„Wann ist christliche Jugendarbeit erfolgreich?“ Zehn Erfolgsfaktoren

Evangelim, Spiritualität

Vor einigen Wochen habe ich diese Frage bei Facebook gestellt und 115 Leute haben sich sehr fundiert und kreativ an dieser kleinen Umfrage beteiligt! Vielen Dank.

Ich habe das ganze ausgewertet, geclustert und zu einem Artikel für das evangelische Bildungsmagazin “das Baugerüst” verarbeitet:

„Wann ist christliche Jugendarbeit erfolgreich?“ Das ist eine schwere und komplexe Frage, einige würden wahrscheinlich sogar sagen, dass es eine falsche Frage ist und würden Mutter Theresa zitieren, die einmal sagte: “Gott hat mich nicht dazu berufen erfolgreich, sondern treu zu sein.” Aber ist vielleicht nicht auch Treue ein Zeichen des Erfolges? Und natürlich wird die „ewige Debatte“ um Quantität und Qualität diskutiert und, dass man den Erfolg erst Jahre später sehen kann. Alles richtig und dann ist da ja auch noch die Frage, für wen es erfolgreich sein soll? Für die Jugendlichen? Die Mitarbeitenden? Die Kirche? Oder gar Gott? Trotz dieser Fragen, möchte ich mich dieser Ausgangfrage stellen und zehn Faktoren nennen, die eine Jugendarbeit aus meiner Sicht erfolgreich machen:

