„Das Buzzwort ‚Ganzheitlichkeit‘ endlich mal mit Leben füllen! Part 3: Die erste Gemeinde.“

Theologie



Diese Woche war ich in Berlin und habe am Treffen des deutschen Zweigs der Lausanner Bewegung, der Koalition für Evangelisation, teilgenommen. Neben guten Vorträgen von Prof. Dr. Heinzpeter Hempelmann (Soziologische Gegenwartsanalyse), Dr. Peter Aschoff (Aufstieg des Christentums) und Prof. Dr. Johannes Reimer (Kontextanalyse) wurde vor allem über den Zusammenhang von ‚Wort und Tat‘ bzw. ‚Evangelisation und Diakonie‘ diskutiert. Die Gespräche verliefen durchaus kontrovers, aber sehr konstruktiv. Ich musste dabei öfters an diese „Blogreihe‘ denken und an die erste Gemeinde, die vieles von dem diskutierten einfach gelebt hat.
Die Entstehung und Entwicklung der ersten Gemeinde in Jerusalem (Apostelgeschichte 2-6) liest sich wie ein spannender Roman mit vielen Höhen und Tiefen. Sehr ehrlich wird die Entwicklung der ersten Gemeinde beschrieben und wir finden die verschiedenen Aspekte der Erlösung und Transformation, wie wir sie bisher erarbeitet haben, deutlich wieder. Sie zeigen, dass es sich nicht um ein rein geistliches Geschehen handelt, sondern um verschiedene Veränderungsprozesse von großer Dynamik. Die Erneuerung der Gottesbeziehung durch die direkte Beziehung durch den Heiligen Geist (Apg 2,1-12; 4,33) zeigt sich wieder in den unterschiedlichen Aspekten:
1.   Politische Aspekte: Öffentliche Treffen im Vorhof des Tempels. Öffentliche Verkündigung und Armenspeisung. Ekklesia entsteht – eine öffentliche Bürgerversammlung, es gab Aufruhr, Gerichtsverhandlungen etc. (Apg 4,12; 7,1).
2.   Soziale Aspekte: Die sozialen Barrieren wurden aufgelöst und alle waren aufgefordert einander die gleiche Stellung zu geben, egal ob Arm oder Reich, Mann oder Frau, Jude oder Heide (Apg 4,32-37).
3.   Ökonomische Aspekte: Gemeinde als Gütergemeinschaft, alles wurde geteilt. Armenspeisung der Witwen, wahrscheinlich wurden täglich tausende griechische Witwen durch die Gemeinde versorgt (Apg 6,1-7).
4.   Kulturelle Aspekte: Leben teilen und gemeinsam Essen waren zentrale Wesensmerkmale der ersten Gemeinde. Hauskirchen entstanden, die Hunderte von Menschen angesprochen haben, was auch das kulturelle Leben vom Einkaufen bis zu den Festen verändert hat (Apg 2,42-47).
5.   Rechtliche Aspekte: Das mosaische Gesetz war für die Heidenchristen als Teil des neuen Gottesvolkes nicht bindend, sie mussten sich nicht mehr beschneiden lassen, um zum Gottesvolk zu gehören (Apg 3,11-26; Apg 15,1-35).
6.   Ethische Aspekte: eine Reich-Gottes-Ethik, die von Jesus eingesetzt und verkündigt wurde (Mt 5-7), erfüllt die Gebote des Alten Testaments und zeigt wie die christliche Gemeinde leben soll (Apg 2,37-47; 4,32-37).
7.   Ethnische Aspekte: Das neue Gottesvolk wird durch den Heiligen Geist aus verschiedenen ethnischen Gruppen gegründet (Apg 2,7-11).
8.   Emanzipatorische Aspekte: Selbstständigkeit der Glaubenden durch den HG! Nicht das Gesetz hält das Volk zusammen, sondern der Geist! Der Geist Gottes führt in die Freiheit (Apg 2,14-41).
9.   Theologische Aspekte: Gott schenkt seinem Volk die Errettung und Versöhnung durch seinen Sohn Jesus (Apg 4,9-12).
Jesus erklärt seinen Nachfolgern, dass das Gesetz durch ihn erfüllt ist, und es nicht darum geht, das Gesetz formal einzuhalten, sondern dass sich die neue Gerechtigkeit das Gesetz sogar übertrifft in einer inneren Veränderung des Herzens und Denkens zeigt (Mt 5-7, bei Paulus in Röm 12,2), die nach außen sichtbar wird. So wie die Propheten schon im AT die Herzenshaltung eingeklagt haben, weil das Gesetz nur formal eingehalten wurde (Jerm 7,1-34), so fordert Jesus von seinen Nachfolgern eine durch den Heiligen Geist gelebte Freiheit seine Gebote zu leben (2. Kor 3,6; 17). Seine Nachfolgerinnen und Nachfolger bilden das Reich Gottes hier auf Erden ab: „Daran wird die Welt erkennen, dass ihr meine Jünger seid“ (Joh 13,35). Jesus verspricht den Menschen reichen Segen, die Geld, Besitz und menschliche Beziehungen Gottes Reich unterordnen; nicht allein hier und jetzt auf der Erde, sondern auch in der zukünftigen Welt (Lk 18,29). Die Erneuerten bilden eine neue Gemeinschaft, durch die das Reich Gottes mitten in der Welt erkennbar und sichtbar wird (Joh 13,34+35). Die Gemeinden als der Leib Christi in der Welt sind Stützpunkt der anbrechenden Gottesherrschaft und damit auch ein Gegenmodell zu den Herrschafts- und Machtstrukturen der Welt mit ihren ökonomischen, politischen und sozialen Ungerechtigkeiten (Mk 10,42-44). Am neuen Verhalten der ersten Christen lässt sich das konkret ablesen. So teilten sie beispielsweise alles miteinander: Nicht nur ihr geistliches Leben und Ergehen, nein, auch Geld, Besitz und Eigentum. Gemeinden, denen es materiell gut ging, trugen Verantwortung für die, die Mangel litten (2. Kor 8,1ff). Es wurden in den neuen Gemeinden immer wieder Sammlungen für die in Not geratene Jerusalemer Gemeinde durchgeführt. Dabei wurden viele der alttestamentlichen Gesetzesregeln wie etwa die vom Zehnten aufgenommen und sogar erweitert: Jeder gab so viel, wie er konnte. Hier bricht etwas durch von der Freiheit des Heiligen Geistes. Man ist frei, nach eigenem Ermessen zu geben und – durch die Liebe gedrängt – mehr als erwartet zu geben. Eigentum und Besitz werden als von Gott anvertrautes Gut gesehen, über das Gott als der Gebende auch verfügt. Er ist der Geber aller Gaben und wir sind die ökonomischen Verwalter auf Erden (1. Kor 3,7).

Ausführlich setze ich mich damit in dem Aufsatz: „Exodus, Jubeljahr, Kreuz und die Gemeinde heute – Biblische Aspekte der Befreiung, Erlösung und Transformation“ auseinander. Erschienen in dem Band: „Die verändernde Kraft des Evangeliums“.

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