„Sowohl als auch. Oder wie Rob Bell uns Gott erklärt. Eine Rezension über ‚Mit dir. Für dich. Vor dir’.“

Theologie
bell

Ein Buch über Gott zu schreiben ist, mit Verlaub gesagt, ambitioniert. Es hat eine lange Tradition und es haben sich schon viele daran abgearbeitet. Interessant wurde es immer dann, wenn versucht wurde in die Diskussion neue ‚Beweismittel’ aus anderen Disziplinen und aktuellen wissenschaftlichen Diskursen aufzunehmen. Das macht Theologie, die Lehre von Gott, überhaupt erst interessant, dass wir uns immer aus unserer aktuellen Perspektive Gott nähern, ihn versuchen zu verstehen und daran immer wieder scheitern. Und jetzt Rob Bell. Der erfolgreiche und smarte Pastor aus Los Angeles, der nun versucht den Menschen Gott zu erklären. Dazu muss man zwei Dinge vorausschicken: a) er versucht es so zu erklären, dass seine nicht christlichen Freunde es auch verstehen können und b) er versucht es vor allem über das, was er am besten kann, der Kommunikation. Bell ist ein Sprachkünstler, live on stage noch besser als in seinen Büchern. Aber er lebt von der Sprache und er weiß, dass sie die Begrenzung seines und unseres Wissen und Verstehens markiert. Dies spielt gerade bei dem Thema Gott eine zentrale Rolle. Mit diesem Wissen versucht sich Bell nun Gott zu nähern und möchte auch den postmodern suchenden Menschen zeigen, dass es sich lohnt, nein, dass es sogar vernünftig ist, über Gott nachzudenken, ja ihm nachzuspüren.

Dazu nimmt er in seinem Buch „Mit dir. Für dich. Vor dir“ mehrere Anläufe und nähert sich Gott von verschiedenen Seiten. Bell bekennt sich zu Jesus Christus als Gottes Sohn und seinen Herrn, als wollte er gleich zu Beginn des Buches den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen und beginnt dann mit einer Mischung aus Crashkurs Quantenphysik , ‚Sophies Welt’ und einer Einführung in die wichtigsten alttestamentlichen Begriffe. Diese drei Zugangswege verbindet er mit vielen persönlichen Erlebnissen und Anekdoten und seinen ihm ganz eigenen Schreibstil, den man als Leserin und Leser mag oder eben auch nicht.

Um was geht es Bell eigentlich?

Bell schreibt keine Dogmatik, sondern ein populäres Buch für Laien, in dem er versucht Gott näher zu bringen und Menschen Gott zu erklären, die keine christliche Anknüpfung mehr durch Sprache, Bilder und kirchlichen Erfahrungen haben. Bell nennt sein Reden über Gott „grenzbegrifflich“, da ihm klar ist, dass auch seine Gedanken Bilder und Vergleiche begrenzt, unvollständig und subjektiv sind. Zuerst geht es ihm darum zu erklären, dass das dualistische Weltbild, welches uns über viele Jahrhunderte geprägt hat schon lange überwunden ist. Die Unterscheidung zischen Materie und Geist, materieller und immaterieller oder physikalischer und geistlicher Welt ist bei weitem nicht so deutlich, wie wir vielleicht annehmen. Um dies aufzuzeigen, benutzt er wissenschaftliche Ergebnisse der Physik, wo dies schon lange zum Standard gehört. So schreibt er über Elektronen, Protonen, Atomen, Higgs-Boson, Quarks und anderen wunderbaren Teilchen, die unsere Welt und das Universum ausmachen. Sein Ergebnis: Ganzheitlichkeit. Wollen wir uns und unsere Welt verstehen, dann nur, wenn wir sie als Ganzes wahrnehmen oder noch besser: Wenn wir uns als Ganzes wahrnehmen, sowohl mit unseren Emotionen als auch mit unserem Intellekt, sowohl mit unseren physischen als auch mit allen geistigen und geistlichen Fähigkeiten. Diese Grundlagenerkenntnis nimmt Bell auf und belegt sie anhand ausgewählter Beispiele der Geistesgeschichte (Newton oder Descartes).

