenbegriffes auf allein moralisches Fehlverhalten, welches Toby zu recht als ,pharisäerisch’ bezeichnet, beschäftigt mich schon sehr lange. Wenn wir nun den Satz von Weißenborn zu Rate ziehen und erkennen, daß Sünde mehr als Schuld ist – nämlich ein Seinszustand (sorry, Toby, grins,) vier gefallener Beziehungsebenen – und deshalb Erlösung mehr sein muß als … lieber Herr Jesus, ich danke dir das du für meine ,(Tat)Sünden’ gestorben bist und sie mir vergeben hast… dann stellt sich doch die Frage, in wieweit wir nicht nur einen verkürzten Sündenbegriff diskutiert haben … sondern in wieweit wir ihn bisher gelebt haben, oder? Jetzt wird es doch erst interessant, oder?
    Und wäre dann nicht die Schlussfolgerung erlaubt, wenn dem so wäre, ob wir, die wir uns Christen nennen (oder nicht), nicht dann auch eine ,verkürzte’ Erlösung, sprich keine Erlösung erfahren haben. Oh, daß ist aber jetzt ein böser, böser Satz! Die schöne Heilsgewissheit, dahin? Nein ich denke nur quer, denn was soll sonst die ganze Diskussion hier am Ende bringen, wenn sie uns nicht zu praktischen Überlegungen ,reizt’, gell. Ich meine wenn wir nur einen verkürzten Sündenbegriff leben, hat dies dann keine Konsequenzen? Wenn wir Gerechtigkeit als persönlicher Privatakt deklarieren, sie als abstakt forensischen Akt verstehen, hat dies dann keine Bedeutung, wenn dem doch nicht so ist? Anyway. Welche Fragen werfen sich hier für uns auf? Was bedeute es für uns den Sündenbegriff und damit die Gerechtigkeit (Wiederherstellung durch den Kreuzestod) ganzheitlich zu verstehen, ganz praktisch – auf alle Lebensbereiche, wie Toby sie nennt? Was bedeutet dies alles z. B. in Bezug auf die Eschatologie: Schaf oder Bock?

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  10. Und wäre dann nicht die Schlussfolgerung erlaubt, wenn dem so wäre, ob wir, die wir uns Christen nennen (oder nicht), nicht dann auch eine ,verkürzte’ Erlösung, sprich keine Erlösung erfahren haben.

    Nein, gerade das nicht. Unser “Sein” (haha, Toby wirds verkraften) IST damit erlöst…aber eben mit eschatologischem Vorbehalt…das schön “schon jetzt und noch nicht” eben.

    Die Fragen, die Du aufwirfst, Rüdiger, sind genau die, um die es geht: Wenn unser Wesen, unser ganzes Sein (mit all seinen Beziehungen) erlöst ist – welche Konsequenz hat das für mich und meine Umwelt (äh und damit meine ich mehr als die schöpfungstheologische Dimension *g*). Da kommen wir dann entweder da hin, wie es schon manche der Korinther gemacht haben, dass wir schwärmerisch davon reden können, sündlos zu sein oder wir kommen dahin, dass wir uns Jesus zum Vorbild nehmen. Der, der als Mensch dieses völlige erlöst-sein vorgelebt hat, denn er war frei von Sünde. Ich würde mich gerne für Letzteres entscheiden 🙂

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  11. Nun ja, ich hatte ja geschrieben, daß meine Frage böse (unreformatorisch)ist. Du antwortest mir evangelisch: mit dem Glauben an Christus sind wir ganzheitlich erlöst. Wir haben Gerechtigkeit aus Glauben erfahren. Doch bringt Glauben nie allein Gerechtigkeit nur für mich, vor Gott, sondern auch gerechtes Handeln gegenüber dem Nächsten und unsere Umwelt.

    Was aber wenn ich sage: Ich habs! Du Glauben bin ich gerecht, das wars! Meine Gerechtigkeit ist nicht von Nutzen für die Welt, meine Gerechtigkeit dient nur mir selbst und meiner Gemeinde. Jetzt muß ich nur noch darauf achten, daß ich mich von allem Unreinen fern halte, immer heiliger und reiner werde. Ich muß auch darauf achten, daß meine Geschwister immer heiliger und reiner werden. Notfalls erlasse ich ein paar Regeln, damit die erst gar nicht in Versuchung kommen zu sündigen. Das ist mein Bestreben, auf das die Braut rein und schön ist, wenn der Bräutigam kommt. Und das Ganze wird auch noch als ,reine Lehre’ formuliert. Dieser verkürzte Sündenbegriff und der damit einhergehende verkürzte Gerechtigkeitsbegriff ist unter den Christen eine gängige Lehrmeinung.

    Warum wurde der Knecht, der seine Pfunde, also all das, was er an Gnade und Gerechtigkeit empfangen un doch vergraben hatte, verworfen? Hätte er zu seinem Herrn gesagt: tut mir aufrichtig leid. ich hätte mit meiner Gerechtigkeit anders umgehen müssen, aber ich war zu schwach, habe hier ständig versagt, hätte der Herr ihm nicht vergeben? Nein, der Kerl hat das aus voller Überzeugung getan und da war es dem Herrn egal, ob er den gerecht gesprochen hatte oder nicht. In diesem Sinne böse weiter gefragt:

    Was ist wenn meine erlöste Seinform außer auf mich selbst keine weiter Konsequenzen nach sich zieht, wenn ich Gerechtigkeit allein für mich in Anspruch nehme und es dabei belasse? Ist die Konsequenz von empfangener Gerechtigkeit nicht, dieser an die Welt zu verschenken, ihr zu dienen? Also wie viel Nichthandeln verträgt denn eine Erlösung? Wie lange würde mich Paulus ,Heiliger’ nennen?

