In den letzten Tagen habe ich einige Predigten, Lieder und Gedanken zur diesjährigen Jahreslosung („Gott nahe zu sein ist mein Glück.“ aus Psalm 73,28) gehört und gelesen. Manches war inspirierend, manches auch eher nicht. Was mich am meisten gestört hat, ist die häufig auftauchende Frage: Wie wir als Christen denn glücklich werden können? Die Antwort war dann auch schnell gefunden: Natürlich nur bei Gott und nicht durch (weihnachtlichen) Konsum. Nicht, dass dies gänzlich falsch wäre, aber der Psalm geht eigentlich in eine andere, vielleicht noch tiefgreifendere Richtung. Er beschreibt, wie der Psalmist eifersüchtig ist auf die Gesundheit, den Wohlstand und das sorgenfreies Leben der Ungläubigen, während er, tief auf Gott vertrauend, mit den alltäglichen Widrigkeiten des Lebens schwer zu kämpfen hat. Das Ganze mündet dann in einen Dialog mit Gott und den Worten: „Als mein Herz verbittert war und ich mich tief verletzt fühlte, da war ich töricht und ohne Einsicht, verständnislos wie ein Tier stand ich vor dir.“ Der Psalmist ist hin- und hergerissen zwischen seiner gespaltenen Gottesbeziehung, seinen eigenen Wünschen und den erfolgreichen und glücklichen Leben der Ungläubigen. Diese Zerrissenheit hat mich an die ‚Dekonversionsstudie’ erinnert, die ich mit dem Institut empirica in den letzten zwei Jahren durchgeführt habe. Wir haben dort ehemalige Christen befragt, warum sie sich wieder entkehrt haben. Die Antworten waren sehr unterschiedlich und doch gab es auch genau solche Kämpfe, wie der Psalmist sie beschreibt. Menschen sind an Gott und Menschen verzweifelt, sie konnten sein Handeln nicht nachvollziehen, haben als Christen gelebt, sind aber daran gescheitert, wie Magdalena bspw. die sagt: „Ich habe danach gelebt. Ich habe diese ganzen Regeln befolgt und diese Handlungen, die ein Christ so im Laufe des Tages ausübt getan. Also dass er betet, dass er sich Zeit nimmt für sein Leben in Einklang zu bringen mit den Anforderungen des Neuen Testaments und so weiter. Das habe ich wirklich ernst genommen. Ich habe es allerdings nie mit einer Leichtigkeit tun können, nie mit einer ehrlichen Dankbarkeit.“ Sie wünschte sich, „so sein zu können wie diese Menschen, mit ihrer unendlichen Freude (auch an Gott), ihrer Geborgenheit und Leichtigkeit, die sie erleben durften. Demgegenüber empfand Magdalena selbst eine Schwere und „eine Last vor diesem Gott, der uns so viel abverlangt“. Oder Ines, die in ihrer größten Lebenskrise ausgerechnet bei ihren Mitchristen keine richtige Hilfe fand: „Ganz viele haben gesagt, ich soll mehr beten, mehr Zeit vor dem Thron Gottes verbringen, dann wird es wieder besser werden.“ Aber das half Ines nicht. Sie wurde immer verzweifelter und merkte, wie es ihr immer aus den Händen glitt, bis sie zu dem Ergebnis kam: „Dann weiß ich nicht mehr, wie ich leben soll.“ Dies sind nur zwei kurze Ausschnitte, die aufblitzen lassen, dass die Zerrissenheit des Psalmisten auch heute noch aktuell ist und erlebt wird, ja für manche existenzielle Dimensionen hat und aus meiner Sicht auch kein ‚Happy End’ gegeben hat. In der Studie haben wir 15 solcher Geschichten nachgezeichnet, analysiert und interpretiert, was sehr spannend war und im Februar als Buch erscheinen wird. In dem Psalm unserer Jahreslosung verliert der Schreiber bei allen Kämpfen nicht sein Vertrauen auf Gott, sondern riskiert alles um seinem Gott doch nahe zu sein. Egal, ob sich das Leben dadurch verändert, ja, sogar, wenn er es dadurch verlieren sollte. Warum geht es bei manchen gut aus und bei manchen nicht? Der Psalm erinnert mich an das Gleichnis vom ‚Schatz im Acker’, wo der Finder alles verkauft, um den Schatz zu bekommen. Für den Finder ist alles loslassen ein Gewinn, weil er weiß, dass er was Größeres und Wertvolleres bekommt. Wer den Schatz nicht sieht, wird nur den eigenen Verlust sehen und diesen beklagen. Der Schatz ist das Ziel. Bis man ans Ziel kommt, verändert sich die Gegenwart. Nur wenn es einen kostbaren Schatz gibt, lohnt sich auch der eigene Verzicht. Das Himmelreich selbst beschreibt wiederum die Beziehung zu Gott selbst, darin liegt der Schatz verborgen, in der Gemeinschaft, in der Nähe zu ihm und damit sind wir wieder bei Psalm 73 und der Jahreslosung für 2014: „Für mich aber ist Gottes Nähe beglückend! Mein Vertrauen setze ich auf den Herrn, ja, auf den Herrn.“ Daran möchte ich denken, dass Gottes Nähe beglückend ist, in aller Schwerkraft meines Alltags, dafür möchte ich Zeit und Kraft haben, für diejenigen da zu sein, die dies gerade nicht als Glück empfinden und vertrauen, dass dieser Gott sich uns immer wieder naht.
Genau auf diese Spannung des Psalmisten habe ich in den Andachten in den Seniorencentren den Schwerpunkt gelegt. Vielen Menschen in unseren Einrichtungen “verschmachtet” gerade am Ende ihres Lebens “Leib und Seele” – und mancheiner kann mit dem “aber” aus Psalm 73 einen PErspektivwechsel vollziehen.
Bin gespannt auf Euer neues Buch!
“Da dachte ich nach zu begreifen …”, zu begreifen, dass Gott uns eben nicht aus unseren Tälern holt. Dennoch bei Gott zu bleiben, sich nicht verführen zu lassen, von Gott zu lassen, wenn Gott nicht dem folgt, was wir wollen, davon erzählt dieser Psalm, sich Gott zuzuwenden nicht unseretwegen, sondern seinetwegen. “Wenig fehlte, so wären meine Füße abgewichen”. Es ist ein Mutmachpsalm, das Gut in Gott zu erkennen und seine Zuversicht weiter auf Gott zu setzen, unabhängig vom irdischen Wohlbefinden, “um zu erzählen all deine Taten.”