  1. Der biblisch-theologische Faktor: Wenn Jugendarbeit Gott in den Mittelpunkt stellt. Denn Gott unterscheidet eine evangelische Jugendarbeit von anderen guten Jugendarbeiten wie bspw. der Kommune oder der Freiwilligen Feuerwehr. Die gute Nachricht dieses Gottes an uns ist die Tatsache, dass es die Möglichkeit der Versöhnung und somit die Wiederherstellung von Gemeinschaft gibt. Und dies in einer Zeit, wo die kulturellen und sozialen Risse selbst in so einem reichen Land wie Deutschland immer sichtbarer werden und unterschiedliche Gruppen zunehmend exkludiert werden. Jugendarbeit stellt inmitten dieser Verschiebungen einen Raum dar, der nicht durch Abgrenzung gekennzeichnet ist, sondern offen für Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft ist. Daraus folgt eine neue Form von Gemeinschaft, die von der Kraft der erfahrenen Versöhnung lebt und diese wieder weitergeben kann. Sie hat eine Sprengkraft, die die großen Diskriminierungen dieser Welt überwinden kann, wie Paulus an die Gemeinden in Galatien und uns heute schreibt: In Christus gibt es nicht mehr Griechen und Juden (kulturelle Differenzen, Rassismus), nicht mehr Männer und Frauen (geschlechtliche Unterdrückung) und nicht mehr Freie und Sklaven (Ausbeutung durch Ungleichheit), in ihm sind sie allesamt eins, und die großen Ausgrenzungen können in dieser neuen Gemeinschaft überwunden werden.
  2. Beziehungen als Schlüsselfaktor: Einer der wichtigsten Faktoren für eine erfolgreiche Jugendarbeit ist meiner Meinung nach Beziehung. Gerade in einer immer technischeren und digitalisierten Welt, sehnen sich Jugendliche nach gelingenden Beziehungen. Jugendarbeit muss nicht mit den großen Formaten der Fernsehshows in Konkurrenz gehen, sondern einen Schutzraum für Jugendliche anbieten, in dem sie sich sicher fühlen und in dem Beziehungen untereinander (sowohl zur Peergroup als auch zu den Mitarbeitenden) möglich ist. So wichtig gute Programme und Konzepte für eine gelingende Jugendarbeit auch sind, der Entwicklungsraum für gelingende Beziehungen ist die Grundlage aller Jugendarbeit. Die Basis dafür ist die Annahme, dass Jugendliche als Ebenbild Gottes relationale Geschöpfe sind. Erfolgreiche Jugendarbeit fördert deshalb Beziehungen die mündigen Glauben und aktives Leben positiv fördern.
  3. Faktor Offen und Inklusiv: Wenn man diesen beiden kurzen theologischen Überlegungen folgt, kommt man gar nicht umher, festzustellen, dass ein Erfolgsfaktor die Offenheit evangelischer Jugendarbeit in ihrer ganzen Bandbreite meint. Dies schließt einzelne Zielgruppenangebote nicht aus, sondern möchte die Gesamtheit in Blick nehmen und die Frage stellen, welche sozialen Milieus zum Beispiel nicht gesehen und somit ausgeschlossen werden? Welche Hürden müssen Jugendliche überwinden, um Teil einer Gruppe zu werden (Sprache, Bildung, Kultur etc.)? Diesem Verständnis liegt die Annahme zu Grunde, dass alle Jugendlichen eigene Subjekte sind und somit zum vollständigen Gegenüber werden. Was uns zum nächsten Erfolgsfaktor bringt:
  4. Faktor Partizipation: Die Arbeit von und mit Jugendlichen bildet die methodische Mitte einer erfolgreichen Jugendarbeit. Dies bedeutet, dass Jugendliche Dialogpartner*innen und Mitgestalter*innen der Jugendarbeit sind. Jugendarbeit geschieht also vor allem mit den Jugendlichen und wird nicht für sie gestaltet, sondern lebt von ihren Beiträgen. Dies heißt automatisch, dass Jugendarbeit lebensnah und kontextuell geschieht, damit Jugendliche Teil und Gestalter*in der Jugendarbeit sein können. Erfolgreiche Jugendarbeit fördert deshalb immer das Ehrenamt.
  5. Persönlichkeitsbildend: Auch wenn die heutigen Übergänge von Kindheit auf Jugend und weiter ins Erwachsensein unscharf sind, können doch charakteristische Aufgaben und Entwicklungen von Jugendlichen identifiziert werden, die typisch für ihre Lebenslage sind. Eine erfolgreiche Jugendarbeit nimmt diese Entwicklungsphase ernst, geht darauf ein und fördert diese Entwicklungen, sowohl in der Persönlichkeitsbildung, dem Denken, der sexuellen Entwicklung, dem Aufbau einer individuellen Autonomie, welche sich im Jugendalter in der Spannung zwischen soziokultureller Selbstständigkeit und relativ starker ökonomischer Abhängigkeit bildet. Dies gilt auch für die Glaubensentwicklung, wo gültige religiöse Vorstellungen kritisch hinterfragt werden und sich ein eigenes individuelles Welt- und Glaubensbild entwickelt. Dies gilt auch für die Lebenswelt, in der Jugendliche heute aufwachsen, die geprägt ist von den großen Transformationsprozessen wie Globalisierung, Digitalisierung oder Pluralisierung. Dies bedeutet, dass Jugendliche in einer Gesellschaft aufwachsen, in der unterschiedliche Weltanschauungen und religiöse Traditionen gleichwertig nebeneinander stehen. Jugendarbeit fördert durch die Auseinandersetzung mit anderen Glaubensformen die eigene Entwicklung und Identität der Jugendlichen. Dies impliziert den nächsten Erfolgsfaktor:
  6. Faktor Kreativität und die Kraft des Neuen: Die Jugend hat das Recht neue Wege auszuprobieren und zu gehen. Sich gegen traditionelle Erfahrungen zu stellen und mit ihrer Sprache und ihren Mitteln mutig neue spirituelle Wege ausprobieren. Erfolgreiche Jugendarbeit ist deshalb auch immer innovative Jugendarbeit, die auf die gesellschaftlichen Veränderungen eingeht. Jugend ist der Seismograph, der auf Trends hinweist, sie lebt und in die eigene Arbeit kontextualisiert. Damit dies geschehen kann, braucht eine erfolgreiche Jugendarbeit Gestaltungsräume, die sich in tatsächlichen Räumen, aber auch in Strukturen der Mitbestimmung und Finanzbudgets ganz praktisch zeigen.
  7. Faktor Kirche: Jugendarbeit ist immer auch Teil der größeren kirchlichen Arbeit und so sollte die Anknüpfung an kirchliche Arbeitsfelder wie der Gemeindepädagogik, der Diakonie oder der Bildungsarbeit gegeben sein. Für unser Motto könnte man deshalb sagen, dass erfolgreiche Jugendarbeit immer auch eine erfolgreiche kirchliche Arbeit ist. Jugendarbeit braucht die Gesamtkirche und umkehrt. Kirche ist letztendlich immer ein Ausdruck Christi oder wie Bonhoeffer es sagt: „Die Kirche ist der gegenwärtige Christus selbst.“ Damit gewinnen wir einen sehr vergessenen Gedanken über die Kirche zurück. Wir sind gewohnt, von der Kirche als von einer Institution zu denken. Jugendarbeit hat den Auftrag Beziehung vor Institution und Organismus vor Organisation zu leben. Damit erinnert sie die Kirche an ihren ureigensten Auftrag. Dabei wird der Erfolg von Jugendarbeit eben nicht nur im Augenblick gemessen, sondern auch in ihrer Nachhaltigkeit. Dies gilt sowohl für die Entwicklung der einzelnen Jugendlichen als auch die Entwicklung der Jugendarbeit insgesamt. Dabei wird es in Zukunft immer weniger Identifikation über die Kirchenzugehörigkeit geben, auch deshalb ist
  8. Faktor Jugendarbeit als Haltung: Miteinander leben lernen heißt aber, nicht nur auf die eigenen Bedürfnisse achten, sondern Gott zu vertrauen, dass ich selbst nicht zu kurz komme, wenn ich mich um den Anderen kümmere. Das Kapital jugendlichen Alters ist erlebte Anerkennung und die Förderung der eigenen Gaben. Dies kann in der Großgruppe geschehen, aber auch in anderen kleineren Formen wie zum Beispiel Mentoring. Durch einen Schutzraum können sich Jugendliche entwickeln, ausprobieren und wachsen, ohne den Druck, den öffentliche, oftmals ökonomisierte Plätze wie Schule etc. ausüben.
  9. Faktor Teilhabe: Jugendarbeit als Teil des Gemeinwesens ist öffentlich und missionarisch. Jugendarbeit kümmert sich nicht nur um sich selbst, sondern ist als verlässlicher Kooperationspartner im Gemeinwesen verankert. Jugendarbeit ist dabei im besten Sinne missionarisch. Mission bedeutet die Bewegung Gottes zur Welt hin. Die Liebe und Barmherzigkeit Gottes zu erleben und zu teilen. Erfolgreiche Jugendarbeit ist immer Teil dieser Mission Gottes und teilt und lebt diese untereinander, ist daher sprachfähig und einladend. Mission und Zeugnis sind dabei auch ein Bestandteil des interreligiösen Dialogs im Gemeinwesen und lädt ein, den eigenen und den Fremden Glauben zu feiern.
  10. Faktor Ökumene: Erfolgreiche Jugendarbeit denkt nicht in festen konfessionellen Grenzen, sondern ökumenisch. Jugendarbeit sucht das verbindende und sieht sich als Reich-Gottes-Arbeit, die mutig auch bestehende Grenzen überschreitet. Dies bedeutet gerade, dass dadurch eine eigene evangelische Identität gefördert wird, denn die Auseinandersetzung mit verschiedenen Frömmigkeitsstilen und Konfessionen ist ein wichtiger Faktor um die eigene Mündigkeit im Glauben zu fördern.

