“Wenn Kirche sich aufmacht hörende Kirche zu werden. Bericht und Ergebnisse vom Reformprozess der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck.”

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Keine Frage: Die Kirchen in diesem Land sind in der Krise. Und das hat vielfältige Gründe, die aktuell reichlich analysiert und diskutiert wurden. Das ist spannend und richtig und wichtig, aber was vielleicht noch wichtiger ist: Wie reagiert Kirche darauf? Und spätestens hier scheiden sich die Geister. Die einen fordern mehr Innovationskraft, die anderen eine Rückkehr zur Glaubensbasis und die Dritten wollen wenigstens das, was jetzt noch da ist bewahren und verwalten. Und mitten in diesem vielstimmigen Chor der Verbesserungsvorschläge geht eine Kirche einen ganz anderen Weg: Sie hört zu. Klingt erstmal nicht sehr spektakulär, aber ist in unserer polarisierenden und aktivistischen Zeit eine Besonderheit. Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) hat beschlossen, im Kontext ihres Reformprozesses ein Jahr lang ihren Mitgliedern erstmal zuzuhören. Kein einfaches Unterfangen bei fast 800.000 Mitgliedern und 1000 Kirchgemeinden, denn Kirche ist mehr als ein Sonntagmorgengottesdienst und spiegelt sich beispielsweise in der vielfältigen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Familien und Senior:innen wider, in diakonischer Hilfe oder Bildungsarbeit, in missionarischen Aktivitäten und der Arbeit mit Menschen mit Behinderung, in Bibelwochen oder Ökumene und natürlich noch vielem mehr. Um diese vielfältige Kirche abzubilden, wurden diese unterschiedlichen Bereiche zunächst in sechs Grundaufgaben eingeordnet, die das Kirchesein beschreiben : (1) Kirche erzählt vom Glauben, (2) Kirche bringt Menschen zusammen, (3) Kirche ist die christliche Stimme in der Gesellschaft,  (4) Kirche begleitet Menschen, (5) Kirche eröffnet Räume und (6) Kirche hilft Menschen in Not.

Aus all den Bereichen sollte Menschen zugehört werden, unabhängig wie nah oder fern sie sich selbst der Kirche zuordnen. Ja, es sollte sogar darauf geachtet werden, dass möglichst viele unterschiedliche Menschen zu Wort kommen. Geleitet werden sollte der ganze Prozess des Zuhörens von drei zentralen Fragen: a) Was brauchen Menschen von uns als Kirche? b) Wo braucht Gott uns jetzt? Und c) Was ist in unserem Kontext heute unser Auftrag einer sich missional verstehenden Kirche? Um diese Fragen zu klären, wurde ein Prozess des vielstimmigen Hörens eröffnet, der sich in drei Zugangswege teilte:

  1. Der Gremienweg: Hier wurde auf die Hochverbundenen gehört, in den Kirchenkreisen und Kreissynoden.
  2. Der Weg der Großgruppenkonferenzen: Hier wurden Mitdenker:innen aus unterschiedlichen Ebenen der Kirche mit Repräsentant:innen aus Wirtschaft Kultur, Öffentlichkeit, Engagierte in Bildung, Gemeinwesen und Diakonie etc. miteinander ins Gespräch gebracht.
  3. Der „digitale“ Weg der Fokusgruppen: Hier wurde Menschen, die oft in Halbdistanz/der Ränder zum kirchlichen Leben stehen, zugehört und zwar aus den Bereichen a) Kinder/Jugend/Junge Erwachsene, b) Ökumene/Diakonie und c) Zivilgesellschaftliche Akteur:innen.

Neben Vertreter:innen der EKKW wurde die Kommunikationsexpert:innen von Lumen für die Durchführung und das Forschungsinstitut empirica der CVJM-Hochschule für die Auswertung mit ins Boot geholt. Es gab 29 verschiedene Veranstaltungen mit 1512 Teilnehmenden, die im Kontext der drei Wege an verschiedenen Formaten teilgenommen haben. Alle Ergebnisse wurden dokumentiert und analysiert und liegen in verschiedenen Formaten vor. Dabei ist es wichtig wahrzunehmen, dass die Ergebnisse in der Breite so vielstimmig wie die Teilnehmenden waren und es auf der einen Seite erstrebenswert war, die Ergebnisse nicht zu harmonisieren, sondern sie auch in ihrer Widersprüchlichkeit stehen zu lassen und auf der anderen Seite auch den Versuch zu unternehmen, Ergebnisse zu clustern und zu kategorisieren, um so auch zu Priorisierungen und Verallgemeinerungen zu kommen. Deshalb lohnt es sich die Ergebnisse in Gänze zu betrachten, dazu werden die verschiedenen digitalen Zugänge verlinkt. Die wichtigsten Ergebnisse sollen nun skizziert werden.