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  12. Aber ist es nicht so, dass die Frucht automatisch wächst? Dass es keine Erlösung gibt aus Eigennutz? Bonhoeffer würde das wohl die “billige Gnade” nennen. Warum werden wir denn bei der ERlösung nicht aus dieser Welt genommen? Dann wäre ja vieles einfacher, oder?

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  13. für mich ist in der ganzen Geschichte eines besonders spannend: Dass hier Fragen diskutiert und auch schriftlich fixiert werden (Weißenborn), die innerhalb konfessioneller Auseinandersetzungen höchst brisant sind. Das Sünden- und Gerechtigkeitsverständnis im Protestantismus unterscheidet sich immens von dem des altkirchlichen. Ich erkenne nicht zuletzt in dieser Fragestellung ein weiteres Mal das Drängen auf die Wahrheit hin. Nicht, dass sich das gegeneinander auspielen ließe – weit gefehlt. Aber gegenseitige Korrektur war noch nie schädlich. Für niemanden…
    Im übrigen ist der “incurvatus” Gedanke nicht von Bonhoeffer. Der hat ihn von Luther und dieser wiederum über Bernhard von Augustinus.
    Es bleibt spannend!!! :o)

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  14. Du sagst es: auf wahre Erlösung folgt automatisch Frucht, auf wahre persönliche Gerechtigkeit folgt automatisch z. B. soziale Gerechtigkeit an der Welt.
    Ist das in der Praxis so? Erleben wir dies unter freikl. Christen (von ersten Bewegungen abgesehen)? Wenn nicht, was wäre die logische Schlußfolderung? Was ist, wenn trotz frommem Lippenbekenntnis keine Frucht sichtbar wird, obwohl sie es eigentlich müßte? Wieviel ist Wahrheit wert, wie wahr ist sie, wenn sie nicht Wirklichkeit wird?

    Und wird der Begriff ,Frucht’ nicht oft mit Geistesgaben, in die Gebetsstunden kommen, täglich Bibellesen, Im Chor/Band mitsingen, gleichgesetzt? Ist das nicht eine sehr einseitige Frucht der Erlösung, welche auch automatisch folgt? Ist dies das Ergebnis meiner Gerechtigkeit? Du würdest sagen: ja, aber stark verkürzt. Gerechtigkeit muß auch Konsequenzen außerhalb von Gemeinde haben, mit ihr Hand in Hand gehen. Jetzt kann ich sagen: hab ich lange nicht gewußt, daß ich Sünde, Gerechtigkeit verkürzt gelehrt und gelebt habe.
    Aber jetzt weiß ich es, und nun?
    Oder was ist der Sinn, wenn uns Weißenborn erklärt, das Erlösung und logischerweise auch ihre Konsequenz mehr sein muß, als wir es bisher verstanden haben? Daß ich jetzt schlauer bin?

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  15. @bernhard: Du triffst es auf den Punkt und es soll bitte kein gegeneinander sein, aber die Kirchengeschichte hat auch nicht mit Luther angefangen, auch wenn er sie maßgeblich geprägt hat! 🙂

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  16. @rüdiger: Frucht: Gal 5, 22-23 “Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit…”
    Alles Beziehungsbegriffe, ist doch ein interessanter Aspekt, oder?

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  17. Ja, unbedingt! Ich wünschte nur, nicht nur die Gemeinde selbst, sondern auch die sogenannte Welt würde davon mehr abbekommen. Diese Frucht in ihren verschiedenen Facetten ist für mich der zentrale Kernpunkt. Die Frucht des Geistes bewirkt in der Gemeinde und Welt Transformation hin zu Christus und dadurch wird der Begriff ,Gerechtigkeit’ in seiner ganzheitlichen Dimension erfaßt.

    Meine (bösen?)Fragen stehen dennoch weiter im Raum. Könnte es Christen in unseren Gemeinden geben, die keine Frucht bringen? Was sagt Jesus noch über den Feigenbaum, der keine Früchte trägt? Warum wächst hier die Frucht nicht automatisch? Das ist doch die seine Bestimmung. Und dennoch nennt er sich Feigenbaum.

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  18. So ganz automatisch wächst eben Frucht doch nicht. Es braucht Rahmenbedingungen für das Wachstum von Frucht: Die enge Verbindung zu Jesus und zu seinem Geist. Man kann auch ein sehr eingetrocknetes Leben als Christ führen… z. B. wenns einem nicht wirklich wichtig ist, wenn man gezielt an Dingen festhält, die Jesus stören usw.
    Und noch was zum Thema Wachstum: Ich finde Eure Diskusion sehr einseitig und polarisierend. Irgendwo fängt Wachstum und Erkenntnis an (und das meist sehr klein), aber die innere Bewegung sollte in Richtung “mehr” gehen. Nicht stehen bleiben, reifen wollen. Und auch die immer wieder erwähnte gesellschaftliche Verantwortung fängt irgendwo ganz klein an, z.B. in der Elternarbeit in Kindergarten oder Schule. Ist das nichts?

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  19. @suse: Ich glaube so weit waren wir noch gar nicht. 🙂 Aber natürlich zeigt sich diese Frucht im Alltag, ganz klar. Familie, Schule, Arbeit, eben überall da, wo zwischenmenschliche Beziehungen sichtbar werden. Die Frage ist, ob ich das machen muss, weil ich ja Christ bin oder ob es sozusagen aus mir heraus wächst, da es aus der VErbindung mit Gott kommt? Natürlich zweiteres, klar! Aber sind wir doch mal ehrlich das klappt leider nicht so richtig…

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