„Warum lassen wir die Menschen ertrinken?“ Nachgefragt bei Martin Gommel über die Situation von Geflüchteten auf der Insel Lesbos.

Nachgefragt

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Der Fotojournalist Martin Gommel dokumentiert seit einigen Monaten die Situation von Geflüchteten und befindet sich gerade auf der griechischen Insel Lesbos. Ich habe dort ihn via Handy erreicht und konnte ihm einige Fragen stellen:

Martin, du bist gestern auf Lesbos angekommen, wie war dein erster Eindruck?

Ja, ich bin gestern Abend angekommen und dann gleich in den Norden hoch, es ist ziemlich stürmisch hier und so können nur wenige Boote hier aus der Türkei ankommen. Es sind zwar nur ca. 10 km von der Türkei, aber das ist lebensgefährlich, aber es ist für die Flüchtenden die einzige Chance nach Europa zu kommen, da alle anderen Grenzen zu sind. So zwingen wir quasi die Flüchtenden über das Meer hierher zu kommen. Als ich gestern Abend angekommen bin, sind auf dem Weg nach Lesbos zwei Schlauchboote gekentert und dabei sechs Kinder ertrunken. Das ist unglaublich, ich stand da und schaue auf das Meer und kurz davor sind da gerade sechs Kinder ertrunken. Gibt es etwas Schlimmeres? Und ich frage mich, wie wir das zulassen können? Viele der Flüchtenden haben alles verloren, ihre Wohnungen sind zerstört und sie wollen nur noch sich und ihre Familien retten und dann zwingen wir sie über diese Todesroute. Das ist unverantwortbar und schockierend.

Und wie geht es den Geflüchteten, die es geschafft haben?

Nachdem sich das Meer beruhigt hatte, kamen heute in den Morgenstunden mindestens 20 Boote mit jeweils 20-50 Geflüchteten an. Einige Frauen fielen mit dem ersten Schritt auf griechischen Booten in Ohnmacht. Ein afghanischer Mann fiel mir um die Arme und wusste gar nicht, wohin mit seiner Freude. Ich habe das Weinen der Kinder und Mütter immer noch in den Ohren. Es sind glücklicherweise viele Hilfsorganisationen aus Griechenland, Spanien oder Dänemark hier, die den Geflüchteten helfen, wenn sie hier ankommen. Sie werden notversorgt und registriert und machen sich dann auf den beschwerlichen Weg über Griechenland, Mazedonien usw. um nach Deutschland oder Schweden zu kommen.

Ist den Flüchtenden klar, dass es in Europa immer mehr Grenzkontrollen gibt und das Thema immer hitziger diskutiert wird?

Das weiß ich nicht genau, ich denke schon, aber die Flüchtenden haben auch keine Wahl sich darüber Gedanken zu machen. Für sie ist dieser Weg der einzige mögliche, um sich überhaupt zu retten. Und wir diskutieren über geschlossene Grenzen? Klar, wir töten die Menschen nicht direkt, aber wir tun alles, um sie auf diese tödlichen Routen zu schicken. Stelle dir vor, deine Kinder ertrinken vor deinen Augen, gibt es etwas Schrecklicheres? Das kann doch nicht sein, dass uns das egal ist? Dass Menschen und oftmals Kinder auf der Flucht ums Leben kommen. Und ich stehe hier und frage mich, auf was für Werten steht Europa? Deutschland? Und ich sage dir, christliche sind es nicht. Und das schockiert mich und macht mich wütend.

Was können wir denn konkret tun?

Vieles, es fängt damit an, dass ich nicht die Augen verschließe, mich nicht wegducke, sondern mich für die Menschen einsetze, die jetzt unsere Hilfe brauchen. Wir müssen Druck auf die Regierung ausüben und zwar sofort. Vielleicht müssen mehr Leute hier runter, sich das mal ansehen, damit sie sehen und begreifen, dass das die Wirklichkeit ist. Wir sind Teil des Systems, liefern Waffen nach Saudi Arabien, vor denen genau die Flüchtenden fliehen, wir können uns nicht aus der Verantwortung stehlen.

Wo kann ich denn für die Arbeit vor Ort spenden?

Ich war in Sizilien und jetzt in Lesbos. In Sizilien habe ich gut und vertrauensvoll mit ‚Seehilfe e.V.’ zusammengearbeitet. Sie leisten Soforthilfe und machen eine großartige Arbeit.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute bei deiner Arbeit.

 

Für Spenden: Projekt Seehilfe e.V.   

Mehr Infos über Martin Gommel

Fotos: (c) Martin Gommel

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