“Gott ist aus der Kirche ausgetreten”

Theologie

Im Zuge unserer Kirchenstudie zum Thema “Gehen oder bleiben?” bin ich auf diesen schönen Text von Hanns Dieter Hüsch gestoßen:

 

RELIGIÖSE NACHRICHT – ein Hirtenbrief

Als die Nachricht um die Erde lief,
Gott sei aus der Kirche ausgetreten,
wollten viele das nicht glauben.
»Lüge, Propaganda und Legende«, sagten sie,
bis die Oberen und Mächtigen in der Kirche
sich erklärten und in einem sogenannten Hirtenbrief
folgendes erzählten:

»Wir, die Kirche, haben Gott, dem Herrn,
in aller Freundschaft nahgelegt,
doch das Weite aufzusuchen,
aus der Kirche auszutreten und gleich alles
mitzunehmen, was die Kirche schon immer gestört.
Nämlich seine wolkenlose Musikalität,
seine Leichtigkeit und vor allem
Liebe, Hoffnung und Geduld.
Seine alte Krankheit, alle Menschen gleich zu lieben
seine Nachsicht, seine fassungslose Milde,
seine gottverdammte Art und Weise alles zu verzeihen
und zu helfen, –
sogar denen, die ihn stets verspottet;
seine Heiterkeit, sein utopisches Gehabe,
seine Vorliebe für die, die gar nicht an ihn glauben,
seine Virtuosität des Geistes überall und allenthalben,
auch sein Harmoniekonzept bis zur Meinungslosigkeit,
seine unberechenbare Größe und vor allem,
seine Anarchie des Herzens – usw. …
Darum haben wir, die Kirche, ihn und seine große Güte
unter Hausarrest gestellt,
äußerst weit entlegen, daß er keinen Unsinn macht,
und fast kaum zu finden ist.«

Viele Menschen, als sie davon hörten,
sagten: »Ist doch gar nicht möglich!
Kirche ohne Gott?
Gott ist doch die Kirche!
Ist doch eigentlich gar nicht möglich!
Gott ist doch die Liebe,
und die Kirche ist die Macht,
und es heißt: ,Die Macht der Liebe!´
Oder geht es nur noch um die Macht?!«
Andere sprachen: »Auch nicht schlecht,
nicht schlecht; Kirche ohne Gott!
Warum nicht, Kirche ohne Gott!?
Ist doch gar nichts Neues,
gar nichts Neues!
Gott kann sowieso nichts machen.
Heute läuft doch alles anders.
Gott ist out, Gott ist out!
War als Werbeträger nicht mehr zu gebrauchen.«
Und:
»Die Kirche hat zur rechten Zeit das Steuer
rumgeworfen.«
»Kirche ohne Gott!« das ist der Slogan.
Doch den größten Teil der Menschen
sah man hin und her durch alle Kontinente ziehn,
und die Menschen sagten:
»Gott sei dank!
Endlich ist er frei.
Kommt, wir suchen ihn!«

Hanns Dieter Hüsch

 

4 Comments

  1. Darf ich noch eine weitere wunderbare passend dazu ergänzen…

    Eine Geschichte von Gott
    Als Gott nach langem Zögern wieder mal nach Haus ging, war das Wetter schön, sagenhaftes Wetter. Und das Erste, was Gott tat, war die Fenster sperrangelweit zu öffnen um sein Häuschen zu lüften.

    Und Gott dachte: „Vor dem Essen werd ich mir noch kurz die Beine vertreten„.
    Und er lief den Hügel hinab zu einem Dorf von dem er genau wusste, dass es da lag. Und das Erste, was Gott auffiel war, dass da mitten im Dorf während seiner Abwesenheit etwas geschehen war, was er nicht erkannte.
    Mitten auf dem Platz stand eine Masse mit einer Kuppel und einem Pfeil, der pedantisch nach oben wies. Und Gott rannte mit Riesenschritten den Hügel hinab, stürmte die monumentale Treppe hinauf – und befand sich in einem unheimlichen, nasskalten, halbdunklen, muffligen Raum.
    Und dieser Raum hing voll mit allerlei merkwürdigen Bildern. Viele Mütter mit Kind und Reifen über dem Kopf – und ein fast sadistisches Standbild von einem Mann an einem Lattengerüst. Und der Raum wurde erleuchtet von einer Anzahl fettiger, gelblich weißer triefender Substanzen aus denen Licht leckte.
    Er sah auch eine höchst unwahrscheinliche Menge kleiner Kerle herumlaufen, mit dunkelbraunen und schwarzen Kleidern und dicken Büchern unter müden Achseln, die selbst aus einiger Entfernung leicht modrig rochen.
    „Komm mal her, was ist das hier? Was ist das hier?“
    „Das ist eine Kirche, mein Freund. Das ist das Haus Gottes, mein Freund.“
    „Ahh, wenn das hier das Haus Gottes ist, Junge, warum blühen dann hier keine Blumen, warum strömt denn hier kein Wasser und warum scheint hier die Sonne nicht, Bürschchen?!?“
    „Das weiß ich nicht.“
    „Kommen hier viele Leute her, Knabe?“
    „Na es geht in letzter Zeit ein bisschen zurück, mein Freund.“
    „Und woher kommt das deiner Meinung nach, oder hast du keine?“
    „Es ist der Teufel. Der Teufel ist in die Menschen gefahren. Die Menschen denken heutzutage, dass sie selbst Gott sind, und sitzen lieber auf ihren Hintern in der Sonne.“
    „Aha!“
    Und Gott lief fröhlich pfeifend aus der Kirche auf den Platz. Da sah er auf einer Bank einen kleinen Kerl in der Sonne sitzen. Und Gott schob sich neben das Männlein, schlug die Beine übereinander und sagte: „Kollege“!

    Hermann van Veen

    Antworten
    • Dank an Sven-Erik für die Transscription des Textes von Herman van Veen. Ich habe ihn nur als Audio-Datei.

      Antworten

Leave a comment