 

  1. Zentrale Ergebnisse der Kreissynoden:

Die Identität der Kirche spielt in den Kreissynoden immer wieder eine große Rolle. Dies zeigen Fragen wie: „Was ist eigentlich unsere Botschaft? Wofür brennen wir? Was ist der christliche ‚Markenkern‘? oder Statements wie „Kirche muss dabei bibelorientiert sein“ und „eine dienende Haltung haben“. Dass der Kern der Kirche die Kommunikation des Evangeliums ist, scheint weitestgehend uneingeschränkt vorausgesetzt zu werden. Gefordert wird dagegen einhellig, dass die Kirche ihre Art zu kommunizieren in Zukunft verändern muss. Durchweg wird festgestellt, dass die Kirche ihren „Kirchensprech“ verlassen muss, um möglichst viele Menschen zu erreichen: „Kirche muss sich fragen: ‚Verstehen die anderen, wovon wir reden? Kommunikation ist das A und O in einem solchen Prozess. Des Weiteren besteht eine große Einigkeit, dass es eine dringende Reform der evangelischen Kirche braucht. „Kirche muss einen tiefgreifenden Reformprozess zur Moderne durchlaufen“ oder „Kirche muss reformiert werden“ sind nur zwei Beispiele von vielen.

“Kirche muss mutig in die Veränderung gehen und auch Menschen außerhalb der formellen, kirchlichen Strukturen in den Prozess miteinbeziehen.”

Daraus kann die grundsätzliche Überzeugung der Kirchenkreise abgeleitet werden, dass die Kirche Veränderung braucht. Aber es wird auch auf die Überlastung von Haupt- und Ehrenamtlichen hingewiesen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Wunsch nach einer größeren Bedürfnisorientierung innerhalb der Kirche. Dabei fordern die Kirchenkreise unter anderem eine stärkere Zielgruppenorientierung und das Ernstnehmen der Frage Jesu „Was willst du, dass ich dir tue?“. „Kirche muss nahe bei den Menschen sein. Nicht die Zahlen zählen, sondern jede einzelne Begegnung“. Als letztes wesentliches Thema kann Kirche als Heimat herangezogen werden. Der Wunsch danach, dass Kirche ein Ort der Gemeinschaft, ein Ort der Beheimatung wird, zieht sich durch alle Kirchenkreise. So träumen manche:

“Kirche sollte offen wie ein Biergarten sein.”

Kirche wird so zur ‚Gemeinschaft von Gottsuchenden‘ und soll ‚authentisch, ehrlich und mittendrin‘ sein“ und soll so „näher an Menschen und noch mehr gemeinschaftsbildend sein“.

 

  1. Zentrale Ergebnisse der Großgruppen:

Die Diskussionen in den Großgruppen brachten eine Fülle von Ergebnissen und diese können zusammengefassten in dem Claim „Kirche lebt Evangelium im Sozialraum”, dabei wurden vor allem drei Punkte markiert: a) Kirche soll sichtbarer und hörbarer sein, b) sie soll sich mehr den Menschen zuwenden und c) sie soll die christliche Botschaft leben.  Evangelium und Menschen gehören zusammen: „Wem vermittle ich die Botschaft wie – genau hinhören, was die jeweilige Zielgruppe braucht und möglichst viel Handwerkszeug haben, um die Botschaft für deren Lebensalltag verständlich zu vermitteln.“

“Kirche bietet Begleitung an Wendepunkten des Lebens; in zeitgemäßen Formen, auf verschiedenen Kanälen, holt die Menschen da ab, wo sie sind, ist digital und analog auffindbar.”

Besonders betont wurde außerdem, dass Kirche nicht auf sich selbst zentriert sein und nur den eigenen Selbsterhalt im Fokus haben soltle, sondern in den Sozialraum gehen und Leben und Glauben mit den Menschen teilen soll – je nach ihren Bedarfen und dabei „neue Räume für religiöse Erfahrungen erschließt“. Dies zeigt sich ganz praktisch, indem Kirche sichtbar ist und sich in der Gesellschaft engagiert. Dazu braucht es aber kooperative Kontaktflächen und das Grundverständnis, dass Kirche für alle Menschen da und offen ist. Kirche soll „aufsuchende Kirche“ (missionale) sein.

