Mit dieser Frage begrüßte mich ein Freund am Ende des 35. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Stuttgart. Gute Frage, dachte ich und streife in Gedanken durch die letzten Tage. Heiß war es in Stuttgart – vor allem wegen der Sonne und nicht so sehr wegen der hitzigen Diskussionen. Die musste man nämlich eher suchen und das, obwohl noch nie so viele Politikerinnen und Politiker bei einem Kirchentag waren wie in Stuttgart, ja man konnte die Politikprominenz fast auf jeder Bühne belauschen (von Merkel und Gauck über Gabriel und Gröhe bis Ramelow und Steinmeier. Und nein, ich habe nicht alle Diskussionen, Bibelarbeiten und Ansprachen gehört und das, was ich gehört habe, war dann manchmal eher als altklug einzustufen, wie unser Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der erklärte, dass er seine Daten lieber im Schreibtisch verstaue als in der Cloud. Zu unsicher, wie er meinte und ich dachte, er muss es ja wissen, wandte mich ab und ging weiter um nicht noch seine Kritik am Kirchenasyl hören zu müssen. Es gab aber auch kluge Auseinandersetzungen, wie zwischen Soziologieprofessor Hartmut Rosa und Bundespräsident Joachim Gauck. Rosa argumentierte vehement für seine These des begrenzten Wachstums und erklärte, dass die ständige Beschleunigung unseres Alltags genau diesen langsam auffresse, so dass wir als Gesellschaft nicht mehr einem gemeinsamen Ziel hinterherlaufen, sondern nur noch vom Abgrund wegrennen. Und dafür sei auch die Politik verantwortlich, so Rosa. Gauck verwehrte sich dem und stimmte Rosa nur in Teilen seiner Analyse zu, die ihm insgesamt zu kulturpessimistisch sei und er appellierte an mehr Selbstverantwortung für Freiheit und Hoffnung in diesem Land. Tolle Diskussion, wo die beiden aufeinander hörten und auf die Argumente des anderen eingingen, so dass Rosa am Ende mitteilte, dass er sein aktuelles Buchmanuskript nach der Diskussion noch mal ergänzen wolle. Freiheit ist überhaupt das protestantische Thema, zu dem der ehemaliger EKD Vorsitzende Wolfgang Huber in der Kirchentagszeitung des Kirchentags weise schrieb: „Auf evangelischer Seite zeigt sich immer wieder die Gefahr, dass Freiheit mit Beliebigkeit verwechselt wird. Freiheit muss jedoch verantwortet werden. Dabei braucht man Grundsätze, von deren allgemeiner Geltung man überzeugt ist.“ Und diesen Satz konnte über viele der diskutierten Themenfelder und Bibelarbeiten gesetzt werden, von Bioethik bis Sterbehilfe, von Religionsfreiheit bis Ehe für alle. Und immer ging es um Gott und begleitet wurde es von unzähligen Posaunenchören. Ja, da lebt eine alte württembergische Tradition weiter, sehr schön. Der Württemberger Pietismus war dieses Mal auch vertreten, mit dem Christustag. Das ist ein echter Fortschritt und gibt Hoffnung, wenn jetzt aus einem Nebeneinander ein Miteinander wird, dann kann der Protestantismus sich tatkräftig den vielen großen Zukunftsthemen widmen. Und das wird notwendig sein, denn das große rauschende und bunte Fest Kirchentag ist vorbei und der graue Alltag zwischen Respiritualisierung und Postsäkularisierung wartet als Herausforderung für die evangelischen Christinnen und Christen. „damit WIR klug werden“ war das Motto und in Zukunft wird es auf das WIR ankommen, also miteinander statt nebeneinander oder gar gegeneinander. WIR heißt die Zukunft, daran können wir erkennen, ob wir klug werden…
Der Abschlussgottesdienst zu nachsehen: http://www.zdf.de/gottesdienste/gottesdienste-6021590.html
Vielfältige Berichte vom SWR: http://www.swr.de/kirchentag/-/id=15268800/wqi6b5/index.html
Hmm… sogenannter Christustag? Klingt ziemlich distanziert. Ist der evangelische Kirchentag dann nicht auch ein “sogenannter”?
Und was hat es mit dem Motto des Kirchentages auf sich “…damit wir klug werden?” Wird das nicht völlig falsch verstanden, weil der erste Teil des Satzes “lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen” einfach weggelassen wurde?
Im ersten Teil hast du völlig recht, das war gar nicht so gemeint, ist aber missverständlich und habe ich geändert. Danke für den Hinweis. 🙂
Naja, es war ja ein Motto, ich finde, dass das gut passt und viele sind auf den ersten Teil auch eingegangen, da er noch mal eine gewisse Ernsthaftigkeit aufzeigt, gerade bei vielen sozialethischen Themen….
Danke! 🙂