Im zweiten Teil des Buches geht Bell jetzt diesen Erkenntnissen im Kontext der Bibel nach und fragt, wie dort der Mensch gesehen wird und wie in der Bibel über Gott gesprochen wird. Er argumentiert dabei zuerst vom Alten Testament und zeigt auf, dass dort die Schlüsselbegriffe wie ‚ruach“ (Atem und Geist als Existenz des Menschen) oder ‚kabod ’ (Herrlichkeit, Erhabenheit und Ehre als Beschreibung Gottes) ganzheitlich gebraucht werden und beides auch existenzielle Erfahrungsbegriffe sind. Davon ausgehend erklärt Bell das dahinterstehende Weltbild der Hebräer anhand von „Rache“ im 2. Buch Mose. Sein wichtigstes Ergebnis: Die Bibel ist ihrer Weltanschauung immer einen Schritt voraus und nicht wie manche denken einen Schritt zurück. Und dies führt Bell dann ins Neue Testament und zu Jesus. Bell erklärt anhand von einigen Bibelstellen und Beispielgeschichten, was er unter „Evangelium“ versteht und tut dies in einer fast klassischen lutherischen Tradition (sola gratia). Alles ist Gnade und Geschenk und es geht auch bei Jesus immer um den ganzen Menschen. Der Vorhang ist zerrissen und eine neue Sicht in das neue Reich Gottes ist möglich, wenn auch noch unvollendet. Aber die erlösende Macht Gottes durchdringt alles und verbindet alles und wird auch alles vollenden.

Und jetzt? Wo ist der Skandal? Die Häresie? In diesem Sinne ist das Buch wohl eher enttäuschend. Bell wirbt geradezu um Gott und ihm ist dabei bewusst, dass er sein Gottesbild beschreibt und den ‚postmodernen’ Menschen vor Augen hat. In Amerika gab es um dieses Buch große Diskussionen, die wird es in Deutschland nicht geben, weil unsere Geistesgeschichte und unser Weltbild und unsere Religiosität eine andere sind. Es wird ein paar Vertreter geben, die Bells grundsätzliches Vorhaben und Weltbild weder teilen noch verstehen, aber die meisten werden es lesen und innerlich nicken und sagen, ja, so in etwa sehe ich das auch. Bells Buch ist auch eine Art ‚neue Apologetik’, die nicht mehr gegen wissenschaftliche Erkenntnisse ist, sondern mit ihnen geht. Darüber wird man diskutieren müssen, ob ein ‚sowohl als auch’ immer angebracht ist, aber wenn einem bewusst ist, dass dies auch nur eine Sichtweise ist, dann ist Bells Buch eine wichtige Stimme für Gott und seine Menschen. Dann ist es ein zutiefst missionarisches Buch, das Gott anbetet und Wege sucht, dass seine Menschen ihn erkennen.

Was folgt jetzt? Soll ich es lesen?

Wer eine klassische Dogmatik oder Apologetik des christlichen Glaubens erwartet, der sollte nicht zu diesem Buch greifen. Bell bietet, was man von Bell erwarten kann, sprachlich kunstvoll (wobei Bell kein Lehnert ist), leicht zu lesende und postmoderne Kost. Inspirierend, ab und zu einseitig und immer positiv, ‚sowohl als auch’ eben. Was fehlt? Einige Kritiker werden vielleicht sagen: Die theologische Tiefe, aber das ist es meiner Meinung gar nicht, sondern es ist das ‘Widerspenstige’, was mir fehlt. Bells Gottesbild ist mir, bei aller Zustimmung, zu glatt, zu erklärend und zu menschlich. Es fehlt das Heilige und Staunende und Unbeschreibbare. Was mich noch gestört hat: es waren mir zu viele „Geschichtchen“ drin, zu viele „Surferstorys“, aber das ist auch Geschmacksache und ich gehöre auch nicht zur primären Zielgruppe des Buches. Insgesamt ein erfrischendes, lesenswertes und wichtiges Buch über einen Gott, den auch Rob Bell nicht fassen kann und das ist gut so.

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