“Ich nehme mit, dass ich wahrnehme, dass Kirche die Ohren geöffnet hat, die Augen geöffnet hat, und hoffe, dass Kirche nicht nur bewegt, sondern sich auch bewegt und wir durch gutes Handeln einen guten Weg finden werden, um all unser Tun und unsere Aufgaben und Botschaften hinauszutragen.”

Die Gesamtergebnisse der Kirchenkreise und Großgruppen gibt es hier.

 

  1. Zentrale Ergebnisse der Fokusgruppen:

Die vielfältigen Ergebnisse der 15 Fokusgruppen können in sieben zentralen Aussagen und konkreten Forderungen zusammengefasst werden:

Neue Medien bespielen: Fast alle Gruppen betonten die Notwendigkeit der Kommunikation – sei es von Geleistetem, von Angeboten, von Werten. Viele Gruppen hoben die Notwendigkeit einer frischen, alltäglicheren Sprache und die Unumgänglichkeit, soziale Medien besser zu nutzen, hervor. Vor allem junge Menschen sahen als großen Schwachpunkt, wie neue Medien bisher genutzt werden.

“Man muss nicht alles mitmachen, aber die Kirche könnte sich viel mehr zeigen. Beispielsweise Talks initiieren (Bischöfin live bei Instagram und dann auf Fragen eingehen), größere Events auf Instagram hosten, oder auch Andachten mit Jüngeren veranstalten.”

Christliches Profil klarer betonen: Trotz der vergleichsweise geringen Potenzialzuschreibung für die Grundaufgabe „vom Glauben erzählen“ braucht die christliche Botschaft und Perspektive stärkere Präsenz. Gerade im öffentlichen Wirken zu politischen Themen werden eigene Beiträge der Kirche gewünscht, die den christlichen Bezug noch klarer erkennen lassen.

Formate für 20 bis 40-Jährige entwickeln: Die Kinder- und Konfi-Zeit wurde überwiegend geschätzt, viele betonten auch die Bedeutung von Feiertagen und Kasualien. Allerdings wurde stets auf eine Lücke für die jungen Erwachsenen und werdenden Familien hingewiesen. Da gibt es zu wenig Angebote, sowohl inhaltlich als auch von Format und Zeitpunkten. Hier wird ein deutlicher Bedarf angemeldet.

“Für Junge Erwachsene gibt es wenig Angebote und man ist etwas lost.”

Diakonie strategischer als Gewicht nutzen: In der öffentlichen Wahrnehmung gewinnt die Diakonie der Kirche viele Pluspunkte. Dieses Gewicht darf durchaus mehr genutzt werden und der kirchliche Bezug deutlicher werden. Eine stärkere Kollaboration und strategische Ansätze könnten beiden Seiten guttun.

Ehrenamt upgraden: Die Mitarbeit in Kirchen wird für Nicht-Angestellte zu oft als Hilfskraft für Pfarrer:innen wahrgenommen. Auch sind kirchliche Entscheidungswege undurchsichtig und unklar, so dass Engagement immer wieder gedämpft wird. Ein strukturell-unterstützender Ansatz, der auf Aktivierung von Ehrenamt ausgelegt ist, könnte viel Gutes bewirken.

Auf Menschen zugehen, aufsuchend sein: Fast unisono wurde das Kriterium „aufsuchend” benannt. Kirche muss sich eingestehen, dass die Menschen nicht mehr von alleine kommen. Es braucht Aktivität, ehrliches Interesse und Zuhören, um in Austausch zu treten und Werte zu vermitteln.

Die Chance der Präsenz und Infrastruktur nutzen: Das große Gewicht der Kirche sind die räumliche Breite und die zahlreichen Immobilien. Diese sollten nicht nur innerkirchlich genutzt werden, sondern für Begegnung, Austausch und Unterstützung geöffnet und angeboten werden.

Dass es bei allen Zusammenfassungen auch eine große Diskrepanz zwischen den Forderungen einzelner Fokusgruppen gibt, soll die folgende Grafik zeigen. Pink steht für eine starke Zustimmung, rosa für eine leichte Zustimmung (wurde erwähnt), weiß dafür, dass es gar nicht vorkam/erwähnt wurde:

 

Ein Ergebnis ist auch, dass sich vor allem Kinder und Jugendliche kaum von den Fragen der Kirche ansprechen lassen, weil diese zu weit von ihrer Lebens- und Sprachwelt entfernt ist.