Und ja, diese zehn Faktoren sind nicht vollständig, sollen und können sie auch nicht sein, aber sie bilden eine erste solide Grundlage für eine erfolgreiche Jugendarbeit.

Was fehlt deiner Meinung?

5 Comments

  1. Günter Lücking

    Danke Tobias, ein zutreffender Artikel. Anfragen möchte ich, warum ist manche Jugendarbeit scheinbar wenig erfolgreich, obwohl sie weitgehend nach diesen Prinzipien arbeitet? Und welche Rolle spielt der personelle Faktor, eine Vielfalt an Persönlichkeiten, aber auch das Vorhanden sein oder Fehlen von Leuten mit Charisma?

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    • Ja, die Frage der Person spielt natürlich eine große, wenn nicht sogar eine entscheidende Rolle, aber Genua deshalb habe ich es draußen gelassen. 😉

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  2. Stefan Taut

    100% d´accord. Was heißt das für die Konfirmandenarbeit und das Bild der Pfarrer, die das meistens noch betreiben, wenn nicht mehr die Institution sondern Beziehung im Vordergrund steht? Da müssen die Kirchen noch ne Menge Hausaufgaben machen, bis sie zu den 10 Punkten heranreichen.

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  3. Eddy Grundmann

    Ich empfinde die ersten beiden Faktoren als grundlegend. Ich sehe eine große Herausforderung eine erfolgreiche Jugendarbeit aufzubauen, wenn eine Kirche/Gemeinde zu sehr an ihren Traditionen oder Formen festhält und wünsche mir viel mehr Kirchen und Gemeinden, die dazu bereit sind sich mit ihren Formen der Zeit anzupassen ohne den Inhalt und Kern des Evangeliums zu verändern. Dem ist nichts hinzuzufügen und es ist auch nicht notwendig etwas von dem Evangelium wegzulassen. Ich erlebe eine heranwachsende junge Generation, die sich nach Leitern sehnt, die ihnen eine klare Richtung vorgeben und ihr Leben authentisch vorleben können.
    Das Problem ist nur, dass fähige Leiter nicht nur in der Gemeinde/Kirche benötigt werden, sondern auch im beruflichen Leben reichlich Aufstiegschancen erleben und ihnen dadurch weniger Zeit bleibt sich in Gemeinde zu investieren

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