„Von der beglückenden Erfahrung des gesprochenen Wortes. Subjektive Eindrücke von der ‚langen Nacht der Lyrik’ zum Abschluss der 4. Frankfurter Lyriktage.“

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Die Veranstalter waren überrascht, es kamen mehr Leute als erwartet. Lyrik scheint wieder ‚in’ zu sein. Zehn Tage wurde in Frankfurt an unterschiedlichen Orten Lyrik gelesen, bevor die 4. Frankfurter Lyriktage gestern mit ‚Die lange Nacht der Lyrik’ zu Ende gingen. Auch für Christine und mich war es eine gute Gelegenheit für einen vergnüglichen und inspirierenden Abend mit ein paar der großen Dichterinnen und Dichtern unserer Zeit: Paulus Böhmer, Heinrich Detering, Gerhard Falkner, Uwe Kolbe, Christian Lehnert, Marion Poschmann, Friederike Scheffler, Silke Scheuermann und Clemens Setz, dazu drei Moderatoren und das ‚Internationale Ensemble Modern Akademie’, die für einen experimentellen musikalischen Rahmen sorgten.

Vor allem auf Christian Lehnert freute ich mich, dessen ‘Korinthische Brocken’ für mich eines der besten Bücher des letzten Jahres war. Aber der Reihe nach. Den Anfang machte Heinrich Detering, Literaturprofessor, Elvisliebhaber und Lyriker. Mit großer Routine, Charme und wunderbar vorgetragenen Gedichten eröffnete er den Abend und las einige seiner neuen Gedichte. Aber es war vor allem, ein älteres, was das Publikum in seinen Bann zog, mit dem skurrilen Städtenamen Wrist. Und weil es tatsächlich so wunderbar, ist, soll der Beginn hier seinen Platz finden (laut lesen bitte):

Wrist

Wenn irgendwo die Schrift erscheint Hic habitant leones

Dann ist vermutlich Wrist gemeint Ich weiß es Ich bewohn es

Ich lebe hier im Zwischenreich Aus Himmeln und aus Mooren Die Welt ist mir inzwischen gleich Der Welt ging ich verloren

Hier werd ich sein, wenn nichts mehr ist Nicht Löwe Land noch Karte

Die Ewigkeit sieht aus wie Wrist

Ich habe Zeit Ich warte

Was, nicht nur bei Detering auffiel, sondern sich wie ein roter Faden durch den Abend zog: Es gibt einen neuen Hang zum Naturalistischen. Immer wieder ging es um die Auseinandersetzung mit der Natur und besonders mit Tieren. Vertrautes neu entdecken oder dem längst Vergangenen nachtrauern, exakt beschrieben und befragt, in neuem Rhythmus gegossen und somit so verfremdet, dass es neu entdeckt werden konnte. Ein anderes großes Thema war die Körperlichkeit. Lyrik soll erlebt werden, im körperlichen Resonanzraum nachhallen und somit raus aus der rein intellektuellen Kunst kommen. Ich tue mich da schwer, hebe gedanklich lieber ab in eine eigene Welt und vergesse meinen Körper in all seiner Gebundenheit. Egal, was gab es noch? Der Österreicher Clemens Setz überraschte mit seiner offenen, ehrlichen und bescheidenen Art so sehr, dass sich für einen Moment der gemeinsam versammelte Lyrikhabitus des Abends verflüchtete und ich mich ihm ganz nah fühlte. Silke Scheuermann nuschelte betrunken zwei Gedichte vor sich hin, bevor man ihr aus dem Saal half. Friederike Scheffler, Vertreterin der jungen Generation, überraschte nicht nur mit wunderbar frischer Lyrik, sondern nahm gleich das ganz Publikum aktiv mit in ihre Lesung hinein. Und ja, fast ganz am Ende kam er dann, Christian Lehnert. Er las aus seinem neuen, hoch gelobten Lyrikband, vor allem, ja klar, seine naturalistischen Gedichte ( wie ‚das Aquarium’). Diese sind sprachlich ein Ereignis, aber ich hätte mich über seine religiösen, vor allem seine lyrische Auseinandersetzung mit der Pneumatologie mehr gefreut. Aber, was soll’s. Es war ein wortreicher und langer Abend (über fünf Stunden), der auf beeindruckende Weise zeigte, dass die Lyrik in Deutschland lebt und das Publikum bereit ist für mehr.

 

Einen ausführlichen Bericht gibt es hier.

Bilder: c by Buchmarkt

 

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