So sind mehrere geplante Fokusgruppen mit Jugendlichen trotz hoher Bemühungen nicht zustande gekommen, was auch ein wichtiges Ergebnis ist.

Die Gesamtergebnisse der 15 einzelnen Fokusgruppen gibt es hier.

Eine kompakte Zusammenfassung der Ergebnisse drei Wege mit Empfehlungen und Einsichten gibt es hier.

 

„The Medium is the Message“: Warum das Hören an sich schon wertvoll war

Neben den unglaublich vielfältigen Ergebnissen gab es viele Rückmeldungen auf den Prozess selbst. So schwer es war, Menschen am Rande der Kirche zur Beteiligung zu motivieren, so positiv war die Bereitschaft und das Feedback. Durch die breite Beteiligung wurde so die Akzeptanz und Identifikation zur Kirche neu gestärkt und bei manchen neu entfacht. Aber es gab auch Kritik, dass die Kommunikation gestärkt werden muss und dass es eine Skepsis gibt, ob aus den Ergebnissen echte Konsequenzen erwachsen. Daran wird sich die EKKW auch messen lassen müssen. Trotz der kritischen Einstellung gegenüber dem von der Landessynode angestoßenen Verständigungsprozess, wird kaum in Frage gestellt, dass es Reformen braucht.

 

Was bedeutet das jetzt? Und wie geht es weiter?

Spitzen wir dies zu, dann lassen sich daraus folgende erste Interpretationen für die zukünftige Arbeit ableiten.

Kommunikation – Das Evangelium will verstanden werden

Es wird sehr viel über Kirchenaustritt gesprochen, der Verständigungsprozess hat aber auch gezeigt, dass die Kirche aus dem Leben vieler Gläubigen ausgetreten ist. Das, was die Kirche sagt und auch, wie sie es sagt, hat immer weniger Relevanz im Leben von Menschen. Deshalb muss überlegt werden, was die gute Nachricht aus der Sicht der Menschen ist und wie eine Kontextualisierung in Wort und Tat aussehen kann. Dazu gehört auch, dass Kirche die Lernerfahrungen aus den letzten zwei Jahren (Coronazeit) ernst und aufnimmt und die digitale Präsenz stärkt und in den Sozialen Medien vertreten und verstehbar ist.

Strukturen sollen dem Inhalt dienen

Die Organisationsstruktur der EKKW hat über viele Jahrzehnte eine gute Grundlage für kirchliches Leben dargestellt, aber jetzt stellt sich die Frage: Wo bildet die jetzige Struktur ein Bild von Kirche ab, dass es so in Zukunft nicht mehr gibt? Wir leben in Zeiten von großen Transformationsprozessen, die alle Organisationen zu Veränderungen zwingen, Kirche ist da keine Ausnahme. Dies bedeutet, dass kirchliche Strukturen überprüft und verändert werden müssen. Dabei kam vor allem die Forderung nach mehr Transparenz, nach flacheren Hierarchien und nach Bürokratieabbau. Es seien zu viele kirchliche „Ebenen“ und Kirche und Diakonie sollten strukturell mehr verbunden werden. Nicht Hierarchien, sondern Netzwerke sollen zum Beispiel Ehrenamtliche fördern. Dazu braucht es mehr Mut, die Parochie zu öffnen, um so neue kirchliche Orte, Experimente und Innovationsraum zu ermöglichen. Dabei ist allen bewusst, dass die nächsten Jahre eine Spannung zwischen den Aufgaben der Geburtshilfe des Neuen (von dem man ja noch gar nicht weiß, wie es werden wird) und dem Begleiten eines würdevollen Verabschiedens manches Liebgewonnenen bedeutet.

Gemeinschaft(en) stärken

Kirche ist Kirche mit den Menschen vor Ort (im Sozialraum). Dies ist nicht neu und doch muss es immer wieder neu in den gesellschaftlichen Veränderungen gelebt werden. Auch hier ist der Eindruck von vielen, dass viele Formen der kirchlichen Vergemeinschaftung durch Sprache, Rituale und Themen eine implizite Exklusion mit sich bringen, was vor allem für die junge Generation gilt. Prozesse der Vergemeinschaftung und das gemeinsame Leben des Evangeliums sind keine Selbstläufer, sondern müssen immer wieder neu je nach Situation und Kontext eröffnet werden. So kann eine Gemeinschaft Identität und Heimat bieten. Ein besonderer Ausdruck kirchlicher Gemeinschaft und ein Auftrag des Evangeliums ist dabei die Zuwendung und Inklusion von übersehenen und marginalisierten Menschen durch diakonisches und seelsorgerliches Handeln.

