“Vom Leben in vertrauten und in fremden Welten oder Lernen von Korinth”

Theologie
Diese Woche haben wir im Studienprogramm Gesellschaftstransformation über verschiedene Chancen und Grenzen von Milieus gesprochen und wie sie Kirchen und Gemeinden darauf reagieren (Soziale und kulturelle Veränderungsprozesse am Bsp. von Milieus). Die Nutzung der Milieukartenbestimmt ja nicht nur Werbung und Konsumverhalten, sondern zusehends unsere Gemeindenentwicklung. Sollen sich Gemeinden auf ein oder zwei Milieus konzentrieren? Oder lieber milieuübergreifend arbeiten. Die Probleme sind nicht neu, sie begegnen uns schon im Neuen Testament. Denn auch in den neutestamentlichen Gemeinden gab es unterschiedliche soziale Schichten, interkulturelle Probleme und verschiedene Lebensstile. Dies führte oftmals zu großen Spannungen innerhalb der Gemeinden, manchmal sogar zu Spaltungen. Gemeinde Jesu wurde schon immer mitten im gesellschaftlichen Kontext mit den Mitteln der Kultur gebaut. Menschen mit unterschiedlichen Prägungen und Biographien kamen zusammen und erlebten die Einheit um die „Mitte Jesus“, die alle Menschen eint und gleichwertig macht (Galater 3,28)und die Spannung, die diese Einheit immer wieder auf die Probe stellte. Dies wird schon bei der Gründung der ersten Gemeinde in Jerusalem sichtbar. Nach der Pfingstpredigt von Petrus kommen tausende Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen zum Glauben an Christus, die Gemeinde entsteht, eine Einheit entsteht, die soweit führt, dass viele sogar ihr Eigentum teilen. Gleichzeitig verhungern die ausländischen Witwen mitten in der Gemeinde. Die Einheit ist auf die Probe gestellt und die Gemeinde muss darauf reagieren. Dies ist nur ein Beispiel, es folgen in den nächsten Jahrzehnten viele weitere, in Gemeinden in Rom, Korinth, Galatien und an vielen anderen Plätzen. Am Beispiel der Gemeinde in Korinth sollen die sozialen Gruppen und Spannungen im Verhältnis zum Glauben kurz skizziert werden, um zu zeigen, dass schon damals die Frage der milieuübergreifenden Arbeit eine schwierige und herausfordernde Arbeit war.
Die Gemeinde in Korinth wurde Anfang der 50er Jahre durch Paulus gegründet der insgesamt 18 Monate in Korinth war, was für ihn eine lange Zeit war. Korinth war eine berühmte Hafenstadt, die ihre große kulturelle und ökonomische Bedeutung zu der Zeit langsam verlor. Trotzdem war Korinth ein Knotenpunkt für Handelsware und durch den angelegten Kanal mit dem Mittelmeer verbunden. So kamen Schiffe aus aller Herren Länder und brachten verschiedene kulturelle und religiöse Praktiken mit nach Korinth. Bei Ausgrabungen entdeckte man tausende von Tempeln und religiöse Opferschreine, die den religiösen Pluralismus der damaligen Zeit belegen. Höhepunkt war sicherlich der Tempel der Aphrodite. Mitten in diesem Siedepunkt der Kulturen lebte die christliche Gemeinde, die aus Juden- und Heidenchristen bestand und sich in verschiedene Hausgemeinden in Korinth aufteilte, die sich in den unterschiedlichen Milieus befanden. Die Gemeinde in Korinth spiegelt die soziale und pluralistische Vielfalt und die damit verbundenen Spannungen wieder. So gab es reiche Hausbesitzer (1. Kor 1, 11), bei denen sich die Gemeinde traf und Sklaven (7,21), die kaum Rechte, geschweige denn Grundbesitz hatten. Überhaupt gab es viele eher ungebildete Christinnen und Christen (1,26) die sich untereinander in ihrem Milieu (wahrscheinlich in der Hafengegend) getroffen haben und dann kamen alle „Hausgemeinden“ in den großen Häusern der „Reichen“ zusammen (11,22). Dort kamen dann die Konflikte der verschiedenen Lebensstile offen zu Tage, so gab es ethische Probleme (Rechtsangelegenheiten, unterschiedliche Ehevorstellungen, Speisevorschriften, Götzendienst, unterschiedliche Vorstellungen von Freiheit oder sexuelle Unmoral), aber auch Probleme bei gottesdienstlichen Abläufen. So haben die Reichen vor dem Abendmahl ordentlich gegessen und getrunken (so dass einige schon betrunken kamen) und die Armen kamen hungrig und hatten nichts (11,21-22). Dazu kam die unterschiedliche religiöse Sozialisation: Es gab Juden die Christen wurden (und das Halten des jüdischen Gesetzes für alle einforderten), Heiden, die Christen wurden (und mit den ganzen jüdischen Gesetzen nicht viel anfangen konnten) und den Proselyten (Heiden, die Juden wurden und dann Christen, die beide Seiten kannten, aber im Gegensatz den Heidenchristen „beschnitten“ waren). Dies führte zusätzlich zu Konflikten, so dass Paulus sich gezwungen sah ausführlich zu beschreiben, wie das Miteinander in diesem Durcheinander möglich ist (die bekannten Kapitel über „Starke & Schwache in den Kapiteln 8+10). Dabei betont Paulus besonders zwei Gemeinsamkeiten, zum einen den Mittelpunkt des Glaubens, das Kreuz und die Auferstehung Christi (1. Kor 1,18ff; 3,11, 15,1ff) und zum anderen die Gleichstellung vor Gott trotz aller Unterschiedlichkeiten (4,9ff; 12,1ff). Diese beiden Gemeinsamkeiten waren offenbar genug, um all die Differenzen und Schwierigkeiten auszuhalten und diese Gemeinde ein Geschenk Gottes zu nennen. Das ermutigt mich, auch in unseren Kirchen und Gemeinden Spannungen und Differenzen auszuhalten, auch über eigene Milieugrenzen hinweg. Die geistliche Haltung und das Festhalten an Gemeinsamkeiten war für Paulus Hoffnung genug, dann sollte es dies auch für mich sein.
Mehr dazu gibt es im Buch ZeitGeist 2: Postmoderne Heimatkunde

