Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht so richtig wohin mit meinen Gefühlen, ich bin erschüttert und wütend und traurig und fassungslos zugleich. Und verärgert. Ich ärgere mich darüber, wie einzelne (Christen, Politiker, Journalisten), keine 24 Stunden nach dem Attentat, sich die Lage schon zu Eigen machen und versuchen politisch daraus Kapitel zu schlagen. Das ist pietätlos, vor allem wenn es um die aktuelle Flüchtlingsdebatte geht, denn die meisten Flüchtlinge, die in den letzten Monaten bei uns angekommen sind, haben „Paris“ hautnah miterlebt, dabei alles verloren und sind deshalb zu uns geflohen. In Syrien, dem Nordirak und Afghanistan leiden die Menschen unter den Attentaten und der Verfolgung der IS seit Monaten und wir schauen hilflos zu und liefern Waffen an die Verbündeten und als ob dies nicht schlimm genug wäre, stigmatisieren wir sie jetzt direkt und durch die Anschläge von Paris. Und mir ist völlig klar, dass die Situation nicht einfach zu lösen ist und trotzdem ist meine Hoffnung, dass mein Glaube sich nicht manipulieren lässt durch die aktuellen politischen Parolen. Und es stimmt nicht, dass wir „nichts machen können“, wir können anfangen zu unterscheiden zwischen Islam und Islamismus; zwischen Politik und Propagandarhetorik; zwischen Glauben, der sich öffentlich durch Nächstenliebe zeigt und Glauben, der sich ins Private zurück zieht. Deshalb auch dieser Blogeintrag, nicht weil ich denke, dass das, was ich schreibe besondere clever oder wichtig ist, sondern weil ich die Deutungshoheit der Ereignisse nicht denen überlassen möchte, die sich offen und versteckt gegen Menschen aussprechen, die gerade jetzt unsere Solidarität brauchen. Deshalb soll unser Glaube sichtbar einen Unterschied machen und ich möchte den EKD Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm aus dem aktuellen Buch von Miroslav Volf zitieren, weil es heute so unglaublich aktuell ist, so traurig dies auch sein mag:
„Denn Terrorakte sind der schlimmste Ausdruck eines totalitären Verständnisses von Religion, das unter Berufung auf die Autorität Gottes alle abweichenden Meinungen und Weltsichten auszumerzen versucht. Wo durch militärische Eroberungsfeldzüge mit dem Ziel der Errichtung eines „Islamischen Staates“ oder durch terroristische Aktivitäten weltweit der Eindruck entsteht, dass der Öffentlichkeitsanspruch von Religion in seiner letzten Konsequenz zu Krieg und Gewalt führt, da scheint die Abwehr eines solchen Öffentlichkeitsanspruchs zunächst nur allzu nachvollziehbar. Deswegen ist Miroslav Volfs Buch so wichtig. Und deswegen ist es wichtig, dass dieses schon 2011 auf Englisch erschienene Buch nun auch auf Deutsch zugänglich wird. Denn es macht deutlich, dass „öffentlicher Glaube“ nichts zu tun hat mit totalitärer Gleichschaltung durch Religion oder deren gewaltsamer Ausbreitung. Was Miroslav Volf hier vorschlägt ist die Überwindung einer falschen Alternative, die viele der Diskussionen um die öffentliche Bedeutung der Religion in Europa, aber weit darüber hinaus, auch weltweit beherrscht: auf der einen Seite die völlige Durchdringung des öffentlichen Lebens mit einer einzelnen Religion und die mehr oder weniger zwangsbewehrte Abwehr jeder anderen Religion oder Weltanschauung. Und auf der anderen Seite – häufig als Gegenreaktion – der völlige säkularistische Ausschluss aller Religionen aus dem öffentlichen Leben, also eine Auffassung, die das Heraushalten der Religion aus dem öffentlichen Leben zum Dogma macht. Volf plädiert gegenüber dieser falschen Alternative dafür, dass religiöse Menschen die Freiheit besitzen sollten, ihre Überzeugungen vom guten Leben in die Öffentlichkeit zu tragen – in die Politik ebenso wie in andere Bereiche des öffentlichen Lebens. Religiöse Menschen sollten dies mit den Mitteln tun dürfen, wie sie anderen Teilnehmern am öffentlichen Leben einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft auch zur Verfügung stehen.“
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Das Kreuz kann trotz aller historischen Gegenerfahrungen, eben gerade nicht zur Legitimierung von Gewalt herhalten, denn es ist nicht das Symbol ausgeübter Gewalt, sondern es ist das Symbol erlittener Gewalt. Wenn es in der Geschichte vom Kreuz die Gefahr der Gewalt gibt, so stellt Miroslav Volf zu Recht fest, „dann indem sie zum bloßen Erdulden verleitet, wenn man von anderen misshandelt wird, nicht aber, dass sie zu Misshandlungen Anlass gäbe.“
Es ist nicht schwer, Inhalte unserer Vorstellung menschlichen Gedeihens zu nennen, die genau das zu leisten vermögen: Verstand und Sinne zu öffnen für den Reichtum, der uns in unserem Leben geschenkt ist und zu lernen, dankbar dafür zu sein. Neu zu lernen, wie befreiend es ist, vergeben zu können und sich vergeben zu lassen. Zu verstehen, dass Selbstliebe und Nächstenliebe keine Gegensätze sind, sondern sich wechselseitig befruchten. Die Überwindung von Gewalt und aller Formen menschlichen Elends, das Eintreten für die Würde des Menschen, den wir als “Ebenbild Gottes“ sehen, sowie die Bewahrung der Natur, die wir als „Schöpfung Gottes“ verstehen, all das als Teil der eigenen Berufung zu leben. Neu zu entdecken, wie wunderbar es ist, aus der Hoffnung leben zu dürfen anstatt die Zukunft als „Schwarzes Loch“ zu sehen.
Man könnte vieles mehr über die Vorstellung vom guten Leben sagen, die das Christentum heute so attraktiv macht. Wir müssen nur mehr davon reden. Volfs Buch kann uns eine wichtige Anregung dafür sein.
Heinrich Bedford-Strohm in seinem Vorwort zu Miroslav Volfs Buch „Öffentlich glauben in einer pluralistischen Gesellschaft“, ein Buch, dass gerade jetzt unbedingt gelesen gehört, weil es klug und sachlich auf die Herausforderungen unseres Glaubens eingeht.
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