Jugend – Kirche verliert die neue Generation

Jugendliche und junge Erwachsenen kommen im kirchlichen Leben kaum noch vor und werden von der Kirche kaum noch erreicht. Es gibt einen eklatanten Angebotsmangel in der Arbeit mit jungen Erwachsenen (Ausnahme ESG) und viele Jugendliche und junge Erwachsene verstehen Kirche nicht (mehr). Hier muss grundsätzlich über Inhalte, Struktur und Sprache diskutiert werden und zwar mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst. Was sind kirchliche Identitymarker für die neue Generation? Die Mitgliedschaft ist es beispielsweise nicht mehr und auch viele Kasualien fallen weg. Analoge und digitale Teilhabe eröffnen dagegen neue Wege der Identifikation.

 

Und jetzt? Mut den Wandel aktiv zu gestalten

Neben den möglichen Interpretationen und verschiedenen Ansatzpunkten geht es aus meiner Sicht auch um eine Haltung, denn eines zeigen die Ergebnisse deutlich: Es geht um viele grundsätzliche Veränderungsprozesse, aber die konkreten Umsetzungen müssen noch folgen. Dazu braucht es aber eine klare Arbeit an der Einstellung, dass Erneuerung und Innovation gemeinsam als EKKW auf den verschiedenen Ebenen möglich sind. Wir brauchen dabei gemeinsame Tatkraft und eine Experimentierlust als Haltung für die nächsten Jahre. Die Unterbrechung unserer Handlungsroutinen durch Corona waren hilfreich, um zu sehen, dass wir reformfähiger sind als wir vielleicht selbst dachten.

Dazu kommt, dass Kirche selbst mitten in einem Wandel von der Volkskirche zu einer „Kirche der Völkchen“ ist. Mit „Völkchen“ meine ich die zunehmenden gesellschaftlichen, sozialen und sprachlichen Gruppierungen in verschiedene Milieus. Wir brauchen in Zukunft mehr Vielfalt als vielfach das Gleiche. Denn Monokulturen sind nicht nur in der Biologie anfällig, sondern auch in unserer pluralen Gesellschaft.

Es braucht also ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Vision auf das die unterschiedlichen Gruppierungen zugehen und diese zusammenhält. Nur so kommen wir von der Analyse über die vielfältigen Ideen in einen greifbaren und kriteriengeleiteten Umsetzungsprozess. Die finanziellen Herausforderungen werden dabei immer wieder Lücken in die Ideen und Visionen reißen und Kirche muss lernen diese Lücken auszuhalten, denn sie sind auch neue Freiräume, die nicht zu schnell durch Fusionen und Reduktionen geschlossen werden dürfen.

Und das geht nur gemeinsam, wir brauchen die unterschiedlich gewachsenen Identitäten und Frömmigkeitsstile in der Kirche. Wir brauchen aber auch und gerade die Menschen, die bisher nicht so reingepasst haben, denn sie weisen den Weg in das, was bisher nicht gedacht werden konnte. Dafür braucht es aber Ambiguitätstolereanz und den Mut, Innovationsräume zu gestalten, die vom bisherigen System Kirche nicht eingeengt werden. Weil die Zukunft nur gemeinsam zu stemmen ist, gibt es für mich kein: „Die einen hier – und die anderen da“, „Junge hier und Alte da“, Parochie hier, Neues da“. Nein, die Zukunft heißt nicht entweder oder, sondern sowohl als auch. Das eigentlich Neue ist das und! Weil Kirche immer eine Kirche der Vielfalt ist und nur gemeinsam die Reformaufgabe der Zukunft zu bewältigen ist.

Ein Lernfeld aus der Vergangenheit ist sicher, dass innerhalb der evangelischen Kirche viele kluge Menschen sind und dass diese dazu neigen, Prozesse zu zerreden, gerade, wenn die Aufgaben groß, die Gestaltungsmöglichkeiten vielfältig und Entscheidungen auch schmerzhaft sind. Für die Glaubwürdigkeit des Prozesses braucht es ein Fortschrittserleben, vor allem für diejenigen, die jetzt beteiligt waren durch Kommunikation und Einbeziehung in den weiteren Umsetzungsprozess.

Die EKKW ist losgegangen, hat einen Reformprozess gestartet und hat jetzt ein Jahr zugehört, was ein wirklich mutiger und bedeutender Schritt war. Jetzt müssen weitere folgen …

 

 

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