8 Comments

  1. Klaus E.

    Hi Tobi, danke für den guten Post. Gibt es ein spezielles Kapitel in “ZeitGeist 2”, in dem es um das Thema geht? Gruß Klaus (aus Augsburg)

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  2. Super Gedanken! Danke für den Post Toby. Milieuforschung war also auch schon damals sehr relevant und in einer eigenen Form bei Paulus sicherlich vorhanden, besonders auch in der Zeit der Diaspora.

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  3. Danke für den interessanten Beitrag. Sieht fast so aus, als würden wir uns der Situation damals in Korinth wieder annähern (unterschiedliche Milieus). Trotzdem empfinde ich in den meisten (nicht bei allen) Gottesdiensten, die ich besuche, so etwas wie Vertrautheit oder Zugehörigkeitsgefühl. Vielleicht liegt das an der gemeinsamen Mitte, du schreibst “Mitte Jesus”.

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  4. @Klaus: Ja, es gibt dazu noch eine soziologische Einführung und dann verschiedene Praxisbeispiele aus den verschiedenen Milieus…

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  5. @glaubenssplitter: Ja, gerade der Vergleich mit unserer pluralistischen Welt ist interessant, da können wir viel von damals lernen.
    Was für Gottes Dienste besuchst du denn?

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  6. Welche Gottesdienste ich besuche? Sag ich dir gern. In den letzten Monaten: katholisch, pfingstlich, freikirchlich, neu-apostolisch, und natürlich immer wieder lutherisch (gehöre selber dazu). Die alten Grenzen zwischen den Konfessionen werden nach und nach durchlässiger. Das ist ein Hoffnungszeichen!
    In den unterschiedlichen Gottesdiensten erlebe ich immer wieder positive Überraschungen. Ich werde dabei selbst “bescheidener” und halte mich mit Urteilen über das zurück, was mir fremd ist.
    Ich liebe lebendige Gottesdienste mit viel Musik. Aber Lebendigkeit zeigt sich nicht allein in äußeren Formen.
    Was ich von einem Gottesdienst erhoffe? Dass ich dort in der einen oder anderen Weise “innerlich berührt” werde. Und das geschieht manchmal dort, wo ich es am wenigsten erwartet hätte.
    Gruß Rainer Haak

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