„Gemeinde im Burn Out! Über systemische Erschöpfung und die Idee eines Sabbatjahrs.“

Theologie

 

Kann eine Gemeinde gestresst sein? Oder sogar Burn Out haben? Diesen zentralen und spannenden Fragen geht Christhard Ebert, Pfarrer und theologischer Referent im EKD-Zentrum ‚Mission in der Region’ in seinem Artikel „Geist und Organisation“ nach. Die Grundfrage lautet: Können nicht auch soziale Systeme Anzeichen von Erschöpfung zeigen, erkranken oder ausbrennen? Wenn ja, was bedeutet dies für die Kirche als Organisation? Und klar, Christhard Ebert kommt in seiner Analyse zu dem Schluss, dass dies nicht nur möglich ist, sondern oftmals vorkommt. Er folgt dabei den Analysen verschiedener Organisationsberater (Gustav Greve und andere), die feststellen, dass jede Organisationsstruktur mit den äußeren (gesellschaftlichen) Veränderungsprozessen (externer Systemstress) und den inneren Kommunikationsprozessen (interner Ressourcenstress) in ständigen Herausforderungen stehen. Und dass Un-Aufmerksamkeit zu einer Un-Verbundenheit und zu einem Un-Gleichgewicht im System führen kann, was dann zwangsläufig zu einem Un-Wohlsein führt. So entstehen, verkürzt gesagt, gestresste Organisationen. Und das, was hier so technisch klingt, erleben meiner Beobachtung nach tatsächlich viele Gemeinden. Sie merken, dass die gesellschaftlichen Transformationen (Pluralisierung, Individualisierung, Privatisierung des Glaubens, Säkularisierung und Traditionsabbruch des Glaubens und der Sprache etc.) große Auswirkungen auf das Gemeindeleben haben und dass Formate, die über Jahrzehnte gut funktioniert haben, plötzlich weitgehend ins Leere laufen. Dies bringt die verschiedenen Gruppen der Gemeinde unter Stress, den Hauptamtlichen fehlen die Erfolge, die motivierten Ehrenamtlichen verlieren plötzlich ihre Motivation, die Leitung hinterfragt finanzielle Zuschüsse für die Arbeit, was wieder die Verantwortlichen für einzelne Kreise in ihrer geistlichen Haltung verletzt etc. Diese kleinen Beispiele können beliebig fortgesetzt werden. Jetzt beginnt parallel der innere Stresslevel, nämlich statt dass mehr miteinander kommuniziert wird, redet man weniger miteinander und mehr übereinander. Das System des „Un-Wohlseins“ beginnt auf allen Ebenen zu greifen. Da Gemeinde natürlich ein geistlicher Ort ist und alle Beteiligten Christen sind, spiegeln die unterschiedlichen geistlichen Deutungen des ganzen Prozesses einen weiteren Stressfaktor wieder. Und jetzt?

Im selben Buch stellt Leif Rother in seinem Beitrag „Wir sind dann mal bei uns“ einen Lösungsansatz vor In diesem spannenden Artikel beschreibt er, wie sie als Gemeinde von einer Veranstaltung zu nächsten „jagten“ und so gut diese auch waren, so anstrengend war es doch auch, sowohl für Ehrenamtliche wie auch für Hauptamtliche. Die Idee, als gesamte Kirchgemeinde ein Sabbatjahr zu machen, schien ebenso sonderbar wie auch plausibel. Ausschlaggebend war das Wort aus Jesaja 47,13 „Du hast dich müde gemacht mit der Menge deiner Pläne“. Und so begann ein insgesamt dreijähriger Prozess, bis die Gemeinde beschloss, im Jahr 2014 nur die notwendigsten Veranstaltungen durchzuführen (zum Beispiel lief die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen weiter) und statt dessen neue Räume für geistliche Erfahrungen zu machen. Gott soll gefeiert, Gremienarbeit auf das Notwendigste reduziert werden. Die Gemeinde hat eine ganze Menge daraus gelernt. Für mich war „Im Lassen entsteht Neues“ ein faszinierender Punkt. Erst durch den Abstand und das Loslassen wurden neue kreative und geistliche Prozesse angestoßen, aus denen sich neue Visionen und Formate entwickeln konnten. Ein weiterer Lerneffekt war die Stärkung der Lebendigkeit und Tiefe des gemeinsamen geistlichen Lebens. Die ganze Ausstrahlung der Gemeinde sowie die Gemeindeatmosphäre verbesserte sich, so dass die Gemeinde einladender und offener wurde. Ein weiterer Nebeneffekt war, dass die regionalen Veranstaltungen der Nachbargemeinden bewusster mitgenutzt wurden und somit sich die Gemeinschaft unter den Gemeinden verändert hat.

Beide Artikel sind aus dem Buch „Erschöpfte Kirche? Geistliche Dimensionen in Veränderungsprozessen“ – absolut lesenswert.

 

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