„Nachgefragt bei Alexander Hirsch: Wie wird man vom Pastor zum Flüchtlingshelfer auf der Insel Chios?“

Nachgefragt

Wir hören nicht mehr viel von Geflüchteten, dabei hat sich an der Situation von Millionen Menschen auf der Flucht nicht viel geändert. Sie suchen sich Wege aus Kriegsgebieten dieser Welt und manchen begegnet Pastor Alexander Hirsch jetzt auf der griechischen Insel Chios, wo heute wieder mehrere Boote mit 144 Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und anderen Staaten angekommen sind. Warum er das macht und wie es dazu kam, habe ich ihn via Skype gefragt.

 

T Hallo Alexander, du bist gerade als Helfer auf der Insel Chios, was hast du heute gemacht und wie geht es dir?

A Danke, mir geht es gut, ich bin etwas müde. Habe heute viele Gespräche mit Geflüchteten geführt, Kleider organisiert etc., gleich esse ich noch was und dann gehe ich ins Bett, da ich morgen um 5:30h die erste Schicht habe. Die Arbeit ist vor allem seelisch anstrengend.

T: Wie kommt es, dass du als Pastor zum Flüchtlingshelfer wurdest?

A: Ich hatte in Marburg in der Zeitung gelesen, dass zwei Studentinnen als Helferinnen in Griechenland waren. Das hat mich so bewegt, dass ich dachte, ich muss auch was tun, ich kann nicht immer nur sagen, ja hier müsste man helfen und eigentlich ist das Elend so groß und dann habe ich mich informiert, angemeldet und bin losgefahren.

T Und jetzt bist du schon zum dritten Mal als Helfer auf der Insel Chios, was hat sich verändert?

A Das erste Mal war ich zum Jahreswechsel 2015/16 da, in der absoluten Krise, da kamen täglich mehrere neue Boote an und es ging fast ausschließlich um eine Erstversorgung und dann ging es für die Flüchtlinge schon weiter aufs Festland. Seit dem Türkeideal hat sich das verändert, es kommen nicht mehr so viele Boote durch, dafür stecken die Geflüchteten hier auf Chios fest. Dadurch hat sich auch unsere Aufgabe verändert. Während wir früher eben vor allem Erstversorgung gemacht haben, kümmern wir uns jetzt um die Geflüchteten in den Lagern. Da geht es nicht nur um medizinische Hilfe, sondern auch um Bildung, langfristige Hilfe gegen Frust, Enttäuschung und Langeweile. Momentan sind ca. 1800 Geflüchtete auf der Insel, es gibt also viel zu tun.

T Wer organisiert die Hilfe?

A: Es ist eine selbstorganisierte Hilfe. Eine Bewohnerin der Insel hat im Oktober 2015 angefangen, den Bootsflüchtlingen zu helfen, die bei ihr vor dem Haus gestrandet sind. Dann wurde die Not immer größer und über Facebook kamen immer mehr Freiwillige aus ganz Europa dazu. Das alleine ist faszinierend zu sehen. Und so bin ich ja auch dazu gekommen, manche bleiben nur zwei Wochen, manche bis zu sechs Monate. Es gibt einige Koordinatoren und jeden Morgen ein Teamtreffen, wo die Arbeit verteilt wird. So entstehen aus der Situation heraus und den Möglichkeiten neue Ideen und Projekte. Zum Beispiel ist so ein Kinder-Elternzentrum entstanden, Unterricht für Kinder, ein Frauenhaus etc.

T: Was könnte denn die Politik tun, damit es erst gar nicht zu solchen Dramen wie in Chios kommt?

A: Politisch Verfolgte genießen nach den Genfer Konventionen Asylrecht, aber diese Verfolgten haben keine Chance legal nach Deutschland zu kommen. Das bedeutet, dass wir sie zwingen illegal zu werden, wenn sie sich retten wollen. Das heißt, wir ermöglichen diesen Menschen ein Recht auf Schutz und Sicherheit, aber wir sorgen dafür, dass sie dieses Recht nicht in Anspruch nehmen können, man spricht dann von „irregulären Migranten“. Es muss aus meiner Sicht die Möglichkeit geben, in den Ländern selbst Asylanträge zu stellen, damit sie nicht auf die lebensgefährliche Flucht machen müssen. Wir müssen also legale Zugänge für Flüchtlinge schaffen, so genannte „safe passage“. Zweitens müssen wir das umsetzen, was eigentlich längst beschlossen ist, dass Geflüchtete gerechter verteilt werden in Europa. Allein in Griechenland leben gerade Zehntausende Flüchtlinge in Lagern und haben keinerlei Perspektive. Zentraleuropa muss diese Flüchtlinge aufnehmen! Spanien, Portugal, die osteuropäischen Länder, aber auch Deutschland hätten die Kapazitäten, diese Flüchtlinge aus humanitären Gründen aufzunehmen. In Deutschland gibt es Dutzende leere Flüchtlingslager, die dafür genutzt werden könnten, wir könnten zum Beispiel ein Lager in Chios komplett nach Marburg übersiedeln. Das wäre ein richtiger Schritt.

T: Da sind wir thematisch schon in Deutschland, was können wir denn tun, um zu helfen?

A: Einfach vorbeikommen und mit anpacken. Also ganz praktisch, man muss nicht Arzt oder so sein, sondern einfach für eine Woche kommen, nach Chios oder einer anderen Insel in Griechenland. Wenn man keine Zeit hat, kann man natürlich auch spenden. Es gibt jetzt ein Konto in der Schweiz, von dem aus die finanzielle Hilfe für Chios organisiert ist, was eine große Hilfe ist. Aber das wichtigste ist meiner Meinung eine neue Bewusstseinsbildung, denn die Flüchtlinge sind nicht weg aus Deutschland oder Europa, sondern sie sind nur medial nicht mehr so präsent. Und das Elend, dem viele Hunderttausende ausgesetzt sind, ist weiter riesig und die Flüchtlingsursachen sind weiterhin nicht geklärt. Wir sind gerade dabei, einen eigenen Verein zu gründen, damit wir die Arbeit von Deutschland aus besser organisieren und unterstützen können. Wer sich dafür interessiert, kann die Entwicklung über meinen Blog verfolgen.

T: Vielen Dank Alexander, toll, dass du das machst und uns an deiner Arbeit teilhaben lässt.

A: Danke und Grüße nach Deutschland und Marburg.

 

Wer die Arbeit in Chios konkret unterstützen möchte kann dies über dieses Konto in der Schweiz tun:

Account Number:        91-479106-6

IBAN:                           CH850900000091479106 6

BIC:                              POFICHBEXXX

Account Name:           Verein fuer konkrete Fluechtlingshilfe

Zip Code:                     8126

Location:                     Zumikon

 

1 Comment

  1. Hey Tobi,

    ich hätte mal diese sehr generelle Frage an dich. Ich möchte sie gerade verschiedenen “unserer Art” stellen und bin gespannt auf die ganzen Antworten.
    (Ich wusste nicht, wie ich dich kontaktieren kann außer in einem Kommentar und ich denke, es könnte andere auch interessieren)

    Was heißt es für dich, Theologe zu sein?

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