„Das Reich Gottes“ oder „Das Evangelium des Emmanuel Carrère“

Kultur & Glaube
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Was ein besonderes und auch sonderliches Buch – “Das Reich Gottes“ von Emmanuel Carrère. Sicher, ein theologisches Buch, aber auch ein historisches, aber auch ein autobiographisches und eine Reportage oder ein Roman oder doch ganz eigenes Genre? Aber der Reihe nach.

Um was geht es?

Carrère macht sich auf die Suche. Auf die Suche nach der Entstehung des Christentums und er tut dies mit einem großen Eifer. Fast manisch macht er sich auf den Weg herauszufinden, was damals geschah, was es heute bedeutet und ob wir noch daran glauben können. Er tut dies vor allem als Emmanuel Carrère, als Historiker und Literat, als Glaubender und Zweifler, Suchender und Findender. Und er arbeitet dabei vorwiegend theologisch, denn seine Hauptquelle ist die Bibel. Er liest immer und immer wieder die biblischen Texte, arbeitet und verarbeitet sie, ja setzt und übersetzt sie neu, schlüpft in sie hinein und – schreibt sie fort. Macht sich mit Hilfe historischer Quellen und Exkursionen zu den damaligen Stätten auf den Weg, die Spuren von Paulus und Lukas lebendig werden zu lassen. Das ist faszinierend und reißt einen förmlich mit hinein in den Strudel von historischen Quellen, Bibeltexten und eigenen Interpretationen. Er sprengt die Grenzen, die ich als Theologe formal immer zu wahren versuche, indem er Texte einfach verändert und erweitert, weil es ihm plausibel erscheint und ich krame meine Bibel hervor, lese die Texte und wundere mich, ärgere mich, staune – und Carrère freut sich darüber, weil ich so längst Gast seiner Reise geworden bin. Dabei ist nicht alles neu, manche seiner Entdeckungen gehören in die Einleitungsfragen des Theologiestudiums, aber darüber kann ich gut hinwegsehen. Es ist die Symbiose zwischen subjektiver und objektiver Wahrheit, mit der Carrère spielt und die dem Buch die faszinierende Spannung gibt.

Wer ist Carrère?

Dieses Buch kann man ohne die Person, die Biographie von Carrère nicht verstehen und er nimmt einen schonungslos offen mit hinein in seine Gedanken, Abgründe und Hoffnungen. Carrère, geboren 1957, gehört zweifelsohne zu den ganz großen französischen Gegenwartsliteraten und schafft auch hier wieder ein Werk, dass durch seine Komposition und Sprache auffällt. 1993 hatte Emanuel Carrère ein Bekehrungserlebnis, das ihn zu einem strenggläubigen Katholiken machte, ein paar Jahre später entkehrte er sich wieder und ist jetzt ein Suchender, der vor allem versucht, sich selbst zu verstehen. Dieses Buch ist Zeugnis seiner Reflexionen, seiner Suche, seines Weges.

Was macht das Buch so besonders?

Es ist die dialogische Verwebung von Biographie und biblischen Texten. Es ist die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, die einen manchmal fast peinlich berührt und einen so langsam in seinen Bann zieht. Dabei ist er unaufdringlich und nimmt alle Zweifel und Fragen auf sich, dass ich mich als Leser diesen Auseinandersetzungen mit sicherem Abstand annähern kann. Es erinnert ein wenig an „Korinthische Brocken“ von Christian Lehnert. Zu einem thematisch, da sich es um viel um Paulus und die Korinther geht und zum anderen wegen der biographischen Verwebungen. Und doch ist es stilistisch ganz anders und somit nur bedingt vergleichbar. Am Ende des Buches gibt es von der Übersetzerin Claudia Hamm ein ausführliches Nachwort, in dem sie in die faszinierende und komplizierte Arbeit einer Übersetzung Einblick gibt.

Insgesamt ein interessantes, störendes und mitreißendes Buch, klug und persönlich erzählt und deshalb sehr lesenswert.

 

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